Geschichte

Siegtor im ersten Spiel

Tibor Kesztyüs hatte sowohl als Fußballer als auch im Leben einiges einzustecken. Passende Antworten gab er, wenn man ihn ließ, auf dem Platz.

Sonderlich vornehm war das Klima in der Oberliga Nord in den 50er Jahren nicht. Als er erstmals in einem Punktspiel im VfL-Trikot einlief, auswärts beim VfV Hildesheim, nordete ihn sein Gegenspieler direkt mal ein. „‚Heute kommst du nicht lebend vom Platz‘“, schnauzte er mir zu, das habe ich noch im Ohr“, schmunzelt Tibor Kesztyüs. Herzlich empfangen wurde der Ungar auch ansonsten seinerzeit nicht. In Wolfsburg Anschluss zu finden, sollte ihm nie recht gelingen. „Als Ausländer hatte man es damals nicht leicht, so war einfach der Zeitgeist. Hinzu kam, dass es sportlich nicht gut lief.“ Mit den Grün-Weißen stieg Kesztyüs 1959 aus der ersten Liga ab, blieb noch eine weitere Saison und wechselte danach zu Jahn Regensburg. „Das war aber ein Fehler, ich hätte beim VfL bleiben sollen.“

Mit Ferenc Puskas befreundet

Wenn man sich im Internet nach Kesztyüs erkundigt, dann stößt man auf den dribbelstarken Halbstürmer, der eng mit Ungarns Fußballidol Ferenc Puskas befreundet war, erst auf den zweiten Blick. Als promovierter Sprachwissenschaftler startete Kesztyüs nach der sportlichen eine beachtliche akademische Laufbahn, etablierte sich als gefragter Fachmann für ungarische Geschichte und lehrte viele Jahre an der Universität in seinem heutigen Wohnort Göttingen. 1998 ging der heute 85-Jährige, der neben Ungarisch und Deutsch auch Finnisch und Russisch spricht, in den Ruhestand.

Sehr verschiedene Positionen im Werk

Schon ins Werk kam Kesztyüs mit einem abgeschlossenen Sprachstudium. Seinem Ausbildungsstand wurden die Tätigkeiten, die man ihm bei Volkswagen anbot, nicht gerecht. In den ersten Monaten stand er in der Adrema-Abteilung an der Stanze, um Aluminiumplatten mit Firmenanschriften anzufertigen oder auszubessern. „Diese Arbeit hat mich komplett unterfordert. Ende 1958 wurde ich aber in die Lohnbuchhaltung versetzt, dann wurde es besser.“ Als Lohnbuchhalter war der Ungar nun für die Abrechnungen von rund 800 Arbeitern zuständig. Bis er im Sommer 1960 aus privaten Gründen kündigte, eignete er sich viel Fachwissen über Versicherungen, Pfändungen oder auch den Umgang mit Steuerkarten an. „Mit all dem hatte ich vorher nie zu tun gehabt, deshalb fiel mir das nicht leicht. Aber die Leute sind sehr nett zu mir gewesen. Wir VfL-Spieler waren im Werk beliebt.“

Schriftlich bei den Wölfen angeheuert

Dass er Volkswagen verließ für einen Neustart in Regensburg, wo er sich wegen Vertragsbruchs eine zweijährige Sperre einhandelte, bereut Kesztyüs bis heute. Schon in Ungarn war seine Spielerkarriere abrupt zu Ende gegangen, da ihm fälschlicherweise ein Herzklappenfehler attestiert worden war. Als politischer Flüchtling kam er nach Deutschland, um im Grenzdurchgangslager Friedland dann von Funktionären von Göttingen 05 „reaktiviert“ zu werden. Zwei Jahre glänzte er bei den 05ern, ehe er nach deren Oberliga-Abstieg schließlich wie den Weg zum VfL fand? „Ich habe mich mit einem Brief in Wolfsburg beworben“, schmunzelt Kesztyüs. „Allerdings wäre das wohl gar nicht nötig gewesen, denn Walter Risse war auch so auf mich aufmerksam geworden.“

