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„Pele war genau wie erwartet“
Am 3. Juni 1961 stand Fußball-Wolfsburg – ausnahmsweise zu dieser Zeit – völlig Kopf. Denn Volkswagen hatte es fertiggebracht, die Startruppe des FC Santos für ein Freundschaftsspiel gegen die Wölfe zu gewinnen. Pünktlich zum großen Jubiläum hat der Autobauer seine Archive geöffnet und bislang unveröffentlichte Bilder erschlossen, die das mit Weltmeistern gespickte Spitzenteam um seinen Superstar Pele bei einer Werksbesichtigung und im VfL-Stadion zeigen. Die meisten bekannten anderen Motive rund um die Partie stammen aus der Kamera eines Mannes, der damals selbst am Elsterweg mitgewirkt hat. Schon vor Jahren hat Günter Klinzmann, zwischen 1960 und 1962 als Außenstürmer für die Grün-Weißen am Ball, dem VfL Wolfsburg seine Fotos zur Verfügung gestellt. Im Interview berichtet der 78-Jährige, der heute im Emsland lebt, wie die Bilder zustande kamen und wie er den Rummel um den brasilianischen Ausnahmekönner erlebte.
Günter Klinzmann, können Sie uns erklären, was eine Voigtländer Vito ist?
Günter Klinzmann: Sehr gern. Vito ist die Typenbezeichnung für eine Kamera der Firma Voigtländer. Das war eine einfache, aber gute Kamera. Zu meiner Schulzeit habe ich mir so eine zugelegt, nachdem ich sie mir durch Ferienarbeit verdient hatte. Fotografieren war mein großes Hobby.
Und so etwas nahm man 1961 gern mit ins Stadion – als Spieler?
Klinzmann: Im Grunde war es in diesem Fall so. Allerdings habe ich rund ums Pele-Spiel nicht selbst fotografiert, sondern die Kamera meinem Mitspieler Hans Legat übergeben. Er kam an diesem Tag nicht zum Einsatz. Deshalb habe ich ihn gefragt, ob er ein paar Bilder machen könnte.
Zum Glück ist Legat ihrer Bitte gefolgt. Ansonsten würden viele markante Fotos von einem der legendärsten Spiele der Vereinsgeschichte gar nicht existieren. Wie hatten Sie und die Mannschaft damals überhaupt davon erfahren, dass der FC Santos kommt?
Klinzmann: Genau weiß ich es nicht mehr. Aber für uns Spieler war es eine gewaltige Überraschung, so viel kann ich sagen. Man hat es uns jedenfalls erst mitgeteilt, als die Austragung absolut sicher war. Wahrscheinlich kurz nach Abschluss der alten Saison.
Dort, in der Amateur-Oberliga Niedersachsen Ost, hatten Sie es üblicherweise mit Kalibern wie dem VfB Peine, dem TuS Celle oder Union Salzgitter zu tun. Wie geht man dann plötzlich ein Spiel gegen Weltmeister an?
Klinzmann: Wir hatten ja überhaupt keinen Druck. Natürlich war man angespannt und aufgeregt, vor allem wir jungen Spieler. Auch die Kulisse war mehr als ungewohnt für uns. Aber die Vorbereitung verlief recht normal. Ich wohnte damals in Velpke und wurde mit einem Bulli zu Hause abgeholt. Es gab damals einige nette Helfer im Umfeld des Vereins, die sich um diese Fahrdienste kümmerten. Vor dem Spiel wurden wir dann massiert, haben uns warmgemacht. Und dann ging es los.
Als es nach 20 Minuten schon 0:3 stand, musste man wohl von einem Debakel ausgehen. Dann hat sich der VfL aber noch achtbar geschlagen.
Klinzmann: Wie weit Amateure über sich hinauswachsen könnten, dafür gibt es ja natürliche Grenzen. Die Santos-Spieler waren selbstverständlich technisch ganz anders ausgebildet und vor allem wesentlich schneller. Aber wir haben gekämpft und noch ein ordentliches 3:6 rausgeholt.
Santos hatte auch etliche andere Stars im Team. Sie haben ihn aus der Nähe erlebt: Warum ragte Pele trotzdem heraus?
