Geschichte

Baden verboten

Dieter Grünsch war die VfL-Torwart-Ikone der Ära Imre Farkaszinski. Seinem Trainer ging er zum Einstand gleich voll auf den Leim.

Grünsch in Aktion.

Eigentlich verlief das Kennenlernen ausgesprochen nett. Der Trainer des VfL Wolfsburg gab sich charmant, plauderte mit dem neuen Keeper über Gott und die Welt und reichte ihm dabei immer wieder von seinen Zigaretten. „Wir haben eine nach der anderen geraucht und sehr viel gelacht. Ganz am Ende sagte er dann: ‚So, du bist also Raucher!‘ Da wurde mir klar, dass ich getestet worden war.“ Seinen Lapsus sollte Dieter Grünsch über die Jahre teuer bezahlen. „Farka hatte mich seitdem auf dem Kieker, ich habe regelmäßig fürs Rauchen abdrücken müssen.“ Doch auch wenn er bei den Nikotin-Kontrollen des Trainers ständig durchfiel: Grünsch wurde für sieben Jahre Farkaszinskis Nummer eins und prägte als Torwart am Elsterweg die 60er und 70er Jahre.

Grünsch, geboren in Ostpreußen, war und ist wie viele Wölfe-Spieler seiner Zeit in Wolfsburg ein bekannter Mann. „Wenn ich montags im Werk aus dem Auto gestiegen bin, wurde ich auf dem Parkplatz schon angesprochen. Das war dann angenehm oder nicht, je nach Spielausgang am Wochenende.“ In der Regel dürften diese Begegnungen schön gewesen sein, denn am Elsterweg gab es meistens Spitzenfußball zu sehen. Grünsch, der zuvor in Lehrte, Celle und Hildesheim gespielt hatte und zwischendurch sogar beim HSV im Gespräch war, klopfte mit den Grün-Weißen 1970 durchaus hörbar ans Bundesligator. Seine größte Sternstunde im VfL-Trikot war das legendäre Elfmeterschießen 1970 gegen Schalke. Das Pokal-Wiederholungsspiel in der Glückauf Kampfbahn war nicht nur hochdramatisch, sondern auch das erste Spiel, in dem das Elfmeterschießen zum Einsatz kam. Grünsch hielt zwei Elfmeter. Doch das Spiel ging letztlich verloren.

Mit dem Fußball allein kamen auch die Besten gleichwohl kaum über die Runden. Und die meisten – wie Dieter Grünsch – wollten es auch nicht. „Ich hatte immer im Hinterkopf: Wenn du mal aufhörst, dann hast du deinen Arbeitsplatz. Deswegen war ich heilfroh, als ich endlich ins Werk kam.“ Wegen Kurzarbeit war ihm der Weg bei seiner Ankunft in Wolfsburg 1967 versperrt. Nach einem Dreivierteljahr, das der gelernte Schlosser mit anderen Jobs überbrückte, ging es bei Volkswagen dann aber los. Zunächst reparierte er Fahrzeuge von Werksangehörigen, ehe er ab 1969 seinen festen Platz in der FE fand. In der Abteilung PKW-Versuch testete er als Autoschlosser Motoren, Getriebe und Bremsen, zuletzt ausschließlich am Golf. 2003 ging Grünsch in den Ruhestand.

Seine VfL-Zeit ist angesichts von weit über 200 Spielen, die er bis 1974, bestritt, reich an Anekdoten. Hinter dem Tor wusste Grünsch etwa nicht nur die Fans, sondern auch den auf der Grundlinie hin- und herlaufenden Präsidenten Willy Wolf, der den Keeper mit seinen Zwischenrufen oft wahnsinnig machte. „Manchmal wusste ich mir nicht anders zu helfen, als ihn vom Schiedsrichter entfernen zu lassen“, lacht Grünsch, der am bildhaftesten indes von Farkaszinski erzählt. „Einmal bin ich im Hochsommer ins VW-Bad gefahren, stieg aus dem Käfer und schaute mich vorsichtig um. Da hörte ich ihn schon: ‚Langer, was machst du denn hier?‘ Ins Freibad zu gehen, war wegen der körperlichen Anstrengung nämlich verboten“, erklärt der 73-Jährige. „Er war einfach ein Zweihundertprozentiger.“

Veröffentlicht in „Unter Wölfen“ am 22. Oktober 2017.