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Die Ahnen der Wölfinnen
Mit der Teilnahme am Endspiel um den noch jungen DFB-Pokal betraten die Spielerinnen des VfR Eintracht Wolfsburg im Jahr 1984 eine unbekannte Welt.
Wird im FrĂŒhjahr in Köln die BĂŒhne fĂŒr die PokalĂŒbergabe herausgeputzt, dann sind die Frauen des VfL Wolfsburg meistens nicht weit. Seit dem Achtelfinale 2013/2014 haben die Wölfinnen im Wettbewerb kein Spiel mehr verloren, sind seither also in jedes einzelne Endspiel gezogen, um am Ende stets die TrophĂ€e auch zu gewinnen. Ihren Anfang nahm die Geschichte des grĂŒn-weiĂen Pokal-Dauererfolgs strenggenommen aber nicht erst im DebĂŒtsieg des Triple-Jahres 2013. Denn die Wurzeln der heutigen VfL-Frauenabteilung lassen sich zurĂŒckverfolgen bis tief in die 70er Jahre, als der VorvorgĂ€ngerklub VfR Eintracht Wolfsburg den FrauenfuĂball in der Region etablierte. Mit dem Einzug ins Pokalendspiel 1984 rĂŒckte das Team sogar bundesweit ins Rampenlicht.
LegendÀrer Fehlschuss
Warum der DFB-Pokal so mythenumrankt ist, dafĂŒr taugt die Saison 1983/1984 als allerbestes Beispiel. Schon ein 6:6-Spektakel im Halbfinale hatte die Menschen elektrisiert. Und nun diese eine Szene, die nicht nur den FehlschĂŒtzen bis heute verfolgt, sondern das Endspiel in Frankfurt auch zu einem der berĂŒhmtesten des Wettbewerbs macht. Natascha Wiggers war hautnah dabei, als Lothar MatthĂ€us mit seinem letzten Ballkontakt fĂŒr die Gladbacher Fohlen das Leder vom Elfmeterpunkt in den Abendhimmel drosch. Wenig spĂ€ter reckten die Bayern, MatthĂ€usâ designierter neuer Arbeitgeber, zum siebten Mal den Pokal in die Luft. âEin bisschen versöhnt war ich in dem Moment schon. Noch schöner wĂ€re nur gewesen, auch wir hĂ€tten vorher den Titel geholtâ, erinnert sich Wiggers, die an diesem 31. Mai nicht (nur) als Bayern-Fan im Waldstadion saĂ, sondern kurz vorher selbst auf dem Endspielrasen aktiv gewesen war. Im Pokalfinale der Frauen war der VfR Eintracht Wolfsburg im Duell mit der SSG 09 Bergisch Gladbach in eine neue Welt eingetaucht.
Als GrĂŒnschnabel ins Endspiel
Wiggers, gebĂŒrtige Wolfsburgerin, wusste an diesem Tag kaum, wie ihr geschah. Mit gerade 16 Jahren stand sie soeben an der Schwelle zwischen Schule und Beruf. Selbst die Erfahrung, auf organisierte Weise FuĂball zu spielen, war noch immer recht frisch. âBis 1983 hatte ich nie im Verein gespielt. Meiner Mutter war es dann zu bunt geworden, dass ich meine komplette Freizeit im Bolzplatz-KĂ€fig zugebracht habe. Sie hoffte, mit geregelten TagesablĂ€ufen meine Schulleistungen in den Griff zu bekommen. Deshalb hat sie mich beim VfR angemeldet.â Weder Mutter noch Tochter sollten diesen Schachzug bereuen: Gut 13 Jahre spielte Wiggers fĂŒr den VfR Eintracht, davon etliche Jahre als MannschaftsfĂŒhrerin, und schaffte es gar in den Dunstkreis der Nationalmannschaft, ehe sie nach den Zwischenstationen Fortuna SachsenroĂ Hannover und Sportfreunde Siegen 1999 zu ihrem Heimatklub â nun unter der Flagge des WSV Wendschott â zurĂŒckkam. Mit 33 Jahren hĂ€ngte sie die Schuhe an den Nagel. Und kann heute behaupten, die Pionierjahre des FrauenfuĂballs am Mittellandkanal mitgeprĂ€gt zu haben. âWolfsburg war damals schon ein anerkannter Standort, auch wenn das mit heutigen MaĂstĂ€ben natĂŒrlich nicht zu vergleichen ist.â
SpitzenfuĂball vor starken Kulissen
