Meisterschaft, Pokalsieg, Relegationen – aufwühlende Ereignisse gab es in der VfL-Geschichte viele. Das Schicksal Krzysztof Nowaks hat in der Chronik der Wölfe jedoch einen ganz eigenen Rang und ist zum festen Bestandteil der grün-weißen DNA geworden. Wie muss es da erst einer direkten Angehörigen gehen? Maria Nowak, Tochter der „Nummer Zehn der Herzen“, hat ihren Vater kaum erlebt und ist dennoch unweigerlich zum Teil seiner tragischen Geschichte geworden. Wie die 24 Jahre alte Studentin damit umgeht und was ihr die Rolle ihres Vaters im Verein bedeutet, das verriet sie im Interview.
Maria Nowak, am Montag wird es 20 Jahre her sein, dass dein Vater verstorben ist. An der Volkswagen Arena wird es deswegen eine Gedenkveranstaltung geben. Wie ist deine Gefühlslage mit Blick auf diesen Tag?
Maria Nowak: Die ist gemischt, würde ich sagen. Einerseits ist es für mich auch nach 20 Jahren immer noch kein einfacher Tag. Man trauert nach wie vor, dass Papa nicht mehr da ist. Andererseits freut man sich auch darauf, mit Fans, Vereinsvertretern, Familie und Freunden zusammenzukommen. Es ist jedes Jahr am Todestag schön zu erleben, dass der Verein und die Fans immer noch an Papa denken.
Du selbst wirst auch einen Redeanteil haben. Wie ist das zustande gekommen?
Maria: Es gab eine Planungsgruppe um Michael Schrader und Roy Präger, zu der auch Fans eingeladen waren. Aus diesem Kreis wurde ich gefragt und habe gern zugesagt. Es war schon öfter so, dass jemand aus der Familie auf dem Friedhof das Wort ergriffen und sich bedankt hat. Deshalb war es selbstverständlich für mich, das zu übernehmen.
Vor Ort werden viele alte Weggefährten deines Vaters sein, die ihn vor allem als Fußballer kannten. Hast du selbst ihn bewusst vor Augen?
Maria: Leider nicht. Ich war viereinhalb Jahre alt, als er von uns gegangen ist. Deshalb kann ich mich nicht an ihn erinnern. Manchmal träume ich etwas und kann danach nicht mehr unterscheiden, ob es ein Traum war oder eine Erinnerung. Viele sagen, dass es vielleicht besser so ist. Andererseits ist es traurig, dass mir das fehlt. Ich habe dafür Orte, die ich mit Papa verbinde. Und natürlich die unzähligen Geschichten aus der Familie und von Freunden.
Wenn einem der berühmte Vater vorzeitig aus dem Leben gerissen wurde: Schaut man sich dann alle Spiele und Tore immer wieder an? Oder lässt man das bewusst bleiben?
Maria: Als ich ganz jung war, hatte ich schon diesen Drang. Mit vielleicht sechs oder sieben habe ich auf dem Dachboden rumgewühlt und mir alle möglichen Zeitungsartikel, Bilder oder auch Videokassetten vorgenommen. Obwohl ich nicht mal richtig lesen konnte, habe ich dadurch erst verstanden, was Papa gemacht hat, wer er war und was mit ihm passiert ist. Was ALS ist oder überhaupt ein Nervensystem, das versteht man als kleines Kind natürlich nicht. Später habe ich mich dann richtig ins Thema vertieft und mich mit der Krankheit auseinandergesetzt, auch wenn es sehr schwer für mich war. Und natürlich habe ich mich intensiv mit seiner Karriere befasst und daraus auch selbst eine Fußballleidenschaft entwickelt.
Welche Rolle spielt der Fußball in deinem Leben?
Maria: Als Kind, im Grundschulalter etwa, habe ich selbst im Verein gespielt. Ich habe sogar die Nummer 10 auf dem Rücken getragen. Dadurch habe ich mich meinem Papa nahegefühlt. Im Teenageralter habe ich zwar wieder aufgehört. Aber ich wusste dadurch, dass ich auch beruflich mal im Fußball landen möchte.
