Mitten in der Halbzeitpause musste es passieren. Karsten Stephan fiel hin und verletzte sich am Knie. „Alles war aufgeschlagen. Ich wusste gar nicht, wohin. Doch dann hatte ich sehr großes Glück“, beschreibt er jenen Moment, den er nie vergessen wird. Zufällig kam VfL-Masseur Hannes Bittner vorbei, sammelte den Siebenjährigen ein und nahm ihn mit in die Kabine. „Während der Pausenbesprechung hat er mich verarztet. Meine großen Idole saßen alle um mich herum. Nie hätte ich mir träumen lassen, dass ich mich selbst dort einmal umziehen würde.“ Doch genauso sollte es kommen: Ab 1984 trug Stephan, der als Kind kaum ein Heimspiel verpasst hatte, selbst das VfL-Trikot.
„Eine fantastische Zeit“
In die Erfüllung seines Traumes hatte er gezielt investiert. Bei den Herren des VfR Eintracht, wo er alle Teams seit der E-Jugend durchlaufen hatte, kam Stephan nicht weiter. Bewusst ging er den Schritt zum MTV Isenbüttel in die Bezirksliga zurück – wo er prompt so häufig knipste, dass sein Name ständig in der Zeitung stand. „Irgendwann meldete sich Wölfi Krause bei mir. Er sollte neuer Trainer in Wolfsburg werden und nahm mich mit.“ Von VfL-Granden wie Dieter Grünsch und Fredi Rotermund hatte sich Stephan früher Autogramme geholt. Jetzt spielte der schussstarke Linksfuß selbst in Grün-Weiß. „Durch den Spielertunnel auf den Platz zu gehen, an dem ich als Fan immer gestanden hatte: der Wahnsinn. Die Jahre als VfL-Spieler waren eine fantastische Zeit“, schwärmt der gebürtige Wolfsburger, der im Hauptberuf damals wie heute bei Volkswagen tätig war.
Seit 1978 im Werk
In Halle 72 ist Stephan im Werk zu Hause. Als Lehrling zum Dreher hatte er 1978 beim Autobauer angefangen und begann drei Jahre später zunächst in der direkten Nachbarhalle in der FE. Dort, in der Forschung und Entwicklung, arbeitet der 53-Jährige noch heute. Im Getriebeversuch fertigt er in einem Zweier-Team Drehteile für Getriebe und Motoren, arbeitet viel mit Metallen wie Aluminium, Messing und Stahl oder bedient die Fräsmaschine. „Das ist Arbeit, die mir liegt und auch Spaß macht. Ich fühle mich bei Volkswagen rundum wohl“, so der Werkzeugmechaniker.
Die Kabine zum Beben gebracht
In der Mannschaft wurde Stephan „Carlos“ genannt. Zwar kam er über die Rolle als Joker nie hinaus, stürmte häufig auch in der von Manfred Mattes trainierten Zweiten. Zusammen kamen in zwei Saisons dennoch 23 Spiele und fünf Tore – davon mindestens ein besonderes. „Das war ein Pokalspiel in Meppen, es ging um die Qualifikation für den DFB-Pokal. Nach einem 0:2 schoss uns Matthias Fiebich noch in die Verlängerung, wo mir in der 115. Minute das Siegtor gelang. In der Kabine hat es anschließend gebebt“, strahlt Stephan, der sich besonders an die Nachwirkungen seiner Sternstunde gern erinnert. „Es war die beste Rückfahrt meines Lebens; in der VfL-Gaststätte ging die Feier noch weiter. Der Wirt hatte am Radio mitgehört und extra bis zu unserer Rückkehr offengelassen.“
Veröffentlicht in „Unter Wölfen“ am 27. Juni 2016