Geschichte

Kaltstart in Hameln

Seit über 30 Jahren arbeitet Ingo Friedrichs in Halle 25. Eine Verkettung von Zufällen machte ihn kurzzeitig zum Stammkeeper der Wölfe.

Wenn man auf die Abschlusstabelle der Saison 1983/1984 blickt, darf man feststellen, dass Ingo Friedrichs ein Mann für die Spitzenspiele war. Meppen, St. Pauli, die Werder Amateure – gegen den Meister, Vize-Meister und Tabellensechsten der Amateur-Oberliga Nord stand er im Kasten. „Rückblickend sind das echte Knallerspiele gewesen, und dann gab es ja noch das Pokalspiel in Gifhorn. Da habe ich mir schon die beste Zeit ausgesucht“, lacht Friedrichs, der wohlgemerkt nur genau diese vier Partien für die Elf von Wilfried Kemmer bestritt – und selbst dafür ursprünglich gar nicht eingeplant war. Denn eigentlich hatte er mindestens zwei andere VfL-Keeper vor sich. 

Zum Start gleich ein Derby

Und so kam es: Im Tor der Ersten gab es in jener Saison ein spannendes Kräftemessen zwischen Joachim Wawrzik und Ralf Kirchhoff. Letzterer kam im Sommer neu zum VfL, fiel aber in der Vorbereitung kurzfristig aus. Zum Testspiel gegen Hameln brauchte Chefcoach Kemmer somit einen neuen Ersatzmann und kontaktierte den Torwart der Zweiten. „Ich war just aus dem Urlaub gekommen, fuhr also ohne jede Vorbereitung mit hin; es ging wirklich von null auf hundert. Als Wawrzik im Spiel mit einem Gegenspieler zusammenrasselte, stand ich plötzlich im Tor.“ Eine Woche später starteten die Wölfe in die Saison, zunächst im Pokal beim MTV Gifhorn. Da Kirchhoff weiter ausfiel und Wawrziks Schädel immer noch brummte, blieb Friedrichs der lachende Dritte. Seine Pflichtspielpremiere im Kasten der Ersten beschreibt er als größten Moment seiner Laufbahn. „Ein Derby vor ein paar tausend Zuschauern, wir haben gewonnen, Gifhorn hat sogar einen Elfer verschossen – das war ein überragendes Gefühl. Ich glaube auch, ich habe mich teuer verkauft.“

Seit kleinauf ein Wolf

Der Trainer sah es offenbar ähnlich. Denn völlig überraschend blieb Friedrichs auch beim Ligastart zwischen den Pfosten. „Vielleicht war das tatsächlich mein größter Erfolg, auch wenn ich mich nicht lange halten konnte.“ Gegen besagte drei Topgegner durfte Friedrichs sich beweisen, anschließend kehrte Kemmer zur alten Hierarchie zurück. Der ausgediente dritte Mann ging zurück in die Zweite. „Das war völlig in Ordnung für mich, anders hatten wir es auch niemals vereinbart. Und wenn ich ganz ehrlich bin: Daran geglaubt, dass ich auf Dauer im Tor bleiben könnte, habe ich zu keiner Zeit.“ Der gebürtige Wolfsburger, der seit der D-Jugend für die Grün-Weißen spielte, hielt fortan wieder für die von Manfred Mattes betreute Reserve, wechselte bald darauf in die Dritte Herren der Wölfe und ging ein Jahr später zum TSV Wolfsburg. „Insgesamt war es eine großartige Zeit. Eine Karriere als Fußballer hatte ich mir ohnehin nie ausgemalt. Diese vier Spiele aber werde ich niemals vergessen.“

Den Arbeitgeber nie gewechselt

Noch bis vor zwei Jahren spielte Friedrichs weiter Fußball in der Region. Dass ein Wegzug nie in Betracht kam, hatte viel mit Volkswagen zu tun, denn mit Ausnahme seiner Bundeswehr-Zeit war der 52-Jährige niemals woanders beschäftigt. Mit einer Lehre zum Maschinenschlosser ging es 1980 beim Autobauer für ihn los, es folgten ein halbes Jahr in der Fachabteilung Inspektion, Halle 54, sowie drei Monate als Maschinenarbeiter im Rohbau in Halle 2. Seit 1986, schon mehr als drei Dekaden also, arbeitet Friedrichs nun in Halle 25. Als mittlerweile Meister im Metallbau wechselte er einige Male zwischen Arbeitsvorbereitung und Projektbearbeitung hin und her, ehe er seine heutige Funktion übernahm: In der Projektkoordination, Abteilung Betriebsmanagement, kümmert er sich um Werkstattaufträge aus werksinternen Abteilungen. „Da geht es beispielweise um Laser-, Schweiß- oder Brennteile, also um Betriebsmittel für die Produktion. Mein Alltag besteht vor allem aus Büroarbeit und Kundenbetreuung – genauso macht es mir Spaß.“

Veröffentlicht in „Unter Wölfen“ am 18. März 2017.