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„Ein Marathon, kein Sprint“

Sportdirektor Sebastian Schindzielorz über den Saisonstart der Wölfe, die sportliche Neuausrichtung sowie den anderen VfL aus Bochum.

Das herausfordernde Startprogramm liegt hinter den Wölfen, trotz ansprechender Leistungen konnten die Grün-Weißen aus den ersten fünf Ligaspielen lediglich vier Zähler verbuchen – auch weil zuletzt sowohl beim amtierenden Titelträger aus Leverkusen als auch gegen den Vizemeister Stuttgart für mehr Ausbeute nur wenige Minuten fehlten. Vor der morgigen wichtigen Partie beim VfL Bochum (Anstoß um 15.30 Uhr) spricht Wolfsburgs Sportdirektor Sebastian Schindzielorz über den Saisonstart, die Kaderqualität, das Zusammenspiel mit Geschäftsführer Peter Christiansen und Cheftrainer Ralph Hasenhüttl und die bevorstehende Rückkehr zu seinem Heimatklub.

Sebastian Schindzielorz, am Samstag treffen die Wölfe auf Ihren Heimatverein, den Sie 2022 in Richtung Wolfsburg verlassen haben. Verfolgen Sie den VfL Bochum noch in besonderer Form?

Sebastian Schindzielorz: Ich komme aus Bochum, es ist meine Heimatstadt. Ich war dort 15 Jahre als Spieler aktiv und insgesamt zehn Jahre in verantwortlicher Position tätig. Ich glaube, jeder kann sich vorstellen, dass das dadurch schon eine besondere Geschichte für mich ist. Abgesehen davon verfolge ich den VfL Bochum natürlich als Teil der Bundesliga. Es gehört zur Aufgabe, sich auf dem Laufenden zu halten, was die Konkurrenz anbetrifft. Aufgrund meiner Vergangenheit habe ich aber natürlich auch im privaten Bereich noch Kontakt zu Menschen, die sicherlich detailliertere Einblicke in die dortigen Klubthemen haben.

Fühlt sich das Duell für Sie überhaupt nach einem Auswärtsspiel an?

Schindzielorz: Erst einmal finde ich, dass sich Spiele im Ruhrstadion generell gut anfühlen, weil dort einfach eine besondere Atmosphäre herrscht – ein bisschen weht noch der Fußball von früher durchs Rund. Darauf freue ich mich. Auch wenn das Stadion in Bochum unangenehm zu bespielen ist, bin ich optimistisch, dass wir den besonderen Umständen dort trotzen können und ein gutes und erfolgreiches Spiel machen.

Unterscheidet sich der Ablauf für Sie an diesem Tag von dem bei anderen Auswärtsspielen?

Schindzielorz: Nein, es ändert sich überhaupt nichts. Ich werde wie gewohnt mit der Mannschaft anreisen, auch an den üblichen Abläufen bis zum Anpfiff ändert sich nichts.

In der vergangenen Saison hat der VfL Bochum, nach einem 0:3 im Hinspiel zuhause eigentlich schon abgeschrieben, die Relegation gegen Düsseldorf im Rückspiel gedreht und letztlich im Elfmeterschießen doch noch für sich entschieden. In der laufenden Saison holte der Ruhrklub gerade einmal einen Punkt aus den ersten fünf Spielen. Was ist von der Mannschaft zu erwarten?

Schindzielorz: Es ist eine große Stärke des VfL Bochum, sich in schwierigen Situationen nicht aus dem Tritt bringen zu lassen und Dinge gemeinsam zu lösen. Das gehört zur DNA des Klubs.  Aufgrund der wirtschaftlichen Möglichkeiten und Rahmenbedingungen geht der VfL Bochum quasi immer als Underdog ins Rennen und muss im Verlauf einer Saison auch mit schwierigen Situationen fertig werden. Das ist in der Relegation eindrucksvoll gelungen – und zur Erinnerung: Auch in den beiden Jahren zuvor ist man nicht gut gestartet und hat dann trotzdem diese Widerstandskraft entwickelt und ist in der Liga geblieben. Das macht die Mannschaft innerhalb einer Saison aus und sie auch innerhalb eines Spiels gefährlich, weil man sie eben nie abschreiben darf.

