Nico Briskorn, Leiter CSR beim VfL, über die neue Nachhaltigkeitsrichtlinie der DFL.
Ende Mai entschied die Mitgliederversammlung der Deutschen Fußball Liga (DFL), eine verpflichtende Nachhaltigkeitsrichtlinie in ihre Lizensierungsordnung für die Vereine der beiden höchsten deutschen Spielklassen aufzunehmen – ein Novum innerhalb der weltweiten Profiligen. Nico Briskorn, Leiter CSR beim Deutschen Nachhaltigkeitsmeister VfL, erarbeitete als Mitglied der gemeinsam mit der DFL Stiftung agierenden „AK Verantwortung“ Handlungsempfehlungen zum Thema Ökologie, denen nun mit der Aufnahme in die Lizensierungsordnung Rechnung getragen wurde. Zuvor war bereits mit dem 2016 in Wolfsburg gestarteten Pilotprojekt sustainClub ein erstes Label für Nachhaltigkeit im Profisport als Ligastandard entwickelt worden. Zweifellos gehört der VfL damit zu den Pionieren und Branchenentwicklern im Bereich Nachhaltigkeit. Wir haben mit Briskorn über den Stellenwert des Themas beim VfL und in der Liga, die vergangenen und kommenden CSR-Projekte sowie die Außenwahrnehmung bei Sponsoren und Fans gesprochen.
Nico Briskorn, Nachhaltigkeit ist aufgrund seiner außerordentlichen Relevanz zu einem gesellschaftlichen Mega-Thema geworden. Ende Mai hat die DFL-Mitgliederversammlung eine verpflichtende Nachhaltigkeitsrichtlinie in ihre Lizensierungsordnung aufgenommen, die ab der Spielzeit 2023/2024 nach einem mehrstufigen Implementierungsprozess greift. Für wie sinnvoll hältst du diesen Schritt?
Nico Briskorn: Das ist ein erster wichtiger Meilenstein für die Klubs – insbesondere für jene, die sich mit dieser Thematik noch nicht intensiv auseinandergesetzt haben. So können diese erstmals einen Status Quo erheben und haben mit dem umfangreichen Rahmenwerk einen guten Hebel, um das Thema stärker im Klub zu verankern und in die Umsetzung zu kommen. Bereits 2016 bzw. 2019 haben wir diese Erfahrung im Zuge des ersten branchenspezifischen Nachhaltigkeitsstandards „sustainClub“ gemacht. Dieses Wissen haben wir auch in den Prozess zu den DFL-Nachhaltigkeitskriterien über die aktive Mitarbeit in der „AG Nachhaltigkeit“ bzw. den „AK Verantwortung“ eingebracht.
Wie hast du den Entscheidungsprozess erlebt?
Briskorn: Der mehrmonatige Prozess war sehr professionell und partizipativ. Es waren alle Klubverantwortlichen auf Fach- und Führungsebene eingebunden, so dass ein Gemeinschaftswerk entstanden ist. Da die Klubs insgesamt sehr heterogen sind, was Klubgröße oder Organisationsstrukturen angeht – die einen sind zum Beispiel Betreiber, die anderen nur Mieter des Stadions – war es die größte Herausforderung, da wirklich alle mitzunehmen und einen Standard zu entwickeln, der nicht überfordert, aber trotzdem die Ambitionen der Liga und Klubs unterstreicht.
Briskorn: Gestartet sind wir 2010 mit der Einführung der Corporate Social Responsibility (CSR)-Abteilung und haben 2012 über den weltweit ersten zertifizierten Nachhaltigkeitsbericht eines Fußballvereins gelernt, welche Themen noch berücksichtigt werden müssen. Die ganzheitliche Betrachtungsweise hat es uns fortan ermöglicht, noch systematischer an den Themen zu arbeiten. Das war sicherlich der erste Meilenstein. Seitdem haben wir viele Instrumente eingesetzt, um das Ganze zu professionalisieren – zum Beispiel Wesentlichkeitsanalysen, um zu erkennen, welche Themen relevant sind und wo wir die größte Wirkung erzielen können. Ergänzend kann man sagen, dass wir relativ früh begonnen haben, uns für die einzelnen im Nachhaltigkeitsbericht genannten Themen konkrete Ziele zu setzen, an denen wir uns dann auch gemessen haben.
