Lehrgeld auf dem Kieselhumes

Vor 60 Jahren bestritt der VfL Wolfsburg beinahe unbeachtet seine erste Partie im DFB-Pokal.

Als die Bundesliga vor bald genau sechs Jahrzehnten ihren Betrieb aufnahm, da musste sie bekanntlich noch ohne den VfL Wolfsburg auskommen. Genau in diese Zeit fĂ€llt dafĂŒr ein anderes JubilĂ€um der Wölfe, denn an diesem Freitag vor exakt 60 Jahren traten sie erstmals in ihrer Vereinsgeschichte im DFB-Pokal an. Zu einer VfL-Feierstunde taugte die Premiere im Stadion des designierten Bundesligisten 1. FC SaarbrĂŒcken zwar nicht, denn Aufwand und Ertrag gerieten letztlich in ein MissverhĂ€ltnis. Zumindest aber verkauften sich die GrĂŒn-Weißen teuer.

Nicht automatisch gesetzt

Dass der VfL zuvor nie im seit 1935 ausgetragenen DFB-Pokal hatte mitmischen dĂŒrfen, hatte mehrere GrĂŒnde. Erstens, logisch, wurde der Klub erst 1945 gegrĂŒndet und brauchte naturgemĂ€ĂŸ fĂŒr die nötige Wettbewerbsreife Zeit. Zweitens wurde der Modus zur Qualifikation Mitte des letzten Jahrhunderts mehrfach geĂ€ndert, was es GrĂŒn-Weiß in den einzelnen Jahren unterschiedlich stark erschwerte, ein Ticket zu lösen. In der Regel fĂŒhrte der einzige Weg ĂŒber ein erfolgreiches Abschneiden im Regionalpokal. Und hier, drittens, kamen die Wölfe hĂ€ufig nicht weit. Im 18. Jahr ihres Bestehens jedoch schafften sie es nun durch den Flaschenhals, der aus einem vorgeschalteten Sommerturnier im Norddeutschen Pokal bestand. Drei Runden galt es zu ĂŒberstehen. Der VfL schaffte sie dank glatter Erfolge ĂŒber den VfL OsnabrĂŒck (3:0), den SC Union 03 Altona (5:0) sowie den VfB LĂŒbeck (4:1) – und war endlich startberechtigt fĂŒr den DFB-Vereinspokal. 

Das Gegenteil von LosglĂŒck

Werder Bremen, der HSV, 1860 MĂŒnchen oder Borussia Dortmund als Gegner hĂ€tten am Elsterweg vermutlich fĂŒr klingelnde Kassen gesorgt. Stattdessen gab es lange Gesichter: Die Auslosung ergab nicht nur ein AuswĂ€rtsspiel, sondern auch noch eine Ochsentour. Weiter weg als ins Stadion Kieselhumes des 1. FC SaarbrĂŒcken hĂ€tte es kaum gehen können. In ihrem ersten Pflichtspiel außerhalb des Fußballnordens wurden die Wölfe am 23. Juni 1963 dort von rund 2.000 Zuschauenden empfangen. Die Gastgeber, die zwei Monate spĂ€ter als GrĂŒndungsmitglied ins Abenteuer Bundesliga starteten, betrachteten die klassenniedrigeren Niedersachsen sicherlich als Pflichtaufgabe. Der VfL jedoch verblĂŒffte, verteidigte nicht nur lange erfolgreich die Null, sondern hĂ€tte vor der Pause auch mehrfach beinahe zugeschnappt. SaarbrĂŒcken allerdings, ganz der abgebrĂŒhte Favorit, genĂŒgte ein plötzliches FĂŒhrungstor (68.), um den Widerstand zu brechen. Zwei schnelle weitere Treffer zum 0:3-Endstand aus VfL-Sicht (73./84.) verstellten letztlich den Blick auf einen couragierten grĂŒn-weißen Auftritt. Von den Wolfsburger Nachrichten bekamen die Wölfe gar eine „großartige Leistung“ attestiert.

