Männer

Von Titan und Beton

Kamil Grabara im Interview über „Erinnerungen für die Ewigkeit“.

Nach neun Jahren beim VfL Wolfsburg reichte der nach Saudi-Arabien abgewanderte Koen Casteels das Zepter weiter. Dass Kamil Grabara sein Nachfolger zwischen den Pfosten der Wölfe werden würde, stand bereits früh fest. Der polnische Keeper erlebte im DFB-Pokal bei der TuS Koblenz noch einen ruhigen Arbeitstag, rückte bei seiner Premiere in der Volkswagen Arena aber in den Fokus. Im Interview blickt der 25-Jährige auf sein Bundesliga-Debüt zurück, spricht über seine harten Anfänge in Polen und erzählt, warum er seinen Job so liebt.

Kamil Grabara, nach dem Heimspiel gegen den FC Bayern München gab es viele positive Reaktionen, unter anderem bist du in der „Elf des Tages“ des kicker aufgestellt worden. Wie hast du persönlich deine Leistung gesehen?

Kamil Grabara: Ich bin sehr froh darüber, dass ich die Mannschaft so lange im Spiel halten konnte. An einem anderen Tag oder gegen einen anderen Gegner hätte es vielleicht für einen Sieg oder zumindest ein Unentschieden gereicht. Wir müssen nicht sauer sein, weil wir viel richtig gemacht haben. Aber die Realität ist eben, dass wir ohne Punkt dastehen – und das zählt. 

Mit dem FC Kopenhagen hast du den Bayern im November vergangenen Jahres noch ein torloses Remis in der Champions-League-Gruppenphase abluchsen können. Inwieweit hat dir das in der Vorbereitung auf das erneute Wiedersehen geholfen?

Grabara: In keinster Weise. Erst einmal gibt es einen riesigen Unterschied zwischen der Liga und der Champions League. Außerdem haben sie inzwischen einen neuen Coach und ihren Spielstil geändert.

Du bist seit etwa zwei Monaten in Wolfsburg. Wie hast du dich eingefunden?

Grabara: Der Start hier war wirklich entspannt. Es war schon lange klar, dass es für mich nach Wolfsburg geht. Deshalb konnte ich zusammen mit dem Verein schon die wichtigsten Dinge wie die Suche nach einem neuen Zuhause in die Wege leiten. Als wir hier angekommen sind, waren auch alle Kleinigkeiten, die man normalerweise in den ersten Wochen abarbeiten muss, bereits erledigt.

Und wen hast du nach Wolfsburg mitgebracht?

Grabara: Ich lebe hier mit meiner kleinen Familie, bestehend aus meiner Verlobten Dominika und unserem Dachshund.

Eine Person, die dich auch sehr gut kennt, ist Peter Christiansen. Wolfsburg ist nach Aarhus und Kopenhagen eure dritte gemeinsame Station. „Kamil ist Kamil“, sagte der VfL-Geschäftsführer nach deiner Verpflichtung. Wie ist Kamil eigentlich?

Grabara: Für Menschen, die nicht jeden Tag in meiner Nähe sind, ist es schwierig zu verstehen, wie ich bin. Nicht jeder kennt mich. Ich versuche, die beste Version meiner Selbst zu sein – für meine Mitspieler und alle Menschen um mich herum.

Erfolg beginnt schon beim Mindset: Du musst die Ziele hochstecken und das Beste von dir erwarten.
Kamil Grabara

Christiansen meinte auch, dass er noch nie jemanden in der Kabine hatte, der mehr gewinnen wollte als du. Woher kommt dieser enorme Siegeswille?

Grabara: Wenn du als Profisportler kein Problem damit hast zu verlieren, dann ist das kein gutes Zeichen. Natürlich kann man nicht nach jeder Niederlage durchdrehen, aber ich hasse es zu verlieren. In den vergangenen Jahren hatte ich das Glück, nicht allzu viele Niederlagen kassieren zu müssen. Und wenn man sich ans Gewinnen gewöhnt hat, möchte man sich natürlich nicht wieder umstellen. Erfolg beginnt schon beim Mindset: Du musst die Ziele hochstecken und das Beste von dir erwarten.

In den Medien wirst du oft mit den Attributen extrovertiert, wild und crazy beschrieben. Was unterscheidet den Torhüter vom privaten Kamil?