Kannst du konkrete Beispiele nennen?
Briskorn: Ja, seit 2012 erheben wir mit einer umfangreichen Analyse unseren CO2-Fußabdruck. Wir nutzen eine Energiesoftware und haben 2021 ein Umweltmanagementsystem implementiert. Für die Volkswagen Arena und das AOK Stadion haben wir zudem Stadiongutachten hinsichtlich der Barrierefreiheit durchgeführt und eine Bedarfsanalyse im Themenbereich Vielfalt umgesetzt. In vielen Bereichen haben unsere Experten also Kennzahlen und Daten, mit denen wir zum Beispiel energieeffizienter oder vielfältiger werden können. Zur Umsetzung gehören dann natürlich qualifizierte Mitarbeiter – ob nun zum Beispiel Energie, Umwelt- und Klimabeauftragte, ob im infrastrukturellen Bereich oder Diversity-Manager im Personalwesen. Auch unsere Belegschaft wird regelmäßig in Umwelt-, Diversity-, Kinderschutz oder Compliance-Schulungen fortgebildet. Über die Jahre haben wir so als Klub immer mehr Know-how aufgebaut, was uns heute zugutekommt. Und uns ist es wichtig, dieses Know-how auch weiterzugeben. So startet auf unsere Initiative gerade ein Weiterbildungsangebot am VfL Campus zum Nachhaltigkeitsmanager Sport. Dort teilen wir unser seit zehn Jahren angesammeltes Wissen für die angehenden Sportmanager, damit diese das Thema Nachhaltigkeit im Sport zukünftig voranbringen können.
Wieviel Mitarbeiter bearbeiten beim VfL insgesamt im CSR-Bereich?
Briskorn: Wir sind derzeit ein sechsköpfiges Team, welches einerseits das soziale Engagement des Klubs im Zuge unterschiedlicher Projekte wie der „Wolfsburger Schule für Vielfalt“ oder dem „Stadtteilkick“ umsetzt. Auf der anderen Seite sind wir ein Stück weit auch Organisationsentwickler, welche die anderen Abteilungen in der nachhaltigen Entwicklung begleiten und beraten – egal, ob es sich um Themen wie Klima- und Umweltschutz oder Kinderschutz und Menschenrechte handelt.
Der CSR-Bereich hat im vergangenen Jahrzehnt im Allgemeinen einen sehr großen Stellenwert für Unternehmen erhalten. Für wie wichtig hältst du diesen Bereich speziell im Profisport?
Briskorn: Er ist für alle gesellschaftlichen Bereiche extrem wichtig geworden. Denn Ziele wie das 1,5-Grad-Klimaschutzziel kann man am Ende des Tages nur gemeinsam erreichen. Da müssen alle gesellschaftlichen Kräfte zusammenwirken – und eben auch der Profifußball mit seiner besonderen Verantwortung. Hier kommen alle zwei Wochen 30.000 Menschen im Stadion zusammen. Da entsteht Abfall, durch die An- und Abreise wird CO2 emittiert. Da haben die Klubs ganz klar eine Verantwortung und Vorbildfunktion, als gesellschaftliche Leuchttürme zu fungieren. Wir können zeigen, wie Nachhaltigkeit funktioniert. Das Stadion bietet sich dafür an, ein Showcase für nachhaltige Produkte zu sein, die man dann auch gemeinsam mit Sponsoren, Start-ups etc. auf den Weg bringen und zeigen kann – so wie wir es gerade mit Yook gemacht haben, als wir Anfang des Jahres als erster Verein einen klimaneutralen Warenkorb gelauncht haben, so dass jeder Fan den CO2-Fußabdruck unserer Produkte sieht und diese klimakompensieren kann. So kann man neue, innovative Produkte über das Millionenpublikum Fußball der Öffentlichkeit zeigen.
Mit der „Race to Zero“-Initiative habt ihr euch ebenfalls ein klar definiertes, ambitioniertes Ziel gesetzt, das durch den sichtbaren Countdown verbindlich ablesbar ist. Seid ihr dort auf einem guten Weg?
