Frauen

„Bin extrem dankbar“

Im Interview: Lena Oberdorf vor ihrem letzten Spiel für die VfL-Frauen.

Für Lena Oberdorf ist das Duell gegen ihren Ex-Verein SGS Essen am Pfingstmontag, 20. Mai (Anstoß ist um 15.30 Uhr), ihr letztes im Trikot des VfL Wolfsburg. Ab der kommenden Saison wird sie für die Liga-Konkurrentinnen des FC Bayern München auflaufen. Wenige Tage vor ihrem Abschied von den Wölfinnen hat die 22-Jährige noch einmal über die vier „extrem schönen Jahre“ bei den VfL-Frauen, die Unterstützung der Fans und Dinge, die sie mitnimmt, gesprochen. Oberdorf war im Sommer 2020 aus Essen nach Wolfsburg gewechselt.

Lena Oberdorf, am Montag steht für dich das letzte Match für den VfL an. Wie fühlt sich das gerade an?

Lena Oberdorf: Sehr emotional. Ich bin eigentlich ein Mensch, der seine Emotionen immer unter Kontrolle hat. Aber in den letzten Tagen habe ich gemerkt, dass ich das gerade nicht habe. Ich verlasse meine zweite Familie, die ich seit vier Jahren habe und irgendwie auch ein Stück Heimat. Und ich glaube, das realisiere ich jetzt erst so richtig. Davor war es noch ultraweit weg. Langsam geht es aber los, dass ich meine Sachen aus dem Spind räumen muss, am Montag haben wir das letzte Spiel. Das ist schon hart.

Gab es den einen Moment, in dem du Abschied zum ersten Mal richtig realisiert hast?

Lena: Ich muss sagen, beim Pokalfinale war es extrem. Als ich davor bei den Männern im Stadion war, die VfL-Hymne lief und alle mitgesungen haben, da hatte ich den Moment auch schon einmal kurz. Im Pokalfinale war es bei der Hymne nochmal krasser, da dachte ich kurz: Oh Gott, was machst du eigentlich? Dann gewinnen wir das Ding, stehen in der Kurve und du merkst, dass es für dich das letzte Mal im grünen Trikot ist. Deshalb hat das Gefühl da richtig angefangen und seitdem geht es nicht mehr weg.

Wie blickst du auf die vier Jahre beim VfL zurück?

Lena: Ich bin extrem dankbar für die Zeit. Ich kam als 18-Jährige nach Wolfsburg und merke jetzt, dass ich als Persönlichkeit gewachsen und ein bisschen erwachsener geworden bin, auf und neben dem Platz. Ich habe meine ersten internationalen Erfahrungen hier sammeln dürfen, war zweimal im Champions-League-Finale. Beide Male haben wir verloren, das tat natürlich weh. Trotzdem sind das auch schöne Erinnerungen. Ich habe viele Partys nach Pokalsiegen erlebt und bin hier zu einer Nationalspielerin geworden, auf die gebaut wird. Von daher bin ich dem Verein extrem dankbar. Wir haben kurze Wege, der Platz ist gut, der Staff ist super und das Medical Team ist top. Ich kam mit relativ vielen Rückenproblemen nach Wolfsburg, die sind weg. Deshalb habe ich mich sehr wohlgefühlt und die Erfahrungen hier ermöglichen es mir, die Spielerin zu sein, die ich jetzt bin.

Wenn man dich im Pokalfinale gesehen hat, hatte man den Eindruck, dass es für dich gar keine andere Option gab als zu gewinnen?!

Lena: Ja, das war schon so. Weil ich auch das Gefühl hatte, dass ich es gerade gegen die Bayern irgendwie allen zeigen muss. Da hat schon ein bisschen mehr Druck auf mir gelastet, als wenn wir gegen irgendjemand anderen gespielt hätten. Ich glaube aber, dass ich den Druck ganz gut weggesteckt habe. Für mich gab es wirklich nur die Option zu gewinnen. Ich wollte mich nicht ohne Titel verabschieden.

Kann man sagen, dass dein letztes Jahr in Wolfsburg gleichzeitig das herausforderndste war?

