Sascha Weiß über seinen Werdegang zum Physiotherapeuten, die Zusammenarbeit in einem interdisziplinären Team – und die Frage, wieso Sport nicht gleich Sport ist.
Bevor für die Männermannschaft des VfL Wolfsburg ein Arbeitstag beginnt, ist Sascha Weiß schon lange wach. Vor dem Frühstück fährt er häufig Fahrrad oder geht mit seinen Kollegen in den Fitnessraum. „Ob Dehnung, Mobilität oder Kraft, das kann jeder für sich entscheiden“, sagt er. Im Vordergrund stehe das Miteinander, aber eben auch die Verbundenheit zum Job. „Es ist wichtig, um dranzubleiben, fit zu bleiben, aber auch um mögliche Baustellen, die man am Tag vorher an sich selbst bemerkt hat, zu erkennen und abzubauen.“ Denn als Physiotherapeut gehöre es dazu, einzelne Übungen selbst zu verinnerlichen.
Mehr als zwei Dekaden Erfahrung
„Sport ist nicht gleich Sport“, sagt Weiß über die unterschiedlichen Anforderungen in seinem Beruf. „Es kommt darauf an, welche Extremitäten bevorzugt benötigt werden. Beim Fußball sind es verschiedene.“ Dazu gehören – besonders bei den Torhütern – die Schulter und das Handgelenk, aber natürlich auch der Bizeps im Armbereich sowie die Unterextremitäten – bestehend aus Sprunggelenk, Knie und Hüfte. „Wir schauen nicht nur auf den Muskel, sondern auch auf die Organe, sodass wir jeden Spieler global und ganzheitlich sehen“, beschreibt Weiß seine Tätigkeit. Dazu gehören Auflockerungsarbeit, Mobilisation auf der Behandlungsbank sowie die Untersuchung der Körperstatik. Dies übt er seit mittlerweile über zwanzig Jahren aus. Zwölf davon beim VfL.
Bundesliga folgt auf Bundeswehr
Zu seinem Job kam der gebürtige Schleswig-Holsteiner nicht direkt, sondern über Umwege. Bevor er wusste, wohin ihn sein Karriereweg verschlägt, machte er erst eine Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann und schloss sich anschließend der Bundeswehr an. Nach einem halben Jahr in Bosnien und insgesamt acht Jahren im Dienst stand Weiß jedoch vor dem Scheideweg. „Werde ich Berufssoldat oder gehe ich wieder raus in die freie Marktwirtschaft? Diese Frage hat sich mir gestellt.“ Weiß entschied sich für Letzteres, ging raus – und begann eine Ausbildung zum Physiotherapeuten. „Ich habe in einem Ort angefangen, ungefähr 30 Kilometer entfernt von Wolfsburg, und dort sehr lange als leitender Physiotherapeut gearbeitet“, so der 48-Jährige.
Es folgten viele kleinere Fortbildungen sowie eine Weiterbildung zum Osteopathen, die ihn anschließend zur U23 des VfL Wolfsburgs brachten. Unter dem damaligen Cheftrainer Dieter Hecking kam er 2016 schließlich zum Lizenzkader. „Mein geschätzter Kollege Michele Putaro war zu dem Zeitpunkt selbst noch leitender Physiotherapeut – und so haben wir miteinander getauscht.“ Als Rehatrainer steht Putaro noch immer im Dienst der Mannschaft und pflegt ein gutes Arbeitsverhältnis zu Weiß. „Seit 2017 bin ich leitender Physiotherapeut und sehr glücklich mit dieser Stelle.“
Ein Titel und 13 Cheftrainer
In diesen Jahren hat Weiß beim VfL einiges erlebt. Sei es die Meisterschaft der Regionalliga Nord mit der U23 in der Saison 2013/2014, der doppelte Klassenerhalt 2017 und 2018 mit dem Profikader oder die stetige Entwicklung von Nachwuchstalenten und Profifußballern. Trotz dieser Beständigkeit im Verein war die eigene Arbeit stets im Wandel. „Es kommt immer auf die Philosophie des Trainers an“, meint Weiß, der mit Ralph Hasenhüttl den 13. Cheftrainer – einschließlich seiner Zeit in der U23 – beim VfL vor sich sieht. „Wie möchte es der Trainer, wenn ein Spieler verletzt ist? Dazu gehört, ob ein Spieler erst bei voller Belastbarkeit einsteigt oder schon vorher mitmachen kann.“
Im Großen und Ganzen sehen wir zu, dass wir die Spieler schnellstmöglich auf den Platz bekommen.
Sascha WeißPhysiotherapie ist ein Zusammenspiel mit anderen Schnittstellen aus dem Lizenzkader und funktioniert nicht allein. „Wir sind ein interdisziplinäres Team. Wir haben viele Schichten, bei denen wir alle zusammenarbeiten und für den Trainer zusammentragen, damit er ein bestmögliches Bild über den einzelnen Spieler hat.“ Besonders mit dem Chiropraktor Alexander Steinbrenner und den Athletiktrainern stehen die Physiotherapeuten in einem engen Austausch. „Die Intensität wird unter den Athletiktrainern besprochen und dann mit uns abgestimmt, sodass wir im Groben wissen, worauf es ankommt.“ Das Physio-Team untersucht die Spieler und bespricht daraufhin mit dem Trainerstab mögliche Risiken und Chancen. „Diese Empfehlungen geben wir weiter an den Trainer. Sehen wir bei bestimmten Spielern gewisse Problemzonen, gibt es dennoch Möglichkeiten einer Teilintegration im Training. Das wird vom Trainerteam umgesetzt, aber es muss zur Situation passen. Im Großen und Ganzen sehen wir zu, dass wir die Spieler schnellstmöglich auf den Platz bekommen.“
Höchste Wachsamkeit gefragt
Neben Weiß gehören auch Patrick Kasprowski, Dennis Wöhr und Alexander Jura zum Physio-Team der Lizenzmannschaft. Im Trainingslager in Almancil waren alle mit dabei, um die Mannschaft bestmöglich auf das Restprogramm der laufenden Saison vorzubereiten. Groß unterscheiden würde sich beim Arbeitsvorgehen zum Standort Wolfsburg allerdings nichts. Denn um das Potenzial der Wölfe voll auszuschöpfen, stehen Weiß und sein Team allzeit bereit. „Es gibt keine festen Zeiten, zu denen die Spieler zu uns kommen können. Für uns gibt es keine Mittagspause, sondern wir sind für die Spieler jederzeit ansprechbar und arbeiten durchgehend.“ Besonders vor dem Spielauftakt sei es wichtig, Präsenz zu zeigen, um möglichen Verletzungen vorzubeugen und präventiv zu agieren. „Ein Ausfall bedeutet einen Rückschritt für den Spieler, der die Chance sieht ranzukommen oder im Konkurrenzkampf stehen will“, stellt er fest und weiß um die Bedeutung jeder noch so kleinen Beeinträchtigung. „Jeder will sich von der besten Seite zeigen.“ Und das gilt nicht nur für die Fußballer.