Klinzmann: Klar, auf ihn waren alle am meisten gespannt. Er war ja erst 20 Jahre alt, obwohl er schon 1958 Weltmeister geworden war. Ich würde sagen: Pele war genauso, wie man ihn erwartet hatte. An seine brillante Ballbehandlung und technischen Finessen kann ich mich gut erinnern. Und wie er sich in die Luft geschraubt hat! Mit seiner Sprungkraft hat er auch Leute überragt, die einen Kopf größer waren als er.
Nach Abpfiff entstand ein legendäres Foto, das schon häufig in den VfL-Medien Verwendung gefunden hat. Sie stehen dort Arm in Arm mit Pele und haben noch Gerhard Schrader und Hans-Georg Felleckner neben sich. Wie kam dieses Bild zustande?
Klinzmann: Das hat ebenfalls Hans Legat gemacht. Ich bin nicht mehr sicher, ob ich Pele angesprochen habe oder ob Hans uns alle zusammengeschoben hat. Vermutlich eher Letzteres. Es waren viele Leute auf dem Rasen nach Spielschluss, auch ein paar Leute von der Presse. Und Hans hat sich mit meiner Kamera einfach zwischen sie gemischt. Vor ein paar Jahren haben wir dieses Bild bei einem Ehemaligentreffen in Wolfsburg übrigens noch einmal nachgestellt – und an Peles Position eine Lücke gelassen.
Pele und die anderen durften Sie seinerzeit sogar noch persönlich kennenlernen: Im Ratskeller gab es einen gemeinsamen Empfang.
Klinzmann: Ja, das war toll: Volkswagen hatte zur besseren Verständigung extra Dolmetscher bereitgestellt. Es entwickelte sich eine richtig gemütliche und nette Atmosphäre. Alle hatten Anzüge an, wir auch. Ich habe noch vor Augen, wie einige Santos-Spieler dicke Zigarren rauchten. Außerdem sind dort noch viele Bilder entstanden. In diesem Fall habe ich auch selbst fotografiert. Die Fotos habe ich anschließend übrigens selbst entwickelt.
Und später dann im Mannschaftskreis verteilt?
Klinzmann: Garantiert. Wahrscheinlich habe ich ein Album gebastelt und eine nummerierte Liste erstellt. So habe ich es damals immer gemacht. Auf die Liste haben Mitspieler dann ihre Namen geschrieben und, wenn sie ein Foto haben wollten, entsprechende Kreuze gesetzt.
Der FC Santos ist damals durch ganz Europa gereist und hatte vor dem Spiel am Elsterweg bereits 18 Partien in 45 Tagen abgespult. Wie haben Sie in diesem Zusammenhang die Brasilianer wahrgenommen? Waren die ernsthaft an einem kulturellen Austausch interessiert?
Klinzmann: Schwer zu sagen. Die Spieler haben alle Fragen beantwortet, das schon. Aber so richtig Auge in Auge konnte man eher nicht mit ihnen reden. Ihr Programm war natürlich auch stattlich. In Wolfsburg hatten sie tagsüber eine Werksbesichtigung, am frühen Abend das Spiel, wobei es ziemlich warm war an diesem Tag. Und nach dem Ratskeller-Besuch ging es gleich weiter. Ich meine, direkt am nächsten Abend ist Santos schon in Rotterdam angetreten.
Wenn man Pele heute nach seinem Wolfsburg-Besuch fragen würde: Woran würde er sich wohl erinnern?
Klinzmann: (lacht) Das ist eine gute Frage. Wenn man sich mal vor Augen führt: Der Mann ist mit 17 Jahren Weltmeister gewesen, wurde es 1962 und 1970 dann noch mal. Für Santos hat er weit über 600 Spiele bestritten, danach war er noch einige Zeit bei Cosmos in New York. Vor diesem Hintergrund würde es verwundern, wenn er an eine Partie gegen den VfL Wolfsburg noch Erinnerungen hätte. Wahrscheinlich hätte ihm Fredi Reckel, sein Gegenspieler, dafür mal richtig vors Schienbein treten müssen. Das hat er zum Glück allerdings nicht getan.