Geschichte

Laufwunder aus England

Für Volkswagen war Waldemar Gust in der Welt unterwegs. Zum VfL kam er direkt von der Insel.

Viel gesehen von der Welt

Hört man ihn über seine Berufszeit berichten, scheint Waldemar Gust stets zur besten Zeit am richtigen Ort gewesen zu sein. Mit einer Lehre zum Mechaniker fing 1956 alles an. Fünf Jahre später arbeitete Gust schon in England, um die Markteinführung des Typ 3 zu begleiten. „Die Händler kannten sich mit dem neuen Auto noch nicht aus, daher wurde ich für ein Jahr nach Brighton geschickt.“ Großbritannien blieb nicht die letzte Auslandsstation. Zunächst kehrte der gebürtige Ostpreuße nach Wolfsburg zurück, beschäftigte sich im Kundendienst mit dem Typ 14 und dem Porsche 914, dessen Export nach Amerika er eng begleitete. Ab 1981 wechselte Gust für fünf Jahre in den Vertrieb, dann zurück ins Service-Management, um bald in ganz Europa Händler zu kontrollieren. „Von Norwegen bis Italien war ich fast überall, das war sehr vielseitig und interessant“, erinnert sich Gust, dessen berufliche Abenteuer sich bis zum Ruhestand sogar noch steigerten: Von 1991 bis 1995 wirkte er im Namen Volkswagens für ganz Osteuropa und Zentralasien als Länderreferent.

Umgelernt zum Verteidiger

Viel Stoff für ein erfülltes Berufsleben also, doch aufregende Zeiten erlebte Gust auch im Fußball. Der TSV Rethen, den er Jahre später als Trainer betreute, war sein Jugendverein. Mit 17 wechselte er zum 1. FC Wolfsburg, ehe sein England-Abenteuer begann. „Dort habe ich in Brightons Reserveteam gespielt – unter bemerkenswert hohen Anforderungen. Man hat deutlich gemerkt, dass der englische Fußball damals weiter entwickelt war.“ So bekam der VfL Wolfsburg 1962 einen Halbstürmer mit internationaler Erfahrung. Denn Heinz Fischer und Wilfried Kemmer lotsten ihn direkt nach seiner Rückkehr zu den Grün-Weißen. In der jungen Truppe, die über Jahre zusammenbleiben sollte, fühlte Gust sich auf Anhieb wohl. Zumal es mit der Amateur-Meisterschaft samt Qualifikation für die neue Regionalliga Nord gleich einen großen Erfolg gab. Vier Jahre hieß der Trainer „Pipin“ Lachner. Ihm folgte Imre Farkaszinski ins Amt und funktionierte Waldemar Gust in einen Außenverteidiger um. „Überraschenderweise hat mir das sogar gelegen, weil ich mich offensiv weiter reinbringen konnte.“

Dörfels Kettenhund

Noch bis 1972 spielte Gust in Grün-Weiß, prägte am Elsterweg also eine komplette Dekade. Und sollte als Laufwunder in Erinnerung bleiben. Mit erstaunlicher Ausdauer rannte er die Linie runter und wieder rauf, setzte die Vorderleute in Szene und verteidigte Mann gegen Mann. Gust war dabei, als die Wölfe in der Bundesliga-Aufstiegsrunde 1970 scheiterten und erlebte ein Pokalspiel gegen die Münchner Löwen mit ihrem legendären Schlussmann Toni Radenkovic, das nach 3:0-Führung noch 3:4 verloren ging. Sein vielleicht bestes Spiel lieferte der heute 73-Jährige – ebenfalls im DFB-Pokal – im Winter 1969 gegen den HSV, als er seinen entnervten Gegenspieler Charly Dörfel ständig in die eigene Hälfte trieb. Waldemar Gust lacht heute noch, wenn er an folgenden Dialog denkt: „Irgendwann fragte er mich: ‚Warum gehst du immer mit nach vorne? Bleib doch mal hinten, dann gebe ich dir nachher ein Bier aus!‘“

Veröffentlicht in „Unter Wölfen“ am 26. Oktober 2013.