Grabara: Ich versuche immer noch herauszufinden, warum ich so oft crazy genannt werde. Wenn ich so darüber nachdenke, fällt mir kein plausibler Grund ein. Der Mann mit der Maske ist dieselbe Person wie Kamil. Vielleicht bin ich privat noch etwas ruhiger.

Es wird ja gerne gesagt, dass Torhüter speziell und ein bisschen verrückt sein müssen…

Grabara: Das höre ich oft und finde es ehrlich gesagt auch etwas ignorant. Einen Torhüter zeichnet so viel mehr aus als nur Verrücktheit. Wir wissen zumindest um die Schwierigkeit unseres Jobs und pushen uns gegenseitig zu Bestleistungen.

Was macht die Rolle als Keeper für dich so besonders?

Grabara: Große Dinge sind mit großer Verantwortung verbunden. Es gibt keine gefährlichere Position als die des Torhüters. In einem Moment bist du der gefeierte Held, im anderen der Buhmann. Man weiß, wie viel Druck auf den eigenen Schultern lastet. Auch deshalb liebe ich meinen Job. Und das ist wichtig, denn sonst wird das Tor schnell zum Gefängnis.

In welchem Moment wusstest du, dass du unbedingt Torhüter werden möchtest?

Grabara: Das müsste schon ziemlich am Anfang meiner Karriere mit sechs, sieben Jahren gewesen sein. Ich fand es schon immer faszinierend, dass sie ein anderes Trikot als der Rest des Teams tragen, etwas Besonderes sind. Torhüter spielen dasselbe Spiel, nur anders. Vielleicht haben mir auch die nötigen Fähigkeiten am Ball gefehlt, um außerhalb des Tores zu bestehen… Deshalb bin ich einfach dabeigeblieben.

Uns ist zu Ohren gekommen, dass du in den ersten Jahren noch unter erschwerten Bedingungen trainiert hast… 

Grabara: Das stimmt! Ich hatte nicht das Glück, immer auf Rasenplätzen zu trainieren. Bei meinem polnischen Heimatklub Wawel Wirek haben wir unsere Einheiten auf Kies und Beton absolviert.

Dann sind Flugparaden wahrscheinlich ausgeblieben, oder?

Grabara: Nein, ich bin gesprungen, als wäre es Gras gewesen. Ich wollte auf keinen Fall ein Training hinter mir lassen, bei dem ich nicht 100 Prozent gegeben habe. Ich trage immer noch einige Narben aus dieser Zeit. Das sind Erinnerungen für die Ewigkeit. Mittlerweile sind es positive Erinnerungen, das war aber nicht immer so.

Du trägst seit einer heftigen Kollision vor zwei Jahren eine markante Maske, hast zudem auch mehrere Titanplatten und Schrauben im Gesicht. Beeinflusst dich das im Spiel?

Grabara: Null Prozent. Die Maske werde ich für den Rest meiner Karriere tragen und dieser Gedanke gefällt mir auch. Sie gehört zu mir und ist mittlerweile auch mein Markenzeichen geworden. Ich möchte nicht, dass mir so etwas wie damals noch einmal passiert.

Der Spitzname „Titan“ ist leider bereits an Oliver Kahn vergeben. Welcher würde für dich infrage kommen?

Grabara: Oliver Kahn ist eine Legende, er hat sich diesen Spitznamen redlich verdient und soll ihn behalten. Ich brauche keinen Spitznamen.

Wieso ist deine Maske eigentlich blau und nicht grün?

Grabara: Wir haben blaue Torhütertrikots, da passt meine blaue Maske perfekt – und die begleitet mich schon eine Weile. Ich habe auch noch eine schwarze Maske, aber solange es gut läuft, werde ich sie wohl nicht wechseln. Wenn es mal schlecht läuft, kann ich das immer noch machen.

Am Samstag geht’s für die Wölfe zum nördlichsten Team der Bundesliga nach Kiel. Was erwartest du von unserem ersten Auswärtsspiel?

Grabara: Wir müssen nach der starken Performance gegen die Bayern zeigen, dass diese kein Zufall war. Für Kiel ist es das erste Bundesliga-Heimspiel in der Vereinsgeschichte. Sie werden dementsprechend heiß sein, aber das werden auch wir.

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