Der spanische Halbfinalgegner der Wölfinnen im Portrait.
Die Experten hatten es im Vorfeld der diesjährigen Spielzeit in der UEFA Women’s Champions League vorausgesagt: Der Triumph in Europas Königsklasse geht erneut nur über den Titelverteidiger aus Barcelona. Für den VfL Wolfsburg bedeutet das: Wollen die Wölfinnen nach 2013, 2014, 2016, 2018 und 2020 zum sechsten Mal ins Endspiel einziehen, müssen sie an der vermeintlich stärksten Mannschaft vorbei. Schon jetzt steht aber fest: Die Duelle gegen die Katalaninnen im ausverkauften Camp Nou am Freitag, 22. April (Anstoß um 18:45 Uhr/live auf DAZN) und am 30. April (Anstoß um 18 Uhr, Tickets sichern), in der Volkswagen Arena werden allen Beteiligten wohl lange in Erinnerung bleiben.
Start an Weihnachten
In den Farben des FC Barcelonas wird seit über 50 Jahren Frauenfußball gespielt. Dieser Fakt beschreibt aber mitnichten die bewegte Geschichte der Fußballerinnen aus Katalonien. Denn welche Frauenmannschaft kann schon von sich behaupten, ihr erstes offizielles Spiel am ersten Weihnachtstag vor über 60.000 Zuschauern im Camp Nou ausgetragen zu haben? Anlass war eine Zeitungsannonce, die Frauen aus Barcelona im Alter zwischen 18 und 25 dazu aufrief, vor einem Benefizspiel der Barca-Männer gegen ZSKA Sofia eine Frauen-Partie auszutragen – als Vorprogramm sozusagen. Ins Leben gerufen wurde die Aktion von Radio Nacional, um für Kinderkrankenhäuser Geld zu sammeln. Obwohl man damals unter dem Namen Seleccion Ciudad de Barcelona gegen Unio Esportiva Centelles im Elfmeterschießen gewann, war das Team schon zu diesem Zeitpunkt eng mit dem FC Barcelona verknüpft. Das Benefizspiel sollte auch keine einmalige Sache bleiben: Unter dem Namen Penya Femenina Barca führt man den Spielbetrieb zunächst fort, änderte in den 80er-Jahren aber den Namen zu Club Femeni Barcelona. Zu diesem Zeitpunkt traf man mit dem Hauptverein ein informelles Abkommen, um die Farben, Wappen und Infrastruktur des Clubs zu nutzen, war aber noch immer keine offizielle Abteilung des FC Barcelona. Trotzdem gewann man mit dem Generalist-Cup 1985 den ersten Titel und zählte 1988 zu den Gründungsmitgliedern der Liga Nacional, der ersten offiziellen ersten Liga der Frauen, welche vom spanischen Verband anerkannt wurde.
Noch nicht Weltspitze
Anfang der 90er Jahre fanden sich die Fußballerinnen aus Barcelona schnell im Kampf um die Meisterschaft wieder, der Höhepunkt war dabei der Gewinn der Copa de la Reina 1994. Danach sollte es für die Katalaninnen jedoch sukzessive bergab gehen. Als 2001 die erste spanische Liga in „Superliga Femenina“ umbenannt wurde, war der FC Barcelona aufgrund der schlechten Ergebnisse im Vorjahr kein Bestandteil der spanischen Beletage mehr. Dennoch entschieden sich die Verantwortlichen 2002 dazu, aus einer inoffiziellen Mitgliedschaft eine offizielle zu machen und die Frauen des FC Barcelona nahmen ihren heutigen Namen „Futbol Club Barcelona Femeni“ an. 2004 stieg man unter diesem Namen zwar wieder in die erste Liga auf, 2007 folgte aber bereits der nächste Abstieg und es kam zu ernsthaften Überlegungen, den Frauenfußball unter dem Dach des FC Barcelona nach fünf Jahren wieder aufzulösen.
