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„Es hat einfach gepasst“

Ashkan Dejagah über die Meisternacht, seine besondere Beziehung zu den Wölfen und den Ruf des VfL im Iran.

Wenn es eine Vita gibt, an der man die heftigen Ausschläge der Wölfe in der Bundesliga ablesen kann, dann ist es wohl die von Ashkan Dejagah. Zusätzlich zum Kerngeschäft hat der Deutsch-Iraner für die Grün-Weißen im DFB-Pokal, der Champions League plus UEFA-Cup und Europa League sowie in der Relegation und gar in der Regionalliga Nord gespielt. Aktuell pendelt der 38-Jährige, der zuletzt in seinem Heimatland aktiv gewesen ist und in der vergangenen Woche sein Karriereende bekanntgegeben hat, zwischen Katar und Deutschland. Im Meisterinterview erinnert sich der Wolfsburger Publikumsliebling „Asche“, den wir telefonisch auf einem Zwischenstopp in Frankfurt erreichen, nicht nur an den größten sportlichen Triumph seiner Laufbahn. Sondern auch an sehr vieles mehr.

Ashkan Dejagah, heute vor 15 Jahren war Wolfsburg ein einziger Freudentaumel. Wenn du an die Meistersaison zurückdenkst: Was kommt dir zuerst in den Sinn?

Ashkan Dejagah: Da denke ich sofort an genau diese Stimmung im Stadion. Fans, die auf den Platz stürmen, sich in den Armen liegen und Rasenstücke aus dem Boden reißen. Aber auch daran, was den ganzen Tag lang in der Stadt losgewesen ist. Unseren Autokorso zum Beispiel sehe ich noch vor mir. Und natürlich denke ich an den Moment, als ich die Schale in der Hand halten durfte. Wer das jemals erleben durfte, der vergisst so etwas nicht.

Schon als Fan ist man stolz, dass einem diesen Titel niemand nehmen kann. Wie geht es einem als ehemaliger Spieler?

Asche: Was es so unglaublich besonders macht, ist einfach, dass man mit dem VfL Wolfsburg Meister geworden ist. Ich glaube, das macht einen großen Unterschied aus zu Klubs und Spielern, die so etwas häufiger erleben. Insofern: Dieser Stolz, ganz genau, wird immer bleiben.

Als du 2007 nach Wolfsburg gekommen bist, war an all das nicht im Traum zu denken. Unter Klaus Augenthaler war der VfL gerade 15. geworden. Was hattest du dir von diesem Wechsel damals versprochen?

Asche: Stimmt, die Situation war noch völlig anders. Dass der VfL sich damals für mich interessiert hat und mit welcher Wertschätzung der Verein vorgegangen ist, hat sich sehr gut angefühlt. Die Entscheidung fiel noch unter Klaus Augenthaler, mit dem ich dann aber nie mehr zusammengearbeitet habe. In Berlin gab es damals einige Unruhe um diesen Wechsel. Als es für Wolfsburg dann so eng wurde in der Tabelle, wurde ich ganz schön nervös. Trotzdem war ich sicher, eine gute Entscheidung zu treffen. Es war der richtige Zeitpunkt, einmal aus Berlin rauszugehen und etwas Neues zu wagen.

In deinem ersten Jahr gab es mit Platz fünf gleich die beste Platzierung der Vereinsgeschichte. Danach begann, was man selbst im Rückblick kaum begreifen kann. Wie war es möglich, in dieser Geschwindigkeit eine Spitzenmannschaft zu werden?

Asche: Das hätten wir alle nicht erwartet. Wir waren viele neue Spieler aus verschiedenen Ländern. Die Qualität war sicherlich vorhanden. Vor allem ist aber ein Trainer mit bereits viel Erfahrung und großem Namen verpflichtet worden, der diesen Erfolg auch wollte. Ich bekam damals viele Nachrichten, als öffentlich wurde, dass Felix Magath nach Wolfsburg kommt. Erst konnte ich das nicht so einschätzen. Aber dann habe ich schnell verstanden, was die Leute meinten. Wir haben vom ersten Tag an gearbeitet, wirklich hart gearbeitet. Das alles hat dazu geführt, dass wir zu dieser Mannschaft geworden sind. Es hat einfach gepasst.

Die Geschichte der Meistersaison wurde schon ausführlich erzählt. Welche Anekdote aus dieser Zeit hast du bislang für dich behalten?  

