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„Ein bisschen surreal ist es immer noch“

Im Interview: Julian Klamt über sein emotionales Bundesliga-Debüt, die Liebe zum VfL und das Saisonfinale in Gladbach.

Mit weit über 300 Einsätzen für die ehemalige U23 hat Julian Klamt als Rekordspieler längst seinen Platz in den Geschichtsbüchern des VfL Wolfsburg sicher. Mit seinem Debüt als Co-Trainer gegen die TSG Hoffenheim hat er nun ein weiteres Kapitel hinzugefügt: Klamt ist der erste gebürtige Wolfsburger, der die Wölfe in der Bundesliga trainiert hat. Im Interview spricht der 35-Jährige über bewegte Tage zwischen Kindheitserinnerungen und Lebenstraum, seine Premiere auf der großen Bühne und das bevorstehende Saisonfinale bei Borussia Mönchengladbach.

Julian, nach der Trennung von Ralph Hasenhüttl vor etwa zwei Wochen hast du gemeinsam mit Daniel Bauer und Tobias Holm interimsweise die VfL-Profis übernommen. Wie intensiv und verrückt waren die vergangenen Tage?

Julian Klamt: Ziemlich verrückt, ehrlich gesagt. Alles begann am Sonntagabend gegen 21.30 Uhr, als Daniel mich anrief und fragte, ob ich dabei bin – ob wir das gemeinsam machen. Ab diesem Moment ging alles Schlag auf Schlag: Am Montag um 8.30 Uhr stand schon der erste Termin hier im VfL-Center an. Viel Zeit zum Nachdenken blieb da nicht, es ging direkt von null auf hundert. Im Nachhinein war das vielleicht sogar ganz gut so. (lacht)

Was war deine erste Reaktion, als dich Daniel angerufen hat?

Julian: Ehrlich gesagt dachte ich zunächst, dass ich vielleicht für zwei Wochen die U19 als Cheftrainer übernehme – auch das wäre schon krass gewesen. So richtig greifbar war das alles aber nicht, und ist es eigentlich immer noch nicht. Die letzten zwei Wochen liefen ab wie ein Film. Wirklich realisieren werde ich das alles erst, wenn wieder etwas Ruhe einkehrt.

Würdest du sagen, dass ein Traum in Erfüllung gegangen ist?

Julian: Auf jeden Fall! Ich denke, das gilt für uns alle – für Daniel, für Holmi und auch für mich. Es ist eine besondere Situation. Ich bin seit der U13 beim VfL und habe hier meine gesamte Entwicklung gemacht. Und jetzt stehe ich plötzlich als Co-Trainer in der Volkswagen Arena oder auf dem Trainingsgelände, auf dem ich früher selbst trainiert habe. Ich bin sogar der erste gebürtige Wolfsburger im Trainerteam des VfL in der Bundesliga. Das macht es für mich noch emotionaler.

Ich bin seit der U13 beim VfL und habe hier meine gesamte Entwicklung gemacht. Und jetzt stehe ich plötzlich als Co-Trainer in der Volkswagen Arena oder auf dem Trainingsgelände, auf dem ich früher selbst trainiert habe. Ich bin sogar der erste gebürtige Wolfsburger im Trainerteam des VfL in der Bundesliga. Das macht es für mich noch emotionaler.
Julian Klamt

Du bist also ein echtes VfL-Urgestein. Was bedeuten dir die Stadt Wolfsburg und der Klub ganz persönlich?

Julian: Wolfsburg ist meine Heimat – ganz einfach. Ich bin hier geboren, aufgewachsen und habe die Stadt nie verlassen. Und der VfL spielt dabei eine zentrale Rolle. Ich bin mit dem Verein groß geworden. Schon bevor ich selbst in der Jugend gespielt habe, hat mich mein Vater mit an den Elsterweg genommen. Neben meiner Familie ist der VfL der größte und wichtigste Teil meines Lebens.