Weg an die Spitze
Nach einem Jahr Abwesenheit kehrte man bereits 2008 wieder in die erste Liga Spaniens zurück und ist seitdem ein nicht wegzudenkender Bestandteil der Liga. 2011 folgte der zweite nationale Pokal und 2012 die erste nationale Meisterschaft. Seitdem ist der FC Barcelona zumindest national stets einer der Anwärter auf alle Titel. Obwohl man sich in der Liga von 2016 bis 2019 einmal Athletic Bilbao und drei Mal Atletico Madrid geschlagen geben musste, konnte man mittlerweile schon sechs nationale Meisterschaften und acht Pokalsiege einfahren. Die große europäische Krönung gab es 2021, als man in beeindruckender Manier den Chelsea Women FC im Finale mit 4:0 schlug. Dieser Erfolg ist Ausdruck einer Professionalisierung, die spätestens mit der Übernahme von Fran Sanchez, der 2017 nach elf Spielzeiten Xavi Llorens auf dem Trainerstuhl ablöste, einsetzte. Zusätzlich wurde in den kommenden Saisons nach und nach in den Kader investiert. Heute verfügt der FC Barcelona wohl nicht nur über eine individuell hervorragend besetzte Mannschaft, sondern setzt auch in vielen weiteren Abteilungen Maßstäbe für Professionalität im europäischen Frauenfußball – und dies trotz aller finanzieller Probleme, die der Hauptverein bekanntlich hat.
Pure Dominanz
Gerade die Dominanz in der letzten und aktuellen Spielzeit ist erdrückend: Von 44 bisher absolvierten Pflichtspielen in dieser Saison hat man genau 44 gewonnen. Die letzte Niederlage der Katalaninnen datiert auf den 1. Juni 2021, als Atletico Madrid mit Turid Knaak in der Startelf den FC Barcelona schlagen konnte. Es sollte die einzige Niederlage in der Liga in der Triple-Saison des spanischen Ausnahmeteams sein. Keine guten Erinnerungen wird man in der spanischen Millionenstadt aber an die Wölfinnen haben. So war der VfL die letzte Mannschaft, die den FC Barcelona in der UWCL aus dem Wettbewerb warf. Beim Finalturnier 2020 in San Sebastian siegte man mit viel Willen, Einsatz und etwas Fortune durch ein Tor von Fridolina Rolfö mit 1:0.
Starensemble in rot-blau
Jene Rolfö streift sich seit dieser Saison aber das traditionell rot-blau-gestreifte Trikot über. Zusammen mit Ingrid Engen, die Rolfö nach Spanien begleitete, trafen sie dort mit Carolin Hansen auf eine weitere ehemalige Wölfin. Anpassungsschwierigkeiten hatten beide dabei kaum, viel mehr reihen sie sich nahtlos in eine Mannschaft ein, die in der Defensive und im Mittelfeld spanisch geprägt ist und in der Offensive international und vor allem durch die Bank qualitativ hochwertig besetzt ist. Möchte man aus dieser Mannschaft unbedingt eine Einzelspielerin herausnehmen, fällt die Wahl wohl auf Alexia Putellas. Als Lohn für das fleißige Titelsammeln ihrer Mannschaft räumte die äußerst torgefährliche Mittelfeldspielerin eine Großzahl an individuellen Titel ab und darf sich aktuelle Weltfußballerin nennen. In der Defensive ist der FC Barcelona in der Lage, aus dem klassischen 4-3-3 ihre dominante Spielweise aufzuziehen. Unverzichtbar sind in dieser Kette meist die erfahrenen Maria Leon, Irene Paredes und Marta Torrejon. Dreh- und Angelpunkt des Teams, das teilweise an den FC Barcelona unter Pep Guardiola erinnert, ist das Mittelfeld, in dem neben Putellas, Patri Guijarro und Aitana Bonmati die meiste Spielzeit haben. In vorderster Front agieren in der Dreierreihe mit Rolfö und Hansen häufig zwei ehemalige Wölfinnen. Mit der Niederländerin Lieke Martens, der Nigerianerin Asisat Oshoala, Veteranin Jenni Hermoso und dem Talent Claudia Pina kann sich der neue Coach Jonatan Giraldez über zu wenig Auswahl und Qualität im Sturm nicht beschweren. Zusammen hat der FC Barcelona bis zum heutigen Tag allein in der Liga schon 146 Tore geschossen. Wie gut die Katalaninnen die Last auf mehrere Schultern verteilen, zeigt sich darin, dass Oshoala mit „nur“ 19 Treffern erfolgreichste Torjägerin ist, jedoch bereits fünf Spielerinnen zweistellig getroffen haben.
