Geschichte

Geld aus der Tüte

Rudi Engelhardt hantierte bei Volkswagen mit Löhnen, bevor es Girokonten gab. Trotz Widerständen in der Familie spielte er nebenbei für den VfL.

Am Ende saß er doch am kürzeren Hebel. Als er dem Familienoberhaupt den Wechsel gestand, war es mit den geliebten Privilegien vorbei. „Bis dahin hatte ich sein Auto immer mitbenutzten dürfen. Aber jetzt war das nicht mehr erlaubt“, lacht Rudi Engelhardt und erklärt: „Mein Vater war ein Erz-05er. Andere Vereine duldete er nicht. Deshalb hat er auch verboten, dass mein Bruder gleich mitwechselte.“ Wenigstens einen der Engelhardt-Brüder aus Göttingen, den älteren, sollte der VfL Wolfsburg aber bekommen. Genau 18 Einsätze kamen für den damals 20-Jährigen 1961/1962 im Trikot der Wölfe zusammen. Für eine Saison verteidigte er in einem Spitzenteam der Amateur-Oberliga Niedersachsen-Ost.

Am Elsterweg machte er Bekanntschaft mit der ganz alten Garde. Was ihm auch deshalb so vorkam, weil er im Team von Kurt Reicherdt einer der Jüngsten war. „Günther Litzenberg zum Beispiel war jemand, zu dem man sehr aufgeschaut hat. Speziell er hat sich toll um die Jungen gekümmert. Er war zeitweise wie ein Vater für mich“, sagt Engelhardt, der bei Göttingen 05, seinerzeit in der gleichen Spielklasse wie der VfL angesiedelt, zuvor früh in den Sprung in die Erste geschafft hatte. Das hohe Zweitliga-Tempo war er also gewohnt. Trotzdem schien es nicht selbstverständlich, dass sich Engelhardt sofort auf rechts etablierte. Neben Kapitän Litzenberg, Hannes Klitzke, und „Felix“ Felleckner hielt er vor Schlussmann Heiner Winneke die Abwehr zusammen. Lange spielten die Wölfe, drei Jahre vorher aus der ersten Liga abgestiegen, um den Einzug in die Aufstiegsrunde mit. Als sie die Saison jedoch nur als Dritter beendeten, war Engelhardt allerdings schon nicht mehr Teil des Teams.

„Ich war immer ehrgeizig, aber auch sehr konsequent“, begründet der 75-Jährige. Denn wie viele VfL-Spieler in den Jahren vor dem Vollprofitum stellte er den zeitintensiven Fußball ab einem gewissen Punkt lieber zurück. „Es hat riesigen Spaß gemacht, in der Ersten zu spielen. Aber der Beruf war wesentlich wichtiger.“ So orientierte sich der lauf- und kopfballstarke Rechtsverteidiger ab Mitte der Saison immer öfter Richtung Zweite, bis er sich irgendwann dort komplett wiederfand. Seine Arbeit bei Volkswagen hatte nun Vorrang. Die Beschreibung seiner Anfänge im Werk klingt wie der Streifzug durch ein Museum: Als Sachbearbeiter in der Personalabteilung hatte Engelhardt bei seinem Start 1961 noch mit Adrema-Platten zu tun, einem antiken Drucksystem zur Adressierung von Massenbriefen. Nach einem halben Jahr stellte seine Abteilung auf ein Hollerith-Lochkartenverfahren um. Als in diesem Zuge erste IBM-Rechner ins Spiel kamen, saß der gebürtige Northeimer immerhin schon an einer Art Computer.

In verschiedenen Tätigkeiten eines gut 50-köpfigen Teams hatte der ehemalige Verteidiger der Grün-Weißen immer mit dem Thema Lohnabrechnung zu tun. Die Druckarbeiten zur Vorbereitung der Lohntüten fielen in seinen Bereich, die damals in einem mit Gittern gesicherten Rollwagen im Hause ausgeteilt wurden. „Man kann es sich heute kaum vorstellen. Aber bevor es Bankkonten gab, wurde noch Bargeld unter Polizeischutz in unsere Abteilung gebracht.“ Gut zwei Jahre blieb Engelhardt Teil dieses Systems und stand dann kurz davor, für Volkswagen nach Brasilien zu gehen. Nach einem Schicksalsschlag im Freundeskreis plante er aber kurzfristig um, kehrte statt dessen Wolfsburg schon 1963 wieder den Rücken und ging zurück in die Heimat, wo er sich später selbstständig machte. „Wenn ich ehrlich zu mir bin, habe ich das durchaus bereut. Rückblickend hätte ich bleiben und den Schritt ins Ausland wagen sollen“, zieht Engelhardt Bilanz. „Zumindest mein Vater aber hat sich damals sehr darüber gefreut.“

Veröffentlicht in „Unter Wölfen“ am 12. Februar 2017.