Natürlich gibt es immer Situationen oder Spielphasen, die man besser lösen kann. Das wissen wir, da sind wir selbstkritisch genug und daran arbeiten wir. Ich bin nach wie vor davon überzeugt, dass wir in der Lage sind, eine gute Rolle in der Liga zu spielen – und ich hoffe natürlich, dass wir das in Bochum zeigen können.
Sportdirektor Sebastian Schindzielorz

Auch der Saisonstart der Wölfe war angesichts des herausfordernden Spielplans erwartungsgemäß schwer.  Wie bewerten Sie den Saisonauftakt – sowohl hinsichtlich der Punkteausbeute als auch hinsichtlich des Auftretens der Mannschaft?

Schindzielorz: Wir müssen da auf jeden Fall ein Stück weit differenzieren und die Situation im Gesamtkontext bewerten. Wenn wir von der Punkteausbeute ausgehen, muss man ganz klar sagen, dass uns die Ergebnisse natürlich nicht zufriedenstellen. Trotz des anspruchsvollen Auftaktprogramms haben wir aber auch gezeigt, dass wir auf jeden Fall mehr als konkurrenzfähig sind, dass wir die Top-Klubs vor große Schwierigkeiten gestellt haben und nicht viel fehlte, um diese Spiele erfolgreich zu gestalten beziehungsweise wie gegen Stuttgart mehr als ein Unentschieden mitzunehmen. Das stimmt uns positiv. Natürlich gibt es immer Situationen oder Spielphasen, die man besser lösen kann. Das wissen wir, da sind wir selbstkritisch genug und daran arbeiten wir. Aber ich bin nach wie vor davon überzeugt, dass wir in der Lage sind, eine gute Rolle in der Liga zu spielen – und ich hoffe natürlich, dass wir das in Bochum zeigen können.

Wie wichtig ist es, angesichts des schwierigen Startprogramms Ruhe zu bewahren, wenn jene Punkte fehlen, die automatisch Selbstvertrauen schaffen?

Schindzielorz: Eins ist klar: Am Ende wird anhand der Punkte und der Tabelle bewertet. Und mit der aktuellen Ausbeute sind wir nicht zufrieden, es hätten ein paar Zähler mehr sein müssen. Andererseits ist eine Saison kein Sprint, sondern ein Marathon. Es gibt im Verlauf einer Spielzeit immer unterschiedliche Phasen, von daher ist es wichtig, dass man sich an den Inhalten orientiert und beleuchtet: Wie war die Performance in den einzelnen Spielen und Spielphasen? Was hat funktioniert und wo haben wir Verbesserungspotential? Kontinuierlich und ruhig an diesen Inhalten zu arbeiten, ist sehr wichtig, um dann letztlich auf Strecke erfolgreich zu sein.

Wächst die Zuversicht auch dadurch, dass die Neuzugänge zunehmend integriert sind und auch Schlüsselspieler wie Mohammed Amoura oder Lovro Majer nach langwierigen Verletzungen wieder zurück sind oder kurz davor stehen? 

Schindzielorz: Das ist eine Thematik, die alle Mannschaften in der Liga betrifft. Aufgrund der Tatsache, dass der Transfermarkt relativ lange offen ist, kommen viele Transfers sehr spät zustande.  Das bringt mit sich, dass die Teams nicht immer eingespielt sind in der ersten Phase einer Saison. Und wir hatten leider auch die Situation, dass einige Spieler verletzt ausgefallen sind. Aber damit haben andere Vereine genauso zu kämpfen. Nichtsdestotrotz bleibt unter dem Strich stehen, dass die einsatzfähigen Spieler gezeigt haben, dass wir absolut konkurrenzfähig sind und auch die Top-Teams der Liga gut und unangenehm bespielen können. Das muss uns auch die Zuversicht geben, dass wir mit den Jungs, die jetzt aus Verletzungen dazustoßen oder den Integrationsprozess hinter sich haben,  von der Qualität her noch weiter zulegen und dementsprechend auf der Habenseite mehr Punkte einspielen.

Chefcoach Ralph Hasenhüttl, der im März zum VfL kam, geht in seine erste komplette Saison. Wie weit ist seine Handschrift bereits erkennbar?

Schindzielorz: Wir haben ja generell in der Sportlichen Leitung eine Konstellation, in der wir noch nicht allzu lange zusammenarbeiten. Ralph ist seit einem guten halben Jahr hier, vor drei Monaten kam Peter Christiansen als Geschäftsführer Sport dazu. Das dauert seine Zeit. Ralph ist damals in einer sportlich schwierigen Phase gekommen. Er hat es geschafft, die Situation zu stabilisieren, das hatte oberste Priorität. Jetzt ist seine Handschrift mehr und mehr zu sehen. Wir haben ein sehr intensives und direktes Spiel implementiert. Auch wenn aufgrund der genannten Dinge – Integration neuer Spieler, Verletzungen, Startprogramm – alles noch nicht so ist, wie wir es uns wünschen, bin ich sehr optimistisch, dass wir uns auf einem guten Weg befinden. Ich hoffe, dass sich das jetzt kurzfristig auch punktemäßig zeigt.

