Männer

„Verschiedene Stufen des Lebens begleitet“

Im Interview spricht Torwart- und Standardtrainer Pascal Formann über die Dynamik im Torhütergefüge.

Seit inzwischen elf Jahren arbeitet Pascal Formann voller Leidenschaft als Torwarttrainer für den VfL Wolfsburg. Mit Cheftrainer Ralph Hasenhüttl hat sich Formanns Kern-Aufgabenbereich erweitert, so ist der 41-Jährige auch für das Standard-Training bei den Wölfen verantwortlich. Im Interview spricht Formann über die stetige Entwicklung seiner Arbeit, die besondere Gruppendynamik im Team der Torhüter sowie Neuzugang und Stammtorwart Kamil Grabara.

Pascal Formann, was fasziniert dich an der Position des Torhüters?

Pascal Formann: Ich habe selbst auf dieser Position gespielt und mich relativ früh entschieden, auch die andere Seite kennenzulernen und als Torwarttrainer zu arbeiten. Dann habe ich Erfahrungen mit Jugend- und Profitorhütern im In- und Ausland sammeln dürfen. Es fasziniert mich, jeden Tag auf sehr hohem Niveau mit den Jungs trainieren zu können. Ich habe mit sehr guten Torhütern wie Koen Casteels im Profibereich oder auch anderen Keepern im Nachwuchsbereich zusammengearbeitet. Auch jetzt sind wir mit Kamil Grabara, Marius Müller, Pavao Pervan und Niklas Klinger auf der Position sehr gut aufgestellt. Es macht Spaß, den Spirit der Gruppe zu sehen. Das macht mir jeden Tag große Freude.

Gibt es bestimmte Torhüter, die dich in deiner Zeit geprägt haben?

Pascal: Gerade die Torhüter, die schon länger hier sind, sind wie meine Familie, weil ich schon sehr lange im Verein bin und sie jahrelang durch verschiedene Stufen des Lebens und der Karriere begleitet habe. Wenn ich an Niklas Klinger denke: Er war einer meiner ersten Torhüter im U19-Bereich und elf Jahre später arbeite ich immer noch mit ihm zusammen. Es macht Laune und ist sehr spannend, den jeweiligen Weg zu begleiten. Mit allen Torhütern, mit denen ich zusammengearbeitet habe, stehe ich in Kontakt und pflege ein gutes Verhältnis. Als Trainer zehrt man von den Torhütern und die Torhüter zehren vom Trainer. Das ist ein Geben und ein Nehmen.

Zu dieser Saison wurde die Hälfte deines Torhüter-Quartetts erneuert. Kamil Grabara und Marius Müller sind dazugekommen. Wie ist die Gruppendynamik zwischen den Jungs?

Pascal: Nach nun fast einem halben Jahr hat sich die Gruppe zusammengefunden und eine tolle Gemeinschaft entwickelt, eine gute Mentalität, sich zu loben und füreinander da zu sein. Bei allen persönlichen Zielen, die jeder Einzelne hat, ist auch klar, dass die Gruppe an erster Stelle steht. Mit den neuen Torhütern haben wir noch einen Tick mehr Mentalität und Spirit in die Gruppe reinbekommen.

Pavao Pervan trainiert seit 2018 unter dir. Wie beschreibst du seine Rolle im Team?

Pascal: Pavao ist im Torwartteam – für mich, für die Kabine, für die Spieler, die neu dazukommen sind – ein sehr wichtiger Ansprechpartner. Wir haben ein hundertprozentiges Vertrauensverhältnis und können uns alles sagen, denn wir sind schon gemeinsam durch Dick und Dünn gegangen. Ich schätze seine Professionalität.

Gerade die Torhüter, die schon länger hier sind, sind wie meine Familie, weil ich schon sehr lange im Verein bin und sie jahrelang durch verschiedene Stufen des Lebens und der Karriere begleitet habe. […] Als Trainer zehrt man von den Torhütern und die Torhüter zehren vom Trainer. Das ist ein Geben und ein Nehmen.
Pascal Formann

Beim Heimspiel gegen Frankfurt hat er deinen Job auf dem Rasen übernommen, weil du gesperrt warst. Wie war seine Premiere? Hattest du Angst um deinen Job?

Pascal: (lacht) Nein, natürlich nicht. Das zeigt auch, dass ich Pavao in der Hinsicht vieles zutraue. Ich wollte, dass die Abläufe für den, der den Job übernimmt, bekannt sind. Für mich war klar: Pavao ist derjenige, der das ohne besondere Vorbereitung leisten kann. Daher war ich total entspannt. Es war schön, das Ganze mal aus einer anderen Perspektive zu sehen.

Der VfL hat schon acht Standardtore in dieser Saison erzielt, das ist nach dem VfB Stuttgart der zweitbeste Wert. Damit schläft es sich als Standardtrainer wahrscheinlich ganz gut, oder?

Pascal: Wenn das Team aus ruhenden Bällen ein Tor schießt, ist der Standardtrainer dafür verantwortlich, wenn es eins kassiert, auch. Aber das ist nicht die Arbeit eines Einzelnen, sondern wir machen uns als Team gemeinsam mit den Analysten Gedanken, was gegen den jeweiligen Gegner hilfreich sein kann. Auf dem Platz aber müssen es die Spieler dann richten.