Kein Bonus bei seinem Landsmann

Erst unter Risses Nachfolger Imre Farkaszinski, mit dem er überhaupt nicht harmonierte, geriet Kesztyüs sportlich ins Abseits. Bis dahin setzte der feine Techniker, der zur Spielzeit 1958/1959 gemeinsam mit Dieter Gresens und Horst Christiansen neu zum Kader stieß, auf der rechten Seite starke Akzente. Schon beim Debütspiel in Hildesheim wies er seine individuelle Klasse eindrucksvoll nach: Nach Vorarbeit Hans Kirchers gelang ihm mit einer scharfen Direktabnahme in der 26. Spielminute der einzige Treffer, was er seinem knurrigen Bewacher nach Abpfiff genüsslich unter die Nase rieb: „Das habe ich mir natürlich nicht nehmen lassen“, lacht Kesztyüs. „Ich sagte: ‚Mein Junge, ich lebe noch, ich habe das Siegtor geschossen. Und die Prämie bekomme ich auch noch.‘“

Veröffentlicht im „Unter Wölfen“ am 13. April 2018. Anmerkung der Redaktion: Tibor Kesztyüs ist am 14. April 2019 im Alter von 86 Jahren verstorben.


Bisher erschienene Porträts in „Mein Werk. Mein Verein. Eine Geschichte“:

 

Hans-Georg Addicks

Wilfried Ahnefeld

Peter Ament

Uwe Beese

Rainer Behrends

Hermann-Dieter Bellut

Peter Bengsch

Günther Blech

Helmut Bräutigam

Karl-Heinz Borutta

Holger Busse

Karl-Heinz Dickkopf

 

Werner Eichhorn

Ingo Eismann

Rudi Engelhardt

Patrick Evers

Hans-Georg Felleckner

Fred Fensch

Heinz Fischer

Marian Foitzik

Ingo Friedrichs

Uwe Funke

Guido Gehrmann

Dirk Geger

 

Michael Geiger

Willi Giesemann

Friedhelm Goertner

Dieter Gresens

Rainer Groß

Dieter Grünsch

Waldemar Gust

Joschi Heil

Heinz Herrmann

Udo Hoffmann

Jörg Hoßbach

Bernd Idziak

 

Waldemar Josef

Klaus Jura

Ralf Kammel

Tibor Kesztyüs

Burkhard Kick

Ralf Kirchoff

Friedhelm Klein

Georg Klitzke

Heinz Knopp

Dietmar Koch

Thorsten Kohn

Gerd Kuhlmeyer

 

Dieter Kulhanek

Bernhard Kulla

Markus Kullig

Wolf-Rüdiger Krause

Gianni Lazzara

Günter Leich

Günther Litzenberg

Hans Lübbers

Michael Maaß

Willi Marx

Edwin Meyer

Jürgen Mosert

 

Rüdiger Niehs

Edgar Nobs

Frank Ockert

Helmuth Oschmann

Siegfried Otte

Günter Otto

Uwe Otto

Heiner Pahl

Heinrich Pawlitzki

Geoffrey Payne

Richard Perzak

Uwe Piep

 

Frank Plagge

Lothar Pospich

Wilfried Reckel

Siggi Reich

Horst Reichelt

Walter Richter

Fredi Rotermund

Schalke-Familie

Jan Schanda

Siegfried Schanda

Klaus-Dieter Schäfer

Ralf Schmidt

Sandro Schmidt

Gerhard Schrader

 

Gerald Schröder

Dittmar Schönbeck

Ditmar Schwarzenbart

Volker Schwentner

Wolfgang Simon

Jürgen Speh

Ralph Speh

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Carlos Ferreira Tavares

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Ulrich Thorke

 

Thomas Tuster

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Lothar Ullrich

Silviu Vuia

Wolfgang Wallek

Joachim Wawrzik

Eckhard Mitschke

Hans-Joachim Weigel

Ralf Wilhelm

Dieter Winter

Werner Wischniowsky

Uwe Wiswe

Manfred Wuttich

Dirk Zehnpfund