Männer

„Ein besonderes Spiel für mich“

Interview mit Paulo Otavio vor der Heimpartie gegen die Schwaben.

Der VfL-Wolfsburg-Spieler Paulo Otavio im Training neben Guilavogui.

Das letzte Duell mit dem VfB Stuttgart vor neuneinhalb Monaten in der Volkswagen Arena war aus VfL-Sicht ein mehr als gebrauchter Tag, denn die Wölfe verloren nicht nur die Partie, sondern auch Paulo Otavio, der anschließend mit einer schweren Knieverletzung ausfiel. Was ihm beim Kampf zurück auf den Rasen geholfen hat, wie er die Ausgangslage gegen den Tabellennachbarn  bewertet und was es mit ihm macht, jetzt wieder gegen den VfB anzutreten, darüber sprach der Brasilianer im Kurzinterview.

Paulo Otavio, ihr seid nach dem 0:2 bei Union Berlin als Tabellen-17. in die Länderspielpause gegangen. Was muss sich ändern, damit ihr die Abstiegszone wieder verlasst?

Paulo Otavio: Vor allem müssen wir gemeinsam eine Lösung finden und als Mannschaft reagieren, nicht nur als einzelner Spieler. Wir sollten das zusammen angehen. Wenn jemand einen Fehler macht, sollte der andere direkt zur Stelle sein. Zudem müssen wir aktiv sein, nicht reaktiv. Dann wird alles viel einfacher: Du läufst weniger, bist aber immer da und direkt am Ball, solltest du ihn verlieren. Es ist einfacher, dann direkt wieder attackieren zu können, als erstmal darüber nachdenken zu müssen, dann wieder zurückzulaufen. Jeder sollte das verinnerlichen. Dann kommt vielleicht auch das Glück zurück, so dass der Ball vom Pfosten nicht wegspringt, sondern reingeht.

Muhammad Ali ist ein großes Vorbild von dir. Es war zu lesen, dass seine „Fighter“-Qualitäten dir in der Reha Kraft gegeben haben. Was bewunderst du an ihm?

Paulo: Gerade erst habe ich mir mehrmals ein Video von ihm angeschaut, wo er in der Ringecke steht und 21 Schlägen des Gegners ausweicht – ohne schützende Hand vor seinem Gesicht. Daran kann man erkennen, wie mutig, wie aktiv, aber auch wie schnell er war. Das ist für mich ein Symbol dafür, dass du Fehler machen kannst, deinem Gegner aber immer zeigen musst, dass du mutig bist. Denn wenn dein Gegner etwas gegen dich probiert, du gehst dem aus dem Weg und kommst dann wieder, wird er denken: Mensch, das ist schwer, gegen den zu spielen. Denn ich investiere etwas und mache ihm trotzdem keine Angst. Denn da ist er ja schon wieder. Und in diesem Moment wird der Gegner Angst vor dir haben. Er investiert einmal, ein zweites und auch ein drittes Mal. Aber vor dem vierten Mal überlegt er: Okay, jetzt versuche ich es nicht nochmal, denn er ist immer noch da. Das ist etwas, was ich von Muhammad gelernt habe. Er war immer aktiv. Aktiv zu sein, ist die beste Verteidigung.

Als nächster Gegner kommt der VfB Stuttgart in die Volkswagen Arena. An das letzte direkte Duell hast du sicherlich sehr schlechte Erinnerungen…

Paulo: Ja, das Spiel gegen Stuttgart ist für mich ein besonderes, weil es eben das Spiel war, in dem ich mich so schwer verletzt habe. Ich erinnere mich, dass ich bis dahin eine gute Partie gemacht hatte. Ich freue mich, jetzt wieder gegen den VfB zu spielen.

Der Ball ist wie ein gefüllter Teller. Und derjenige, der hungrig bleibt, sollte nicht ich sein, sondern mein Gegner. Das bedeutet für mich: Jeden Zweikampf, in den ich mich begebe, möchte ich gewinnen.
Paulo Otavio

Nach dem „schwierigsten Jahr deiner Karriere“ 2021 hast du dir nun wieder einen Stammplatz auf der Linksverteidiger-Position erkämpft. Was sind deine Ziele für diese Saison?

Paulo: Mein primäres Ziel in dieser Saison ist es, gesund zu bleiben. Letzte Saison habe ich acht Spiele gemacht, das sollen diese Saison natürlich mehr werden. Daneben möchte ich im Spiel immer mit viel Herz kämpfen. Ich habe schon immer in meinem Umfeld gesagt: Der Ball ist wie ein gefüllter Teller. Und derjenige, der hungrig bleibt, sollte nicht ich sein, sondern mein Gegner. Das bedeutet für mich: Jeden Zweikampf, in den ich mich begebe, möchte ich gewinnen. Meine drei Ziele sind also: gesund zu bleiben, mehr als acht Spiele zu machen und so viele Zweikämpfe wie möglich zu gewinnen.