Was hat sich für dich geändert, seitdem du mitverantwortlich für die Wölfe bist?

Julian: Ich bin nach wie vor derselbe Mensch. Aber bei den Profis läuft natürlich vieles anders. Der Tag startet früher, dauert länger – einfach, weil das gesamte Umfeld größer ist. Trainingsplanung und Spielvorbereitung sind deutlich detaillierter. Ich nutze die Zeit, um möglichst viel mitzunehmen, zum Beispiel in den Standard-Meetings mit Pascal Formann. Davon kann ich bestimmt auch in der U19 etwas einbringen. Am Ende bleibt es aber dasselbe Spiel – nur eben auf Bundesliga-Niveau.

Auf dem Trainingsgelände brauchtest du angesichts deiner Vergangenheit keinen großen Rundgang, oder?

Julian: Man denkt, man kennt alles, aber man entdeckt immer wieder neue Ecken. (lacht) Besonders der Moment, morgens ins Center zu kommen und nicht wie früher geradeaus in die Kabine zu gehen, sondern links ins Trainerbüro abzubiegen, war schon etwas ungewohnt. Schließlich ist meine Zeit als Spieler auch schon eine Weile her.

Welche Erinnerungen schießen dir in den Kopf, wenn du auf dem Gelände der Profis unterwegs bist?

Julian: Mein erstes Training bei den Profis werde ich nie vergessen. Ich war noch Schüler, als mich mein A-Jugendtrainer anrief und sagte: „Heute Nachmittag bist du bei den Profis dabei.“ Aber es gibt noch viele weitere Erinnerungen: die berüchtigten Kraftzirkel unter Felix Magath, die internen Testspiele mit der U23 gegen die Profis oder die Trainings mit echten VfL-Legenden wie Josue oder Grafite. Diese Momente haben sich eingebrannt. Als ich das erste Mal als Trainer auf diesem Platz stand und das Training aufgebaut habe, kam all das sofort wieder hoch.

Euer Trainerdebüt gegen die TSG Hoffenheim endete trotz zweimaliger Führung mit einem Remis. Trübt das ein wenig die Erinnerung an diesen besonderen Abend?

Julian: Klar, wir hatten uns mehr erhofft – vor allem, wenn man spät in Führung geht, will man das Ergebnis über die Zeit bringen. Das trübt den Moment ein bisschen. Aber ich wusste genau, wo meine Familie sitzt, wo meine Jungs mit ihren Dauerkarten stehen. Nach dem Spiel mit den eigenen Kindern noch einmal auf den Platz zu gehen, eine Runde zu drehen und in stolze Gesichter zu blicken – das war etwas ganz Besonderes. Ein bisschen surreal ist es immer noch. Ein Sieg hätte dem Tag die Krone aufgesetzt, aber auch so wird er mir immer in Erinnerung bleiben.

Am Samstag um 15.30 Uhr steht das letzte Spiel der Saison bei Borussia Mönchengladbach an. Was für eine Bedeutung hat so ein Saisonfinale – ganz allgemein, aber vielleicht auch in der aktuellen Situation?

Julian: Ein Saisonfinale hat immer eine besondere Bedeutung. Du willst mit einem positiven Gefühl in die Sommerpause gehen. Gerade in der aktuellen Situation ist es umso wichtiger, in Gladbach einen Dreier zu holen. Wir haben im Training genau hingeschaut, wer bereit ist, für die letzten Punkte alles zu geben.

Vollgas werden auch die Fans auf den Rängen geben. Unter anderem fährt ein Sambazug nach Gladbach. Gibt das extra Motivation?

Julian: Absolut. Der Support unserer Fans war in dieser Saison wirklich beeindruckend. Soweit ich weiß, kommen rund 2.000 Wolfsburger mit nach Gladbach, inklusive Sambazug und großer Mitarbeiterfahrt. Das allein ist schon Motivation genug. Wir wollen auswärts noch einmal alles geben – auch für die Fans, die das ganze Jahr hinter uns standen.

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