Geschichte

Brasilianisch mit Manni

Tragische Umstände bestimmten Richard Perzaks Zeit im VfL-Trikot. Auch dank Volkswagen wurde am Ende alles gut.

Wer wissen möchte, wo genau Richard Perzak arbeitet, der schaut am besten kurz in die Luft. Genau am Fuße der vier Schlote, den heimlichen Wahrzeichen Wolfsburgs, befindet sich sein Büro: im Heizkraftwerk Süd an der Wache Ost. „Wenn bei jemandem die Heizung nicht läuft, dann steige ich aufs Fahrrad und komme“, sagt Perzak und lächelt. Als Maschinist, einer von vieren fürs ganze Werk, kümmert er sich um die Versorgungstechnik wie Heizung, Wasser, Belüftungsanlagen und Druckluft. Die komplexen Funktionen kontrolliert er vor allem am Bildschirm, die Wärme-Unterzentrale ist sein Spezialgebiet. Bei Volkswagen beschäftigt ist der Pole, der seine genaue Tätigkeit mit viel Leidenschaft beschreibt, seit 1984. Dass er den lang ersehnten Schritt ins Werk damals schaffte, hatte mit seinem Können als Fußballspieler zu tun. Und indirekt mit seiner Zeit beim VfL Wolfsburg.

Zwölf Einsätze und ein Tor stehen für Perzak in der Spielzeit 1983/1984 zu Buche. Hinter diesen Zahlen steckt eine Geschichte mit tragischen Zügen. Denn für den heute 59-Jährigen war es eine Zeit der Ungewissheit und Sorge. „Meine Frau und unsere zweijährige Tochter hatte ich in Polen zurücklassen müssen. Es hat lange gedauert, bis wir wieder vereint waren“, berichtet er. Im Juli 1983 floh Perzak zu seinem Bruder nach Wolfsburg. Als Fußballer in Diensten seines Heimatstadtvereins GKS Katowice hatte er sich bereits einen Namen gemacht, genoss dabei Privilegien, die anderen Landsleuten verwehrt waren. „Trotzdem war das Leben hinter dem Eisernen Vorhang sehr schwierig. Deshalb wollte ich in Deutschland wieder bei null starten und die Familie anschließend nachholen.“

Arbeit zu finden, war für den gelernten Dreher und Fräser nicht einfach. Zumindest aber hatte er das Glück, dass bei den Wölfen seinerzeit wenig zusammenlief. „Der VfL hatte gleich Interesse. Allerdings konnte ich die ersten Monate nur trainieren, weil Katowice meinen Pass nicht herausgeben wollte.“ Erst kurz vor der Winterpause konnte VfL-Boss Günther Brockmeyer die Sache regeln. Im letzten Spiel vor Weihnachten, beim 0:0 gegen Meppen, lief das Sturmversprechen aus Polen endlich am Elsterweg ein. „Ein tolles Gefühl. Nachdem ich an Weihnachten in Budapest meine Familie traf, bekam ich in der Rückrunde aber ein Kopfproblem. Die Trennung setzte mir damals sehr zu.“

Auch die anderen Grün-Weißen fanden nicht in die Spur. Zum einzigen Mal in 16 Jahren Amateur-Oberliga Nord ging es gegen den Abstieg. „Es lief viel durcheinander, die Stimmung war nicht gut“, erinnert sich Perzak, der unter Kemmers Nachfolger Imre Farkaszinski regelmäßig spielte, im Heimspiel gegen Braunschweig (3:1) sogar ein Prachttor erzielte. Trotzdem wollte sein Knoten nicht platzen. „Mal habe ich ganz gut gespielt, dann wieder schwächer. Mein großes Problem war die Konstanz.“ Als sich abzeichnete, dass der neue Trainer Wölfi Krause eher nicht mit ihm plante, suchte Perzak den Absprung zum TSV Ehmen. „Zufällig war mit diesem Wechsel die Chance verbunden, ins Werk zu kommen. Für meinen Plan, mir eine neue Existenz aufzubauen, war das ein großes Glück.“

Wenn also je ein Spieler gute Gründe hatte, den VfL zu verlassen, dann war es Perzak. Schöne Erinnerungen verbindet er mit seiner kurzen Wölfe-Zeit trotzdem. „Mein einziges Tor zählt dazu, unsere Abschlussfahrt mit den Bullis an die Mosel. Und ich habe Manni Mattes vor Augen, der mir nach seiner Einwechslung auf dem einmal Platz zurief: ‚Richard, ab jetzt brasilianisch‘“. Im Juni 1984 kam seine Frau nach Wolfsburg nach, ein knappes Jahr später schließlich die Tochter. Nur darauf kam es Perzak unterm Strich an. „Sportlich war mir die halbe VfL-Saison zu wenig. Aber ich hatte Arbeit bekommen, meine Familie war endlich komplett. Dafür hat sich der harte Weg vollauf gelohnt.“

Veröffentlicht in „Unter Wölfen“ am 15. April 2017.