Lena: Das auf jeden Fall. Ich glaube, man hat gerade in der ersten Hälfte der Saison gemerkt, dass ich nicht so auf der Höhe war wie sonst. Es waren sehr lange Jahre mit der EM und der WM, in denen man viel verarbeiten musste, wozu man gar keine Zeit hatte. Man war überspielt, weil man kaum Pause hatte. Das hat man, glaube ich, uns allen ein bisschen angemerkt. Trotzdem bin ich unfassbar stolz darauf, wie wir das als Mannschaft kompensiert haben. Klar hat man sich im Training mal angemeckert, aber es war immer der Respekt da und das Vertrauen in die eigene Stärke. Wir haben einfach zusammengehalten. Deswegen war der Pokalsieg auch so besonders. Wenn man weiß, dass man ganz unten war und jetzt wieder ganz oben ist, dann ist das extrem schön.

Du hast hier insgesamt viermal den Pokal und einmal die Deutsche Meisterschaft gewonnen. Gibt es für dich so etwas wie den schönsten Titel?

Lena: Das 2:0 letzte Woche gegen Bayern war natürlich sehr emotional. Aber der schönste Pokalsieg war für mich wahrscheinlich der 2021 gegen Frankfurt. Weil das Spiel so eng war. Almuth bekommt die Rote Karte, dann müssen wir in die Verlängerung und irgendwie rennt Ewa nach 118 Minuten noch im Vollsprint auf das Tor zu und macht den Ball rein. Das war wirklich das krasseste Spiel, das ich erlebt habe!

Was nimmst du sonst mit aus Wolfsburg?

Lena: Auf dem Platz natürlich all das, was ich hier geworden bin: Ich habe mich als Spielerin weiterentwickelt, bin ruhiger, wenn ich den Ball bekomme und ein bisschen mehr unterwegs als noch vor ein paar Jahren. Aber es ist auch der respektvolle Umgang, den man hier lernt. Dass man, wenn Führungsspielerinnen auf einen zukommen und einem einen Tipp geben wollen, nicht „Ja, aber“ sagt, sondern das wirklich annimmt. Ich glaube, ich war am Anfang schon eher schwer erziehbar (lacht). Deswegen bin ich froh, dass ich gelernt habe, das ein bisschen abzulegen und Sachen anzunehmen. Ich habe mir außerdem immer eingeredet, dass ich gerne alleine bin. Hier habe ich gemerkt, dass ich schon gerne Leute um mich drumherum habe, die ich gerne habe und habe viel mit der Mannschaft gemacht. Von daher habe ich mich selbst auf eine Art und Weise besser kennengelernt, die für mich wichtig war. Es war insgesamt eine extrem schöne Zeit.

In deinem letzten Spiel hier in Wolfsburg geht es gegen Essen. Ausgerechnet…

Lena: Ja, mein erstes Bundesliga-Spiel hier war gegen Essen, mein 100. auch und mein letztes wieder. Als ich das gemerkt habe, habe ich gedacht, dass es vielleicht so sein sollte. Ich bin ein Mensch, der sehr auf solche Zeichen hört. Deshalb denke ich auch, dass man vielleicht gehen muss, wenn es am schönsten ist. Um für sich persönlich den nächsten Step zu machen. Und dabei rede ich gar nicht so sehr davon, den fußballerisch zu machen, sondern auch neben dem Platz. Ich hatte nach vier Jahren das Gefühl, dass ich mal einen Tapetenwechsel brauche. Das war ein wichtiger Punkt bei der Entscheidung für den Wechsel.

Gibt es etwas, was du den VfL-Fans noch sagen möchtest?

Lena: Ich bin extrem dankbar für den Support, den ich bekommen habe! Gerade nachdem der Wechsel rauskam. Ich habe in der Zeit viel Hate abbekommen. Aber es gab auch viele Nachrichten von VfL-Fans, die gesagt haben: „Hey, wir wollen trotzdem nur das Beste für dich.“ Direkt nach der Veröffentlichung war es für mich noch nicht die Zeit, über meinen Wechsel zu sprechen. Es hat sich noch nicht nach Abschied angefühlt. Ich war voll und ganz beim VfL. Wir hatten noch den Pokal zu gewinnen, zu dem Zeitpunkt war auch in der Liga noch alles offen. Jetzt, je näher das Saisonende rückt, ist das anders und es ist mir wichtig, noch etwas dazu zu sagen. Das verdienen die Fans, der Staff und meine Mitspielerinnen, die mich auf dem kompletten Weg unterstützt haben, auch in meinen schweren Phasen für mich da waren und mich aufgebaut haben. Ich weiß außerdem nicht, wie oft wir ein Training hatten, bei dem keine Fans da waren. Ich glaube nie, weil immer jemand zugeguckt hat. Deshalb bin ich extrem dankbar für diesen Support und diese Liebe, die ich in diesem Verein bekommen habe.

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