Asche: Naja, da kann ich vielleicht aus der Nacht der Meisterfeier berichten. Ich hatte damals Familie und Freunde zu Besuch. Meine Eltern sind zu fast jedem Heimspiel gekommen und haben mitgefiebert, natürlich auch beim Werder-Spiel. In der Nacht habe ich dann mit meinen Freunden und meinem Bruder durchgefeiert. Meine Wohnung lag mitten in der Stadt. Als wir morgens ankamen, war es längst hell. Ich ging durch die Tür und habe immer noch gegrölt und rumgesungen. Mein Vater meinte: „Was machst du, Junge?“ Ich sagte: „Wir sind Deutscher Meister! Schau mal, alle Leute sind auf der Straße!“ In Wahrheit war da aber kein Mensch mehr, die Feier war lange vorbei. Diese Geschichte erzählt mir mein Vater bis heute (lacht).

Zunächst bis 2012 bist du noch in Wolfsburg geblieben. Warum waren die Jahre nach dem Titel so schwierig?

Asche: Anfangs lief es gar nicht so schlecht, meine ich. Aber der Weggang des Trainers hat wohl einiges mit der Mannschaft gemacht. Hinzu kam, dass wir dann in der Champions League gespielt haben, was für viele wie auch mich etwas ganz Neues gewesen ist. Das war zusammengenommen wohl etwas zu viel für uns, deshalb sind wir hinter den Erwartungen, die dann auch entsprechend höhere waren, zurückgeblieben.

Als du 2017 zurückgekehrt bist, war die Situation noch wesentlich schwieriger. Am Ende landete der VfL in der Relegation.

Asche: Auch vorher war es ja schon mal knapp gewesen. Wenn ich da an dieses letzte Spiel in Hoffenheim nach Magaths Rückkehr denke… Aber klar: 2017 bin ich mit ganz anderen Zielen angetreten und wollte in der gesamten Rückrunde helfen. Als ich mich dann verletzte, war es unheimlich schwierig für mich, nicht eingreifen zu können. Zum Glück hat es aber noch für die Relegationsspiele gereicht. Das dann zu schaffen nach dieser Nervenbelastung, auch noch gegen Braunschweig, war ein geiles Gefühl.

Beim VfL hast du nicht nur tiefe, sondern auch sehr breite Spuren hinterlassen. Bekommst du zusammen, in wie vielen Wettbewerben du für die Wölfe das Trikot übergestreift hast?

Asche: Boah, schwierige Frage. Stimmt, das waren echt viele. Von der Champions League bis zur Regionalliga war da wohl alles dabei. Aber genau das macht diese extreme Bindung zwischen dem VfL und mir einfach aus, denke ich. Ich habe einfach so unheimlich viel mitgemacht und erlebt in diesem Verein.

Wem aus der Meistertruppe bist du zuletzt begegnet?

Asche: Sascha Riether habe ich ja bei Fulham wiedergetroffen. Genau wie Felix Magath, Werner Leuthard und Andre Lenz. Edin Dzeko habe ich in diesem Zuge bei Manchester City erlebt. Genauso wie Grafite in Katar. Zu Alexander Madlung hatte ich zwischendurch auch Kontakt und immer mal wieder zu Marcel Schäfer. Als letztes persönlich getroffen habe ich aber wohl Sebastian Schindzielorz. Für kurze Zeit hatte ich in Berlin ein kleines Restaurant. Da haben wir einmal sehr nett zusammengesessen. Das war noch bevor er zum VfL zurückgekehrt ist.  

Die letzten fünf Jahre deiner Karriere hast du in deinem Geburtsland Iran gespielt. Was weiß man dort über den Deutschen Meister von 2009?

Asche: Dadurch, dass ich damals in Wolfsburg gespielt habe, gar nicht so wenig. Man verbindet den Verein dort mit mir. Immer wieder kommen Bilder im Fernsehen, in den Zeitungen oder in den sozialen Medien. Meist sind es Fotos von mir im VfL-Trikot. Die Iraner sind darauf sehr stolz. Ali Daei und Vahid Hashemian sind ja auch mal Deutscher Meister geworden, aber eben mit den Bayern. Dass ich als einziger die Schale mit dem VfL Wolfsburg geholt habe, wird immer wieder erwähnt. Dadurch ist der VfL im Iran nicht so unbekannt.

Vor fast genau einem Jahr hast du für Foolad FC dein letztes Pflichtspiel bestritten und dabei wieder mit der Rückennummer 24 gespielt – wie damals bei den Grün-Weißen. Da wird einem etwas warm ums Herz.

Asche: Mir genauso, wenn ich das so höre (lächelt). Ich bin letztes Jahr spät dazugekommen und hatte bei der Wahl der Nummer einige Optionen. Da die 24 frei gewesen ist, stand für mich sofort fest, dass keine andere in Frage kommt. Es war wunderbar, mit der Zahl auf dem Rücken meine aktive Laufbahn beenden zu können, mit der ich in Wolfsburg diesen Wahnsinnserfolg feiern durfte.

Die Meisterhelden von 2009