Frauen

„Wir teilen viel“

Eike Herding und Alisa Vetterlein über ihre Arbeit als Torwarttrainer-Duo der Wölfinnen.

Bei den Frauen des VfL Wolfsburg nahmen in dieser Saison mit Katarzyna Kiedrzynek, Almuth Schult und Lisa Weiß bereits drei verschiedene Torfrauen den Platz zwischen den Pfosten ein, die bei vielen anderen Bundesligisten wohl die Nummer eins wären. Zudem steht mit Julia Kassen ein vielversprechendes Talent in den Startlöchern – ein Torwartproblem sieht anders aus. Dass dies so ist und auch in Zukunft so bleibt, haben die Wölfinnen auch ihrem Torwarttrainer-Gespann zu verdanken. Seit dieser Saison sorgt mit Eike Herding und Alisa Vetterlein ein Duo für den sicheren Rückhalt der Grün-Weißen. Im Interview sprechen sie über die Herausforderungen als „Team im Trainerteam“.

Eike Herding, Alisa Vetterlein, deutsche Torhüter und Torhüterinnen gelten als die weltweit besten ihrer Zunft. Haben wir auch die besten Torwarttrainer?

Alisa Vetterlein: Dass wir die Besten sind, ist vielleicht ein bisschen übertrieben. Ich glaube aber schon, dass wir eine sehr gute Ausbildung im Torwartbereich haben. Die klassisch deutschen Tugenden fallen uns Trainern immer wieder im positiven Sinne auf die Füße, wir zehren davon. Wir und viele andere in Deutschland arbeiten unglaublich akribisch.

Eike Herding: Ich glaube, es ist auch einfach anders, was in anderen Nationen gelernt wird. Daher ist eine Bewertung, was besser und was schlechter ist, meistens schwierig. Wenn ich daran denke, dass der Hüftdrehstoß sehr erfolgreich aus Südamerika nach Europa importiert wurde, lernen wir alle voneinander.

Torhüterinnen gelten oft als Team im Team und besondere Charaktere. Ist da etwas dran?

Herding: Definitiv. Zusammen mit ihnen sind ein kleiner, intimer Kreis, in dem wir viel teilen, viel Spaß haben und auch bewusst Dinge bespielen können, die in der Gesamtmannschaft eher untergeordnete Rollen spielen. Unser Vertrauensverhältnis ist sehr groß.

Vetterlein: Ich sehe in einer so kleinen Gruppe fast nur Vorteile, weil man immer einen geschützten Raum hat, in dem man sich komplett ausprobieren kann. Im großen Mannschaftsverbund könnte so etwas in Kritik enden oder einem auf die Füße fallen.

Worauf kommt es im modernen Torwarttraining an?

Herding: Spannende Frage! Manuel Neuer ist beispielsweise ein Torhüter, der in seinen Einheiten fast ausschließlich Techniken trainiert. Als Gegenbeispiel wird in der Torwartschule der TSG 1899 Hoffenheim komplex in Spielsituationen trainiert. Es gibt also zwei Ansätze. Mir liegt der komplexe Ansatz näher, weil er enger am tatsächlichen Spielgeschehen ist. Wenn die einfachen Basics aber nicht stimmen, muss man daran arbeiten, um das Selbstvertrauen in die eigenen Fähigkeiten zu erlangen. Worauf man aber gerade mehr den Fokus setzt, ist ein ständiger Prozess und Abwägen.

Vetterlein: Es hat auch viel damit zu tun, womit man die Torhüterin am Ende wirklich abholt. Es ist immer die Frage: Was erfordert das nächste Spiel von mir als Torhüterin? Daraus leitet sich für uns die Frage ab: Wie bereiten wir die Torhüterin darauf am besten vor? Das können Techniken oder eben spielnahe Situationen sein.

Ihr seid ein Torwarttrainer-Duo, wie teilt ihr euch die Aufgaben im Team auf?

Herding: Grundsätzlich eng aneinander. Schwerpunktmäßig habe ich den Blick auf die erste Mannschaft und alles, was in deren Umfeld passiert. Alisa kümmert sich mehr um den Nachwuchs und die U20. Wir versuchen aber, so intensiv zu kommunizieren, dass wir beide einen gleichen Blick auf die Dinge haben. Nur so können wir als Einheit auftreten. Sobald da etwas dazwischen wäre, wird es schwierig.