Bist du manchmal auch in der Volkswagen Arena?
Maria: Na klar! Früher war ich bei jedem Heimspiel. Ich hatte eine Dauerkarte und stand einige Jahre in der Nordkurve. Jetzt wohne ich ja nicht mehr hier. Aber wenn ich in Wolfsburg bin und zum Beispiel mein Bruder mich fragt, ob ich mit ihm zum Spiel gehen mag, dann bin ich gern dabei.
Viele heutige VfL-Fans haben Krzysztof Nowak ebenfalls nie bewusst erlebt. Trotzdem gehört sein Schicksal untrennbar zum Verein. Bei jedem Heimspiel ist die „Nummer Zehn der Herzen“ mit dabei. Was macht das mit dir?
Maria: Sogar jetzt, wenn ich diese Frage höre, bekomme ich eine Gänsehaut. Und in diesen Momenten ist es genauso. Wenn ich höre, wie das ganze Stadion den Namen meines Papas ruft, dann geht mir das unter die Haut. Gleichzeitig bin ich dann sehr stolz, wie weit er es gebracht hat, obwohl er so jung gestorben ist. Dass sein Name beim VfL immer noch so präsent ist, das ist nicht selbstverständlich nach so langer Zeit. Es stimmt: Die neue Fangeneration hat ihn gar nicht spielen sehen. Und trotzdem lebt diese Tradition, seinen Namen zu rufen, immer weiter. Das berührt mich jedes Mal sehr.
Nicht nur in Deutschland, auch in Polen hat die tragische Geschichte deines Vaters sicherlich viele Menschen bewegt. Ist auch dort der 20. Todestag ein Thema?
Maria: Während wir sprechen, bin ich gerade mit meiner Mutter zusammen auf dem Weg dorthin. Als Kind hatte Papa bei RKS Ursus Warschau mit dem Fußballspielen begonnen. Heute spielt der Verein in der vierten Liga. Man hatte dort schon letztes Jahr eine Petition gestartet mit dem Ziel, das Stadion pünktlich zum 20. Todestag umzubenennen. Da es nicht dem Verein, sondern der Stadt gehört, war das etwas kompliziert. Aber es hat geklappt: An diesem Wochenende wird das Stadion in „Krzysztof-Nowak-Stadion“ umbenannt. Es gibt eine kleine Feier und auch ein Benefizspiel. Eine wirklich tolle Geste, über die wir uns sehr freuen.
Zusätzlich eng mit Wolfsburg verbunden bleibt der Name deines Vaters auch durch die noch von ihm selbst ins Leben gerufene Stiftung. Spendet es dir Trost, dass die Krzysztof Nowak-Stiftung in den letzten 23 Jahren so vielen Menschen, die ebenfalls an ALS erkrankt sind, helfen konnte?
Maria: Definitiv. Es ist unheimlich wichtig, dass es sie gibt. Im Rahmen eines Crossmedia-Projekts über ALS habe ich mal gelesen, dass mein Papa überhaupt erst der Grund dafür war, dass die Krankheit in Deutschland bekannter geworden ist. So traurig es ist, aber irgendwie freut man sich darüber. Es hilft den Betroffenen unheimlich viel, dass es diese Anlaufstelle gibt. Sich beispielsweise das ALS-Mobil für einen Urlaub leihen zu können, klingt erst mal nach einer Kleinigkeit. Aber für Menschen, die an dieser Krankheit leiden, ist das ein Riesengeschenk. Man kann sich auch gar nicht vorstellen, welche Kosten durch Anschaffungen wie einen Rollstuhl oder den Umbau der Wohnung entstehen. Ich bin deshalb froh und dankbar, dass der VfL seinen großen Namen und seine Reichweite für die Stiftung einsetzt. Man kann allen nur von Herzen danken, die sich dafür engagieren, und hoffen, dass sie noch lange existiert.