Und deine Zweikampfstärke beeindruckt tatsächlich: Du hast nach Leonardo Bittencourt (Werder Bremen) durchschnittlich die meisten Balleroberungen in 90 Minuten (2,5). Wo siehst du ansonsten deine individuellen Stärken, wo gibt es noch Potenzial?

Paulo: (lächelt) Der Wert ist schonmal gut. Ich sehe meine Stärke grundsätzlich eher in der Offensive, habe mich aber auch defensiv verbessert. Das ist gut für mich, meine Entwicklung und natürlich für meine Trainer, die dementsprechend sagen können: Paulo ist nicht nur offensivstark, sondern er kann uns auch hinten helfen. Das ist ein wichtiges Kriterium für einen Außenverteidiger. Offensiv fehlt mir immer noch eine gewisse Schnelligkeit im Kopf, um die beste Entscheidung zu treffen. Ich war ja immerhin acht Monate raus und manchmal denkt der Kopf etwas, aber die Beine reagieren zu spät oder die Beine machen etwas und der Kopf denkt etwas anderes. Diese Handlungsschnelligkeit fehlt noch ein bisschen. Aber der erste Ballkontakt wird schon jeden Tag etwas besser. Wenn dieser Punkt dann wieder optimiert ist, bin ich auf einem guten Weg.

Nach Torvorbereitungen oder auch dem Spiel kniest du nieder und richtest deine Gestik zum Himmel. Wie sehr hat dein Glaube dir geholfen in deiner schwierigen Phase?

Paulo: Mein Vertrauen in Gott ist sehr groß. Gerade während der Verletzungsphase war es sehr stark. Nur zwei Monate und acht Spiele nach der ersten schwereren Verletzung folgte schon wieder eine, die schlimmste Verletzung meines Lebens – und ich hoffe, es bleibt dann auch die letzte. Auch hier nehme ich mir Muhammad Ali als Vorbild: Alles geht nur mit dem festen Glauben, dass man zurückkommen kann. Man kann sich auch einfach hinsetzen und sich fragen: Warum? Warum ich? Aber wenn man lamentiert, macht man es sich unnötig schwer. Ich will auch nicht von den Leuten hören, wie leid ihnen das tut. Ich bin ein Typ, der – wenn ihm etwas Schlechtes widerfährt – lieber hört: Okay, Paulo, das ist jetzt passiert. Wenn du etwas brauchst, bin ich da. Aber komm, es ist ein neuer Tag und wir haben jetzt ein Ziel! Auf geht`s! Das war immer in meinem Kopf während meiner Reha. Im vergangenen Dezember dachte ich, immer wenn es weh tat: Komm, morgen ist wieder ein Tag weniger bis August. Wenn du glaubst und positives Denken hast, das Glas also eher halbvoll als halbleer ist, dann ist das Leben einfach.

Wie schätzt du den VfB Stuttgart ein? Was ist der Schlüssel dafür, diese wichtige Partie zu gewinnen?

Paulo: Das ist eine sehr kompakte Mannschaft, in der es seit drei Jahren nur wenig Veränderungen gab. Sie hat den gleichen Trainer, die gleiche Mentalität, hat immer mit Dreierkette mit zwei sehr hochstehenden Außenverteidigern gespielt, die schnell Flanken in den Strafraum bringen. Stuttgart hat junge und schnelle Spieler. Im letzten Heimspiel mit meiner Verletzung haben wir ja 0:2 verloren. Wir brauchen nicht nur die Mentalität, wie wir sie gegen Frankfurt hatten, wo wir zweikampfstark und defensiv sehr kompakt waren. Sondern jene Mentalität, die der VfL 2009 hatte. Die Mitarbeiter und Leute hier aus dem Umfeld, die damals dabei waren, sagen: Die haben immer zusammengestanden, waren immer stark im Zweikampf und als Mannschaft. Wir müssen diese Erfahrung des Vereins wieder aufleben lassen, diese Erfahrung kann uns heute helfen. Wir dürfen nicht in das Spiel gehen mit dem Versuch, drei Punkte zu holen, sondern mit der Sicherheit, es zu tun. Wenn es dann nicht über das Spielerische geht, müssen wir einfach im Zweikampf stark sein. Wenn das Herz da ist, fällt auch das Spielerische leichter. Wir müssen daran glauben, dass wir es schaffen. Das Stuttgart-Spiel ist der Zeitpunkt, aufzuwachen.

Jetzt noch Tickets für Stuttgart sichern

Matchcenter: Alle Infos zur Partie der Wölfe