Wie bist du eigentlich zum Beruf gekommen?
Steinbrenner: Ich habe früher viel Judo und Ju-Jutsu gemacht und mir bei den Landesmeisterschaften beide Knie verdreht. Die erste Diagnose lautete, dass beide Knie schwer verletzt seien und ein Eingriff notwendig sein würde. Ein dänischer Chiropraktor hat dann aber herausgefunden, dass das ursächliche Problem gar nicht in den Knien lag, sondern die Beschwerden aus dem Becken, der Hüfte und den Sprunggelenken kamen. Mit seiner Behandlung hat er mich wieder auf die Beine gebracht und damit auch vor einer Operation bewahrt. Das hat mich so fasziniert, dass ich meinen ursprünglichen Plan, Medizin zu studieren, verworfen habe und für fünf Jahre nach Amerika ans Palmer College of Chiropractic gegangen bin.
Es ist wohl noch eine Erwähnung wert, dass du dein Studium dort im Jahr 2002 mit Auszeichnung (magna cum laude) abgeschlossen hast. Fachfremde Menschen verbinden Chiropraktik oft mit lauten, vermeintlich schmerzhaften Geräuschen. Was steckt wirklich dahinter?
Steinbrenner: Offensichtlich finden die Menschen Gefallen am Knacken der Wirbelsäule, weil die Videos auf den sozialen Medien wirklich millionenfach geklickt werden. Wenn man sich diese Videos als Fachmann ansieht, merkt man oft schnell, dass in vielen Fällen die Tonspur nicht einmal mit dem Impuls und gar der behandelten Region übereinstimmen kann. Ganz nach dem Motto: je lauter es kracht, desto besser. Ich sehe das in vielen Fällen sehr skeptisch und würde das persönlich nicht über mich ergehen lassen wollen. Durch die Videos wurde ein riesiger Hype ausgelöst. Dies führt sicherlich zu einer gewissen Aufmerksamkeit für unsere Berufsgruppe, aber was die Leute nun damit assoziieren, ist fernab der Realität und Professionalität.
Wie hat sich die öffentliche Wahrnehmung der Chiropraktik im Laufe der Jahre verändert?
Steinbrenner: In vielen Ländern ist die Chiropraktik ein fester Bestandteil im Gesundheitswesen. Als ich Anfang der 2000er Jahre aus Amerika zurückgekommen bin, hieß es in Deutschland noch, Chiropraktik sei gefährlich, was wissenschaftlich betrachtet damals schon nicht haltbar war. Natürlich muss man eine qualifizierte und fachgerechte Anwendung voraussetzen. Heute, mehr als 20 Jahre später, möchte jeder gern Chiropraktik machen, es gibt diverse Kurse für Laien bis hin zum Facharzt für Chirotherapie.
Ist es in der Bundesliga mittlerweile Standard, einen Chiropraktoren im Team zu haben?
Steinbrenner: Nein, in Deutschland ist das noch nicht so weit verbreitet, nimmt aber stetig zu. Grundsätzlich sind die Überwachung von Statik und Funktionen des Körpers sowie das Einstellen von Gelenken aber in jedem Verein abgedeckt. Ob das immer ein Chiropraktor macht, steht auf einem anderen Zettel. In der Premier League, NBA oder NFL gibt es teilweise schon zwei, drei Chiropraktoren pro Team. Auch bei großen Sportveranstaltungen wie den Olympischen Spielen sind wir Teil des medizinischen Konzepts.
Eine Olympia-Teilnahme ist auch in deiner illustren Karriere vermerkt…
Steinbrenner: Ich war bei den Olympischen Spielen 2012 in London für die chiropraktische Betreuung im olympischen Dorf zuständig. Das war ein absolutes Highlight meiner Karriere. Viele junge Menschen träumen von einer Olympia-Teilnahme. Als Sportler war dieser Traum allein schon verletzungsbedingt nicht möglich. Ich durfte aber als erster deutscher Chiropraktor überhaupt in London auf therapeutischer Ebene teilnehmen. Das war ein unglaubliches Ereignis, das einen bleibenden Eindruck bei mir hinterlassen hat. Kurz danach habe ich die Zusammenarbeit mit dem VfL Wolfsburg gestartet. Sonst wäre ich vielleicht sogar noch ein weiteres Mal bei Olympia dabei gewesen.
Trauerst du einer weiteren potenziellen Olympia-Teilnahme nach?
Steinbrenner: Nein. Ich lebe in Wolfsburg, habe meine Praxis dort und darf seit über zwölf Jahren mit dem VfL arbeiten. Ich sehe es als Privileg, die Bundesliga direkt vor meiner Haustür zu haben und ein Teil der VfL-Familie zu sein. Der Fußball begleitet mich am längsten und dort fühle ich mich auch am wohlsten.
Wie sieht ein typischer Tag bei den Olympischen Spielen aus?
Steinbrenner: Das kann man mit dem Trainingslager vergleichen. Der Tag fängt früh morgens mit einer medizinischen Besprechung an. Grundsätzlich ist es wie eine Art Bereitschaftsdienst. Bei Events in einer solchen Größenordnung kann zu jeder Zeit die Türe zum Behandlungszimmer aufgehen. Ich hatte leider das Pech, die Schicht bei der Eröffnungszeremonie zu bekommen. Die große Show habe ich also nur durch das Fenster aus der Ferne verfolgen können. Und währenddessen musste natürlich niemand behandelt werden…
Auf der olympischen Bühne kommen die Stars aus aller Welt zusammen. Wen hattest du auf deiner Liege?
Steinbrenner: Ich war über das Internationale Olympische Komitee (IOC) im olympischen Dorf und habe dort Athleten aller Nationen behandelt. Wen genau, fällt unter die Schweigepflicht. So viel kann ich sagen: Ich habe in meiner Sammlung zwei, drei Fotos mit Goldmedaillen. Der eine oder andere Athlet bedankt sich nach dem Wettkampf für die Behandlungen nochmals persönlich. Das macht dann doppelt Spaß und gibt einem das Gefühl, dass man seinen Teil zum Erfolg beitragen konnte.