Briskorn: Es ist tatsächlich eine sehr ambitionierte Zielsetzung, die uns aber gleichzeitig zwingt, sehr systematisch vorzugehen. Zum einen kennen wir unseren CO2-Fußabdruck, wissen also zum Beispiel, dass die Fananreise allein 60 Prozent unserer CO2-Emissionen ausmacht. Dazu fallen knapp 20 Prozent unter das Thema Heizenergie. Wir kennen also die großen Verbräuche und versuchen darauf Einfluss zu nehmen – zum Beispiel, indem wir Großprojekte wie Photovoltaik oder Aufbau von E-Lade-Infrastruktur umsetzen. Wir messen natürlich aber auch die Effekte und berichten darüber. Zudem haben wir ganz viele Handlungsempfehlungen in unterschiedlichsten Bereichen gegeben, die wir auch von den jeweiligen Fachabteilungen haben bewerten lassen. Dadurch ist eine Art Roadmap entstanden, in der definiert wird, was wir in den Folgejahren an einzelnen Maßnahmen umsetzen wollen, um die Ziele am Ende des Tages auch zu erreichen.
Welche weiteren konkreten Projekte sind zeitnah geplant?
Briskorn: Ein spannendes Thema ist sicher Mikroplastik. Es gab vor zwei Jahren die breit durch die Presse gehende Diskussion um ein mögliches Verbot von Kunstrasenplätzen aufgrund des Granulats. In dem Zuge haben wir einem jungen Unternehmen tatsächlich Geld in die Hand gegeben, um für uns für dieses Problem eine Lösung zu entwickeln – schlicht, weil auf dem Markt nichts Entsprechendes existierte. Dementsprechend wurde eine Filterlösung entwickelt, die jetzt auch eingebaut wurde. Wir haben das von Anfang an sehr ganzheitlich gedacht: So werden nun auch Filter in den Waschmaschinen der Profis installiert, die einen 90-prozentigen Wirkungsgrad haben. Ansonsten sind wir in Bezug auf Zukunftsthemen stark am Thema Biodiversität dran, haben dort eine Expertenstudie durchgeführt und diskutieren die Handlungsempfehlungen nun mit lokalen Naturschutzverbänden und der Stadt Wolfsburg. Es gibt ja bereits Blühstreifen am Trainingsplatz, die die Artenvielfalt unterstützen, und die nächsten Maßnahmen stehen bald an.
Wie wichtig sind Sponsoren und Partnerschaften für solch kostenintensive Maßnahmen?
Briskorn: Teilweise ist eine Amortisierung bei Großprojekten erst nach bis zu 15 bis 20 Jahren der Fall. Je früher sich etwas amortisiert, umso einfacher ist es am Ende natürlich in der Umsetzung. Zielführend ist es daher immer, Unterstützungspartner zu finden. Da hat der Fußball sicherlich Vorteile, wir haben über 300 Sponsoren und konnten in der Vergangenheit auch bereits Partner über unser CSR-Engagement gewinnen, die bisher nicht im Sportsponsoring waren oder nicht direkt in der Region sitzen. Damit haben wir bereits 2014 begonnen – zum Beispiel mit der Kooperation mit dem Duden, mit dessen Hilfe wir einen Kinder-Nachhaltigkeitsbericht publiziert haben oder die Memo AG, die uns nachhaltige Büroartikel liefert. Zu nennen sind auch Compleo, mit denen wir die Lade-Infrastruktur ausbauen oder Trilux, mit denen wir das Thema LED angegangen sind.
Wie sind die Resonanzen auf und Impulse zu den zahlreichen und vielseitigen CSR-Aktivitäten des VfL?
Briskorn: Schön ist, dass die Fans das auch immer stärker nachfragen. Letztes Jahr auf der OFC-Versammlung war beispielsweise die erste Frage gar nicht zum Sport, sondern zum Klimaticket. Und auch die von uns regelmäßig durchgeführten Umfragen zeigen, dass die Fans auch bereits sind, für nachhaltige Fanartikel etwas mehr Geld auszugeben, und dass sie durchaus interessiert sind an veganen Produkten im Catering. Da ändert sich die Gesellschaft gerade spürbar – und auch die Nachfrage auf Fanseite.