Die Rahmenbedingungen, die Wiggers beschreibt, klingen aus aktuellem Blickwinkel in der Tat putzig. âWir hatten genau zwei SĂ€tze Trikots, einen fĂŒr Heimspiele und einen fĂŒr auswĂ€rts. Reihum hat eine aus der Mannschaft sie immer gewaschen. Geld gab es keines, ganz im Gegenteil: Wir haben alle artig noch unseren Beitrag bezahltâ, berichtet Wiggers und lacht. In der Region kam, wer FrauenfuĂball mochte, am VfR gleichwohl nicht vorbei. Ab 1976 spielten die Eintracht-Frauen, deren Abteilung 1973 gegrĂŒndet worden war, immer in der höchstmöglichen Klasse, die sich zuerst Verbandsliga und ab 1979 Landesliga nannte. Dort, in der Ost-Staffel, schoss das Team in Wiggersâ erster Saison â vor teilweise mehreren hundert Zuschauern â mit 16 Siegen in 16 Partien bei einem TorverhĂ€ltnis von 64:2 alles kurz und klein. Wie schon zwei Jahre zuvor konnte sich die Eintracht in der folgenden Meisterrunde den Niedersachsentitel sichern. Zum zweiten Mal nach 1980 triumphierte sie 1983 auĂerdem im Landespokal. âAuf diesem Weg haben wir es dann auch nach Frankfurt geschafft, denn die Landessieger haben immer die Finalisten ermitteltâ, erlĂ€utert Wiggers. ATSV Stockelsdorf (4:2), FSV Harburg (6:0) und im Halbfinale der namhafte SC 07 Bad Neuenahr (2:1) â so lösten die Wolfsburgerinnen das Ticket. âDieses Endspiel zu erreichen, war durchaus ĂŒberraschend, an sich aber keine Sensation. Auch in anderen Jahren sind wir im Pokal weit gekommen. Trotzdem waren wir gegen Bergisch Gladbach fast hoffnungsloser AuĂenseiter.â
Frauen-Finals noch neu im Programm
Zur ErlĂ€uterung der KrĂ€fteverhĂ€ltnisse tippt Wiggers nur auf die Fotos: âAllein die Körperhaltung beider Teams sagt schon einiges aus. Man sieht uns richtig an, wie eingeschĂŒchtert wir waren. Wir haben damals zweimal pro Woche trainiert, und zwar auf Schlacke. Verglichen mit uns sehen die Bergisch Gladbacherinnen wie absolute Topathleten aus.â In der noch jungen Disziplin FrauenfuĂball â noch bis 1970 in Deutschland offiziell gar nicht erlaubt â zĂ€hlte die SSG 09 Bergisch Gladbach tatsĂ€chlich zu den allerersten Spitzenteams. Zwischen 1977 und 1989 wurden die RheinlĂ€nderrinnen neun Mal Deutscher Meister. Als 1984 nun zum erst vierten Mal auch im DFB-Pokal ein bundesweiter Sieger ausgespielt wurde, war Bergisch Gladbach als Gewinner der ersten beiden Jahre bereits RekordtiteltrĂ€ger. Und trat nun in die Manege, um im ungleichen Duell mit den finalfremden Wolfsburgerinnen die frisch gebackene Meisterschaft zum dritten Mal zu einem Double zu krönen.
Einseitiges KrÀftemessen
Nicht nur Wiggers, auch alle anderen VfR-Spielerinnen betraten im krassen Gegensatz dazu mit der EndspielbĂŒhne Neuland. Ausgenommen war einzig Christel Klinzmann, die sogar beim allerersten offiziellen DFB-LĂ€nderspiel der Frauen, das gerade zwei Jahre zurĂŒcklag, mit dabei gewesen war. âSich zur Nationalhymne aufzustellen, das hatte auĂer ihr aus unserer Truppe noch niemand erlebt. Geschweige denn eine solche Kulisse, denn zum Ende unseres Spiels war das Stadion mit Sicherheit schon zu zwei Dritteln voll.â Die Partie selbst, ausgetragen ĂŒber zweimal 40 Minuten, hat Wiggers kurioserweise kaum noch vor Augen. Durch ein frĂŒhes und ein spĂ€tes Tor holte sich der Favorit wie erwartet den Pott. âIm Stenogramm sieht es aus, als wĂ€re bis in die Schlussphase alles offen gewesen. TatsĂ€chlich kann ich mich aber nicht mal entsinnen, aufs Tor geschossen zu habenâ, sagt die 52-JĂ€hrige lĂ€chelnd, die zu Anfang ihrer Laufbahn wohlgemerkt als MittelstĂŒrmerin spielte. âVermutlich bin ich deshalb auch zur Halbzeit ausgewechselt worden. Verletzt hatte ich mich jedenfalls nicht.â
Angefeuert von den Bayern-Fans