Vetterlein: Unsere enge Zusammenarbeit ist auch ein wichtiger Faktor dafür, dass wir den Übergang zwischen Nachwuchs und erster Mannschaft schaffen können. Ich versuche bewusst, Themen von oben in den Nachwuchs hineinzutragen – natürlich angepasst auf das jeweilige Alter. So haben wir ein „Torwartprogramm“, das sich von oben nach unten im Frauenbereich durchzieht.

Unsere enge Zusammenarbeit ist auch ein wichtiger Faktor dafür, dass wir den Übergang zwischen Nachwuchs und erster Mannschaft schaffen können. Ich versuche bewusst, Themen von oben in den Nachwuchs hineinzutragen – natürlich angepasst auf das jeweilige Alter.
Alisa Vetterlein

Ihr seid sehr nah an den Torhüterinnen dran und könnt sie demnach auch sehr gut einschätzen. Wie fallen die Entscheidungen, wer spielt?

Herding: Die Entscheidung trifft am Ende immer der Cheftrainer. Wir geben unsere Meinung über den aktuellen Status ab und auch die Perspektive, die wir sehen. Wenn der Cheftrainer aber eine andere Einschätzung hätte als wir, tragen wir diese zu hundert Prozent mit. Aktuell ist bei uns aber die Situation recht klar und alles Weitere wird sich in den nächsten Wochen zeigen.

Wie läuft die generelle Kommunikation im Trainerteam ab? Wünscht sich der Cheftrainer schon einmal, dass ihr an bestimmten Dingen arbeitet oder habt ihr komplett freie Hand?

Herding: Es ist eher sogar umgekehrt. Wir brauchen und fordern mehr von der Mannschaft, weil wir im Torwarttraining das Spiel nur bis zu einem Grad simulieren können. Wir sind in der Lage, gewisse Spielsituationen anzudeuten. Die Komplexität mit Spielerinnen und deren individuelle Bewegungsmuster nachzuahmen, können wir aber nicht leisten. Das ist elementar wichtig und das sind Bausteine, die wir, so spielnah wie möglich, immer wieder einfordern.

Vetterlein: Es kommt ja auch darauf an, wie wir ein Tor gemeinsam verteidigen oder einen Angriff über den Torwart starten. Wie wir im Verbund besser zusammenarbeiten, ist das, was zählt. Deswegen wird mir bei TV-Übertragungen oft zu schnell die Schuld alleine beim Torwart gesucht.  Dass sich auch die Verteidigerin im Vorfeld schlecht verhalten hat, wird oft nicht thematisiert. Deshalb finde ich es sehr positiv, dass es bei uns im gesamten Trainerteam offene Ohren für unsere Anliegen gibt.

Ihr betreut mit Katarzyna Kiedrzynek, Almuth Schult und Lisa Weiß drei Torhüterinnen, die wohl in den meisten Bundesligateams die Nummer eins wären. Wie hält man diese alle bei der Stange?

Herding: Es ist wichtig, dass man einen engen Austausch hat und die Rollen und Aufgaben dementsprechend klar sind. Ich würde auch hier noch Julia Kassen, die ganz fest zu uns zählt, explizit nennen. Wir versuchen aber auch, bei Enttäuschungen zu begleiten, wobei das jedoch auch von der Bereitschaft des Gegenübers abhängt. Unser Ansatz ist es, immer die Nummer zwei und drei so weit zu fördern, dass sie sofort Stammtorhüterin sein könnten, sollte die etatmäßige Frau zwischen den Pfosten ausfallen oder in einer schlechten Phase sein.

Und wie baut man in dieser Situation noch ein Talent wie Julia Kassen auf?

Vetterlein: Auch hier geht es darum, dass jeder seine Rolle kennt. Julia hat zudem die Möglichkeit, in der U20 Spielzeit zu bekommen. Es ist unsere Aufgabe, jede Torhüterin individuell zu begleiten und so vorzubereiten, dass sie jederzeit einsatzbereit wäre – auch Julia. Man muss hier auch die langfristige Perspektive im Auge behalten.
 