Einer verreiste lieber

Losgelöst vom Ergebnis: Im GefĂŒhl, einen Meilenstein zu setzen, trat der Amateur-Oberligist, der mit zwei Tagen Vorlauf ins Saarland reiste und ohne Abwehrkante Wilfried Reckel auskommen musste, seinerzeit wohl nicht an. Der große Zauber des DFB-Pokals, in jener Saison letztmalig im Kalenderjahr ausgetragen, sollte sich erst Jahre spĂ€ter entfalten. Nicht nur die eher maue Kulisse wies auf einen noch unterentwickelten Stellenwert hin, auch ist von der Partie an jenem Ort, wo einst Saarlands Nationalmannschaft ihre LĂ€nderspiele bestritt, mit Ausnahme eines eingescannten Zeitungsbildes – netterweise zur VerfĂŒgung gestellt von der SaarbrĂŒcker Zeitung – kein einziges Foto ĂŒberliefert. Passend dazu hat sich bei keinem greifbaren VfL-Aktiven von damals die Begegnung wirklich eingeprĂ€gt. „Ich weiß noch, dort gespielt zu haben. Aber konkret habe ich nichts mehr vor Augen“, so etwa Heinz Fischer. Auch Uwe Funke und GĂŒnter Otto haben keine Erinnerungen. „Tut mir leid, aber das ist einfach zu lange her“, sagt genauso Klaus Jura, obwohl besonders er SaarbrĂŒckens Schlussmann beim Stand von 0:0 mit gefĂ€hrlichen AbschlĂŒssen mehrfach ins Schwitzen gebracht hatte. Auch schön: Stopper Werner Hesse auf Seite der Malstatter fehlte, weil er sich im Urlaub befand.

Aus dem Stand ein Achtelfinalist

Ein Sieg in SaarbrĂŒcken hĂ€tte ĂŒbrigens direkt den Einzug ins Viertelfinale bedeutet. Denn an der ersten Runde des DFB-Vereinspokals nahmen seinerzeit nur 16 Mannschaften teil. Zu einem Erfolgsjahr sollte das Jahr 1963 fĂŒr die VfL-Fußballabteilung trotzdem noch werden. Neben der Premiere im Pokal gab es den Einzug ins Endspiel um die Amateurmeisterschaft zu feiern plus Qualifikation fĂŒr die ebenfalls neugeschaffene Regionalliga Nord. Bis zum ersten Sieg im DFB-Pokal sollte es noch elf Jahre beziehungsweise sechs weitere Erstrunden-AnlĂ€ufe dauern. Und bis zum ersten Viertelfinal-Einzug gar bis zum Jahr 1995. Dann allerdings rauschte GrĂŒn-Weiß auch direkt durch bis ins Endspiel.

Das erste DFB-Pokalspiel des VfL Wolfsburg im Stenogramm:

1. FC SaarbrĂŒcken: Volker Danner – Hans-GĂŒnter Grund, Erich Rohe – Albert Port, Hans-Dieter Diehl, Manfred Klein – Friedel Reuther, Heinz Vollmar, Dieter Krafczyk, Karl Meng, Rainer SchönwĂ€lder

VfL Wolfsburg: Heiner Winneke – Marian Foitzik, Uwe Funke – Rolf Köter, Hannes Klitzke, Heinz Fischer – Hermann Bussius, Otto Bode, Wilfried Kemmer, GĂŒnter Otto, Klaus Jura 

Tore: 1:0 Port (68.), 2:0 SchönwÀlder (73.), 3:0 SchönwÀlder (84.)

Schiedsrichter: Alois Wieser (Köln)

Zuschauende: 2.000 am Sonntagnachmittag im Stadion Kieselhumes in SaarbrĂŒcken

Veröffentlicht auf der VfL-Homepage am 23. Juni 2023.