Keine Blöße in der UWCL
Auf dem Weg ins Halbfinale der Königsklasse ließ sich die Mannschaft von Giraldez bisher nicht lange bitten. In der Gruppenphase gewann man alle Begegnungen und kassierte nur ein einziges Gegentor: So konnten der Ligakonkurrent TSG 1899 Hoffenheim und der Viertelfinalgegner der Wölfinnen, der Arsenal Women FC, dem FC Barcelona wenig entgegensetzen. Im Halbfinale kam es dann zum großen Spektakel, als das Los für das El Classico sorgte. Sportlich war an sich auch dies eine recht eindeutige Geschichte: Nach einem 3:1-Hinspielsieg in Madrid zog man durch einen 5:2-Heimerfolg, gegen gerade in der Liga in dieser Saison enttäuschende Madrileninnen, ins Halbfinale ein. Außergewöhnlich und einmalig war aber die Atmosphäre: 91.553 Zuschauer sind neuer Weltrekord im Frauenfußball.
- Erzrivalen: Real Madrid (El Classico), Espanyol Barcelona (derbi barceloni)
- Fans und Hymne: Während in Spanien Real Madrid anhängertechnisch die Nase vorne hat, gilt der FC Barcelona weltweit als der Verein mit den meisten Anhängern. Mit gut 170.000 Mitgliedern zählt man zudem die drittmeisten weltweit. Seit 2013 nimmt man jedoch keine „socis“ mehr auf. Diese haben durch ihr Stimmrecht bei den Präsidentschaftswahlen direkten Einfluss auf die Vereinspolitik. Viele von ihnen sind in sogenannten „penyes“ organisiert. Diese Fanklubs, von denen es circa 1.400 gibt, unterstützen den Verein auch finanziell. Umgangssprachlich nennt man die Anhänger der „Blaugrana“ auch „Cules“, was so viel wie Ärsche bedeutet. Dies kommt aus der Zeit, als das Camp del Carrer Industria noch die Heimstätte des FC Barcelona war und Passanten im Vorbeigehen eben nur die sitzende Kehrseite der Zuschauer sahen. Die Hymne des FC Barcelona „El Cant del Barca“ wurde 1974 anlässlich des 75-jährigen Jubiläums komponiert und ist in katalanisch verfasst.
Interessante Details:
- Farben und Spitzname: rot/blau (Heimtrikot), hellblau (Auswärtstrikot), gelb (Ausweichtrikot) / Blaugrana, Cules, Azulgranas, Barca
- Wappen: Im Vergleich zu den anderen Gegnern in der UWCL hat sich das Wappen des FC Barcelona trotz seiner langen Geschichte am wenigsten verändert. Zu den größten Anpassungen war man politisch gezwungen, änderte diese aber nachträglich wieder in den heute bekannten Zustand, der nahe am Original ist.
- Stadion: Die Frauen tragen ihre Spiele meist im 6.000 Zuschauer fassenden Estadi Johan Cruyff aus. Für die Champions-League nutzen sie gegen die Wölfinnen nun zum zweiten Mal das Camp Nou – Europas größtes Fußballstadion.
- Trainer: Seit dieser Saison ist Jonatan Giraldez Cheftrainer des FC Barcelona. Der erst 30-jährige Spanier übernahm von Lluis Cortes, unter dem er zuvor Co-Trainer war.
- Stadt: Barcelona ist mit 1.6 Millionen Einwohnern die zweitgrößte Stadt Spaniens. Die Hauptstadt Kataloniens liegt am Mittelmeer, 120 Kilometer von der französischen Grenze entfernt und ist die am zweitdichtesten besiedelte Metropole Europas. Der Touristenmagnet punktet vor allem mit seiner Lage am Meer, den zahlreichen Sehenswürdigkeiten, seiner Architektur und dem kulturellen wie sozialen Treiben in der pulsierenden Metropole. Als Zentrum Kataloniens ist Barcelona politisch auch der Mittelpunkt der seit Jahrzehnten andauernden Unabhängigkeitsbestrebungen der Katalanen. Diese gesellschaftlichen Unruhen sind auch Ursprung der Rivalität zu Real Madrid, welches aus der Sicht vieler Katalanen vom spanischen Zentralstaat massiv bevorzugt wird.
Matchcenter: Alle Infos zur Partie
Wölfe TV: Hola, Barca!