Alisa Vetterlein, Ihre sportliche Laufbahn mit dem UWCL-Sieg 2013 und dem Karriereende in Hoffenheim ist bekannt. Wie ging es für Sie danach weiter?

Vetterlein: Mein Karriereende habe ich nicht selbstbestimmt so getroffen, sondern es war gesundheitsbedingt leider unumgänglich. Deswegen hatte ich die ersten zwei Jahre ehrlich gesagt überhaupt keinen Bock auf Fußball – weder als Spielerin noch als Trainerin. Ich musste erstmal Abstand gewinnen von all diesen Emotionen. Nach dem Studium gab es für mich zunächst einige sportferne Stationen im Arbeitsleben. Irgendwann habe ich mich dann aber gefragt: Was kannst du eigentlich wirklich am besten? Und da war für mich klar, dass ich auf den Platz zurück möchte. Und da das als Spielerin nicht mehr funktioniert, war die Trainerlaufbahn die logische Folge. Mein Einstieg war bei Viktoria Köln im Nachwuchsleistungszentrum. Beim DFB habe ich auch noch hospitiert, ehe ich hier zum VfL als Torwarttrainerin des weiblichen Nachwuchses zurückgekehrt bin.

Mit Almuth Schult trainieren Sie jetzt Ihre Nachfolgerin im VfL-Tor und auch mit Lisa Weiß haben Sie noch eine Vergangenheit als Spielerin. Welche besonderen Herausforderungen bringt das mit sich?

Vetterlein: Das werde ich tatsächlich häufig gefragt. Wir kannten uns als Spielerinnen und hatten da einige harte Momente, in denen wir uns ordentlich duelliert haben. Das Verhältnis zwischen uns Dreien ist wirklich gut. Wir haben gemeinsame Momente, auf die wir zurückblicken können. Es ist eine schöne Aufgabe, Spielerinnen, mit denen man auf dem Platz zu tun hatte, jetzt zu begleiten. Ich habe großen Spaß an der gemeinsamen Arbeit und durchaus den Eindruck, dass dies auf Gegenseitigkeit beruht.

Eike Herding, Sie kamen 2019 nach sechs Jahren SV Werder Bremen zu den VfL-Frauen. Die aktive Karriere haben Sie wegen Ihres Studiums früh beendet. Blicken Sie doch bitte einmal darauf zurück.

Herding: Ich habe in Köln Sportwissenschaft studiert und dort auch niederklassig noch ein bisschen mitgekickt. Für meine C-Lizenz brauchte ich Trainererfahrung, deshalb war ich kurzfristig Co-Trainer einer Frauenmannschaft und nach zwei Wochen unabsichtlich schon Cheftrainer. Nach dem Abschluss meines Studiums 2010 habe ich zunächst hauptamtlich als Sporttherapeut gearbeitet und war unter anderem bei Borussia Mönchengladbach parallel als Trainer aktiv. Beruflich wollte ich anderweitig Fuß fassen. Weil das aber nicht ganz so funktioniert hat, habe ich mich beim SV Werder Bremen auf ein Praktikum als Reha- und Athletiktrainer im Nachwuchsleistungszentrum beworben. Das lief so gut, dass ich dort verschiedene Erfahrungen sammeln konnte und dort auch Schritt für Schritt mehr Verantwortung übernehmen durfte. Für diese Zeit bin ich sehr dankbar. Fest angestellt war ich in Bremen in der Fußballschule bis zu dem Zeitpunkt, als sich 2019 der Schritt zum VfL ergab.

Als ehemaliger aktiver männlicher Torwart: Können Sie Unterschiede in der täglichen Arbeit mit Torhüterinnen erkennen?

Herding: Männer hinterfragen weniger, die machen einfach. Hauptsache, du hattest deine Erfolgserlebnisse. Aus der jetzigen Trainerperspektive hätte ich mich vielleicht ein wenig mehr mit der Thematik befasst und so vielleicht einen anderen Weg eingeschlagen. Im Männerbereich kommt es weniger auf die perfekte Technik an, weil du mit deiner Dynamik Situationen auch anders lösen kannst.

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