Wie ist es überhaupt dazu gekommen, dass du die Standards beim VfL übernimmst?

Pascal: Bei manchen Vereinen übernimmt der Co-Trainer die Aufgabe, bei manchen der Torwarttrainer, andere haben einen extra Standardtrainer. Ralph Hasenhüttl kam hierher und in England ist es gang und gäbe, dass der Torwarttrainer auch die Standards übernimmt. Er hat mich gefragt und ich habe es gerne übernommen. Ich fülle das mit hundertprozentiger Leidenschaft in Kombination mit dem Analystenteam aus. Wir gehen die Sachen im Team an. Das Vertrauen zu erhalten, ist eine große Wertschätzung, auch wenn es recht zeitaufwendig ist. Wichtig ist für mich, dass meine Hauptarbeit als Torwarttrainer darunter nicht leidet.

Kamil Grabara ist seit dieser Saison dabei und hat bisher in jedem Pflichtspiel über die volle Distanz das Tor der Wölfe gehütet. Wie ist die Arbeit mit ihm?

Pascal: Die Arbeit mit Kamil ist top. Er hat in jungen Jahren schon viel erlebt in seiner Karriere, ist kritikfähig und will lernen. In den ersten Spielen hat er das Vertrauen, was wir ihm gegeben haben, mit Leistungen zurückgezahlt. Es macht richtig Spaß mit ihm, weil er ein Typ ist, der weiterkommen möchte und Sachen klar anspricht. Mit der Verpflichtung, die früh klar war, haben wir einen Volltreffer gelandet.

Mit 38 gehaltenen Torschüssen ist Kamil weit oben in der Bundesliga-Rangliste zu finden. Was zeichnet ihn und sein Spiel aus?

Pascal: Grundsätzlich war es in den ersten Spielen wichtig, dass er viele Bälle hält und dass darunter auch welche sind, die man nicht unbedingt halten muss. Wenn man beispielsweise die Szene auf St. Pauli nimmt: Die war außergewöhnlich gut. Er ist schnell auf den Beinen, er hat eine Mentalität, eine Persönlichkeit auf dem Platz, die dem Team Ruhe gibt. Da sind noch viele Dinge, die besser werden können, daran arbeiten wir. Kamil ist mit seiner Entwicklung noch nicht am Ende. Trotzdem bringt er viele Attribute mit, um ein richtig guter internationaler Torhüter zu werden – was er in vielen Aspekten auch bereits schon ist. 

Wie würdest du seinen Charakter beschreiben?

Pascal: Er ist jemand, der eine klare Meinung hat und diese mit Vernunft und Sachlichkeit respektvoll vertritt. Kamil will immer gewinnen und genau diese Mentalität brauchen wir. Eins ist klar: Er ist ein anderer Typ als Koen. Die Ära Casteels war über neun Jahre herausragend. Nun haben wir einen Torhüter gefunden, der eine neue Ära beim VfL prägen wird.

Kamil ist mit seiner Entwicklung noch nicht am Ende. Trotzdem bringt er viele Attribute mit, um ein richtig guter internationaler Torhüter zu werden – was er in vielen Aspekten auch bereits schon ist.
Pascal Formann

Du hast in deiner Karriere schon einige Torhüter trainiert. Wem ähnelt Kamil?

Pascal: In der Vergangenheit hat man schon öfter Torhüter gesehen, die etwas aggressiver auftreten. Heutzutage sind die Torhüter eher ruhiger und sachlicher, keiner geht so richtig aus der Haut, obwohl es natürlich Einzelfälle gibt. Kamil ist einer, der hundertprozentig bei der Sache ist. Er will gewinnen und ärgert sich richtig, wenn er ein Tor kassiert. Er ist ein Erfolgstyp. Das sieht man auf dem Platz und das ist wichtig für uns.

Gegen Augsburg hat er beim Gegentor nicht glücklich ausgesehen. Wie geht man als Torwarttrainer mit Fehlern seiner Schützlinge um?

Pascal: Kamil ist ein Mitspieler-Torhüter. Er wird immer versuchen, solche Bälle zu attackieren und der Mannschaft bei tiefen Bällen zu helfen. Natürlich war es ärgerlich, aber für mich wäre es schlimmer, wenn er jeden Schuss, den er aufs Tor kriegt, zum Gegner abwehren würde und daraus Tore entstehen. Fehler passieren, diese gilt es zu thematisieren und abzuhaken. Wir haben darüber gesprochen und sind in die nächste Trainingswoche gegangen.

Ist mentale Stärke ein wichtiges Thema?

Pascal: Mentale Stärke ist extrem wichtig und die hat Kamil auf jeden Fall. Er weiß, was er kann und wie er mit gewissen Situationen umgehen muss. Er hat beim FC Kopenhagen gespielt, dem dänischen Bayern München quasi, das national jedes Spiel gewinnen muss. Mental ist er trotz seiner erst 25 Jahre total klar, so dass ich ihm nicht dreimal ins Gewissen reden muss, sondern er die Dinge selbst reflektieren kann.