Inwieweit wird Peter Christiansen zukünftig den Verein prägen?

Schindzielorz: So wie ich Peter bislang kennengelernt habe, hat er eine ganz klare Vorstellung, wie ein Fußballklub als Ganzes funktionieren soll. Wir haben hier sehr viele Menschen, die ein gutes Know-how haben und die notwendige Power mitbringen. Mit Peter haben wir jemanden, der einen Blick von außen mitbringt. Das zusammenzuführen ist die Aufgabe, um gemeinsam einen Weg einzuschlagen, der den VfL Wolfsburg in eine erfolgreiche Zukunft führt.

Hat sich Ihr Arbeitsalltag seitdem verändert?

Schindzielorz: Nein, nicht gravierend. Ich profitiere natürlich davon, dass ich in zahlreichen Gesprächen seine Ideen immer besser kennenlerne und gleichzeitig auch meine Sichtweise darlegen kann – das ist ja immer so, wenn man einen neuen Gesprächs- und Sparringspartner bekommt. Peters Ansatz ist es, den Klub auch unter der Berücksichtigung anderer Perspektiven als Ganzes und in all seinen Teilbereichen nach vorne zu bringen. Da sind wir auf einem guten Weg.

Neben Peter Christiansen durfte der VfL natürlich auch einige neue Spieler begrüßen. Wie ist der bisherige Eindruck der Sommertransfers?

Schindzielorz: Wir haben uns natürlich im Vorfeld intensiv mit den Spielern auseinandergesetzt und haben das auch in den Kontext der Eigenanalyse gestellt, um zu erkennen: Welche Facetten, welche Eigenschaften brauchen wir, um uns zu verbessern? Wir sind mit allen Transfers sehr zufrieden. Wir sind von der Qualität der Jungs überzeugt, glauben aber auch, dass sie charakterlich sehr gut zu uns passen. Natürlich benötigt die Integration ein wenig Zeit, aber der VfL Wolfsburg – ob als Klub, als Teil der Stadt oder auch aufgrund des Staffs und seiner Mitarbeitenden – ist gut aufgestellt, um den Integrationsprozess bestmöglich voranzutreiben. Ich bin zuversichtlich, dass wir das volle Potential der Neuzugänge schon bald sehen werden.

Im Sommer haben Sie gesagt, dass man mit den Leistungen der vergangenen Saison nicht zufrieden sein darf und der Klub grundsätzlich internationale Ambitionen hat. Was ist der Schlüssel, um einen europäischen Wettbewerb zu erreichen?

Schindzielorz: Wir sehen natürlich, dass die Bundesliga ein enormes Potential besitzt und alle Spiele maximal herausfordernd sind und unterschiedliche Problemstellungen mit sich bringen. Das Thema Kontinuität in den Leistungen ist dabei ein wichtiger Aspekt. Das bedeutet, dass man im Idealfall Schlüsselspieler permanent zur Verfügung hat und immer mit seiner besten Elf spielen kann. Natürlich braucht man in einzelnen Spielen auch das Quäntchen Glück. Aber nochmal: Ich bin von der Qualität unserer Mannschaft überzeugt, wir sind ein ambitionierter Klub, haben einen ambitionierten Konzern hinter uns und sind auch als Einzelne ambitioniert. Insofern muss es unser Anspruch sein, deutlich besser abzuschneiden als in der letzten Saison.

Kann es dabei jetzt zum Vorteil werden, dass man keine Doppelbelastung aufgrund eines europäischen Wettbewerbs hat?

Schindzielorz: Ich glaube, wir würden Beispiele für beide Entwicklungen finden. Manchmal kann das, zum Beispiel durch viele Verletzungen, zum Nachteil werden. Wenn man die Spieler aber zur Verfügung hat und man einen guten Rhythmus entwickelt, kann es auch pushen. Das ist immer schwierig, vorherzusagen. Die Situation ist, wie sie ist: Wir spielen nicht international, können und müssen uns damit voll auf die Liga und den nationalen Pokal konzentrieren. Und da wollen wir natürlich bestmöglich abschneiden.

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