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Lehrgeld auf dem Kieselhumes

Vor 60 Jahren bestritt der VfL Wolfsburg beinahe unbeachtet seine erste Partie im DFB-Pokal.

Die erste Mannschaft des VfL-Wolfsburg, die je am DFB-Pokal teilgenommen hat.Symbolbild für das VfL-Team der frühen 60er Jahre, hier eine Aufnahme von 1961. Von links: Trainer Curt Reicherdt, Hannes Klitzke, Heiner Winnecke, Wilfried Reckel, Heinz Fischer, Friedhelm Klein, Marian Foitzik, Wilfried Kemmer, Pietrella, Hans-Georg Felleckner, Uwe Funke, Günther Rüge. Etliche von ihnen standen auch in Saarbrücken auf dem Platz (siehe Stenogramm).

Als die Bundesliga vor bald genau sechs Jahrzehnten ihren Betrieb aufnahm, da musste sie bekanntlich noch ohne den VfL Wolfsburg auskommen. Genau in diese Zeit fällt dafür ein anderes Jubiläum der Wölfe, denn an diesem Freitag vor exakt 60 Jahren traten sie erstmals in ihrer Vereinsgeschichte im DFB-Pokal an. Zu einer VfL-Feierstunde taugte die Premiere im Stadion des designierten Bundesligisten 1. FC Saarbrücken zwar nicht, denn Aufwand und Ertrag gerieten letztlich in ein Missverhältnis. Zumindest aber verkauften sich die Grün-Weißen teuer.

Nicht automatisch gesetzt

Dass der VfL zuvor nie im seit 1935 ausgetragenen DFB-Pokal hatte mitmischen dürfen, hatte mehrere Gründe. Erstens, logisch, wurde der Klub erst 1945 gegründet und brauchte naturgemäß für die nötige Wettbewerbsreife Zeit. Zweitens wurde der Modus zur Qualifikation Mitte des letzten Jahrhunderts mehrfach geändert, was es Grün-Weiß in den einzelnen Jahren unterschiedlich stark erschwerte, ein Ticket zu lösen. In der Regel führte der einzige Weg über ein erfolgreiches Abschneiden im Regionalpokal. Und hier, drittens, kamen die Wölfe häufig nicht weit. Im 18. Jahr ihres Bestehens jedoch schafften sie es nun durch den Flaschenhals, der aus einem vorgeschalteten Sommerturnier im Norddeutschen Pokal bestand. Drei Runden galt es zu überstehen. Der VfL schaffte sie dank glatter Erfolge über den VfL Osnabrück (3:0), den SC Union 03 Altona (5:0) sowie den VfB Lübeck (4:1) – und war endlich startberechtigt für den DFB-Vereinspokal. 

Das Gegenteil von Losglück

Werder Bremen, der HSV, 1860 München oder Borussia Dortmund als Gegner hätten am Elsterweg vermutlich für klingelnde Kassen gesorgt. Stattdessen gab es lange Gesichter: Die Auslosung ergab nicht nur ein Auswärtsspiel, sondern auch noch eine Ochsentour. Weiter weg als ins Stadion Kieselhumes des 1. FC Saarbrücken hätte es kaum gehen können. In ihrem ersten Pflichtspiel außerhalb des Fußballnordens wurden die Wölfe am 23. Juni 1963 dort von rund 2.000 Zuschauenden empfangen. Die Gastgeber, die zwei Monate später als Gründungsmitglied ins Abenteuer Bundesliga starteten, betrachteten die klassenniedrigeren Niedersachsen sicherlich als Pflichtaufgabe. Der VfL jedoch verblüffte, verteidigte nicht nur lange erfolgreich die Null, sondern hätte vor der Pause auch mehrfach beinahe zugeschnappt. Saarbrücken allerdings, ganz der abgebrühte Favorit, genügte ein plötzliches Führungstor (68.), um den Widerstand zu brechen. Zwei schnelle weitere Treffer zum 0:3-Endstand aus VfL-Sicht (73./84.) verstellten letztlich den Blick auf einen couragierten grün-weißen Auftritt. Von den Wolfsburger Nachrichten bekamen die Wölfe gar eine „großartige Leistung“ attestiert.

Einer verreiste lieber

Losgelöst vom Ergebnis: Im Gefühl, einen Meilenstein zu setzen, trat der Amateur-Oberligist, der mit zwei Tagen Vorlauf ins Saarland reiste und ohne Abwehrkante Wilfried Reckel auskommen musste, seinerzeit wohl nicht an. Der große Zauber des DFB-Pokals, in jener Saison letztmalig im Kalenderjahr ausgetragen, sollte sich erst Jahre später entfalten. Nicht nur die eher maue Kulisse wies auf einen noch unterentwickelten Stellenwert hin, auch ist von der Partie an jenem Ort, wo einst Saarlands Nationalmannschaft ihre Länderspiele bestritt, mit Ausnahme eines eingescannten Zeitungsbildes – netterweise zur Verfügung gestellt von der Saarbrücker Zeitung – kein einziges Foto überliefert. Passend dazu hat sich bei keinem greifbaren VfL-Aktiven von damals die Begegnung wirklich eingeprägt. „Ich weiß noch, dort gespielt zu haben. Aber konkret habe ich nichts mehr vor Augen“, so etwa Heinz Fischer. Auch Uwe Funke und Günter Otto haben keine Erinnerungen. „Tut mir leid, aber das ist einfach zu lange her“, sagt genauso Klaus Jura, obwohl besonders er Saarbrückens Schlussmann beim Stand von 0:0 mit gefährlichen Abschlüssen mehrfach ins Schwitzen gebracht hatte. Auch schön: Stopper Werner Hesse auf Seite der Malstatter fehlte, weil er sich im Urlaub befand.

Aus dem Stand ein Achtelfinalist

Ein Sieg in Saarbrücken hätte übrigens direkt den Einzug ins Viertelfinale bedeutet. Denn an der ersten Runde des DFB-Vereinspokals nahmen seinerzeit nur 16 Mannschaften teil. Zu einem Erfolgsjahr sollte das Jahr 1963 für die VfL-Fußballabteilung trotzdem noch werden. Neben der Premiere im Pokal gab es den Einzug ins Endspiel um die Amateurmeisterschaft zu feiern plus Qualifikation für die ebenfalls neugeschaffene Regionalliga Nord. Bis zum ersten Sieg im DFB-Pokal sollte es noch elf Jahre beziehungsweise sechs weitere Erstrunden-Anläufe dauern. Und bis zum ersten Viertelfinal-Einzug gar bis zum Jahr 1995. Dann allerdings rauschte Grün-Weiß auch direkt durch bis ins Endspiel.

Das erste DFB-Pokalspiel des VfL Wolfsburg im Stenogramm:

1. FC Saarbrücken: Volker Danner – Hans-Günter Grund, Erich Rohe – Albert Port, Hans-Dieter Diehl, Manfred Klein – Friedel Reuther, Heinz Vollmar, Dieter Krafczyk, Karl Meng, Rainer Schönwälder

VfL Wolfsburg: Heiner Winneke – Marian Foitzik, Uwe Funke – Rolf Köter, Hannes Klitzke, Heinz Fischer – Hermann Bussius, Otto Bode, Wilfried Kemmer, Günter Otto, Klaus Jura 

Tore: 1:0 Port (68.), 2:0 Schönwälder (73.), 3:0 Schönwälder (84.)

Schiedsrichter: Alois Wieser (Köln)

Zuschauende: 2.000 am Sonntagnachmittag im Stadion Kieselhumes in Saarbrücken

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