Nicht verblasst demgegenĂŒber sind die Erinnerungen ans Drumherum. Und das klingt in Wiggersâ ErzĂ€hlungen nicht nur aufregend, sondern zum Teil höchstkurios. Ausgelegt war die Veranstaltung schlieĂlich auf den groĂen Höhepunkt des Abends, das bis dahin an wechselnden Orten (und ab der folgenden Saison fest in Berlin) ausgetragene Endspiel der MĂ€nner. âWir hatten auch eigene Fans dabei, aber die beiden Reisebusse mit Wolfsburgern gingen in der Menge völlig unter.â SpĂŒrbare UnterstĂŒtzung von den RĂ€ngen gab es fĂŒr den VfR aber trotzdem: âLustigerweise haben die Bayern-Fans uns angefeuert und die Gladbacher unseren Gegner. Der Grund war, dass wir in Rot gespielt haben und Bergisch Gladbach in WeiĂâ, lacht Wiggers und berichtet von einem heute unfassbar klingenden (buchstĂ€blichen) Randereignis. âWĂ€hrend unseres Spiels sind schon mal ein paar Gladbacher aus den Katakomben gekommen, um ihre Schuhe zu testen. Und zwar nicht irgendwo abseits, sondern direkt auf dem Rasen. In BallnĂ€he kamen sie nicht, aber mindestens sechs oder sieben Meter ins Feld.â
Uli HoeneĂ ein Souvenir abgeschwatzt
Jubeltrauben, TrĂ€nenmeer, Konfettikanonen â einen solchen Nachlauf hatte die glimpfliche 0:2-Niederlage des VfR nicht. âDieser Teil war Ă€uĂerst unspektakulĂ€r. Unser Trainer Manfred Blume hat uns getröstet, fĂŒr Bergisch Gladbach gab es ein paar schnelle Gratulationen. Dann haben wir zusammen gegessen und, ehe es am selben Abend wieder nach Hause ging, das MĂ€nner-Finale auf der TribĂŒne verfolgt.â FĂŒr die mit Abstand JĂŒngste im Team des VfR Eintracht, seit Kindesbeinen Bayern-AnhĂ€ngerin, blieb allein dieses Erlebnis schon unvergesslich. Vor allem aufgrund eines besonderen ErinnerungsstĂŒcks. âIch hatte Poster von Kalle Rummenigge und Paul Breitner ĂŒber meinem Bett. Deshalb musste ich die Chance nutzen: Ich habe einfach Uli HoeneĂ, damals noch ganz junger Manager, angesprochen und ihn nach einem Trikot gefragt. Ich hĂ€tte ja nie gedacht, dass daraus etwas wirdâ, erklĂ€rt Wiggers. Wurde es aber: âAls ich geduscht aus der Kabine kam, bog er plötzlich um die Ecke und rief: âWer wollte nochmal dieses Trikot hier haben?â Es war ein Breitner-Trikot, das ich bis heute in Ehren halte. Ich muss sagen: DafĂŒr mag ich Uli HoeneĂ noch immer.â
Steiniger Weg zum Henkelpokal
Der VfR Eintracht kehrte nie mehr ins Endspiel zurĂŒck. In der Region blieb der Klub gleichwohl ein Spitzenteam und war damit auch gut genug, um in der zur Spielzeit 1990/1991 eingefĂŒhrten zweigleisigen Bundesliga zu den 20 GrĂŒndungsmitgliedern zu zĂ€hlen. Finanziell geriet der VfR, bis dahin ohne jede Schnittmenge mit dem VfL Wolfsburg, wie viele Pioniervereine jedoch an seine Grenzen. Nachdem die Qualifikation zum eingleisigen Oberhaus 1997 misslang, kam es deshalb zur Fusion mit dem Wendschotter SV inklusive Neustart in der Regionalliga als WSV Wolfsburg. Dieser kehrte sofort in die höchste Klasse zurĂŒck, ehe 2003 wiederum diese Frauenabteilung zum VfL ĂŒbertrat. Schon zwei Jahre danach ging dann der Stern einer gewissen Martina MĂŒller auf, die Jahre spĂ€ter im Champions-League-Finale von London ganz Europa mit ihrem 1:0-Siegtor ĂŒber Olympique Lyon auf die Wölfinnen aufmerksam machte. Um etliche weitere Pokale und Meisterschalen ist die Schatzkammer seitdem aufgefĂŒllt worden, darunter auch eine zweite TrophĂ€e der Königsklasse.
Nur die besten Finals mitgenommen
Auch wenn ĂŒber 35 Jahre und mehrere Fusionen dazwischenliegen: Steckt in der heutigen Titelmaschine vielleicht noch ein winziger Anteil der 84er VorkĂ€mpferinnen? âManchmal denkt man sich schon: Ohne uns Alte wĂŒrde es das vielleicht alles nicht gebenâ, sagt Wiggers im SpaĂ. Mit dem aktiven FuĂball hat die gelernte Zerspanungsmechanikerin, die bis 1995 in der Volkswagen Systemanalyse arbeitete und sich mit einer Firma fĂŒr Werbetechnik nach der Karriere in der Region einen Namen gemacht hat, heute nichts mehr am Hut. Auch Kontakte zur Finaltruppe von 1984 hĂ€lt sie inzwischen keine mehr. âUm immer noch regelmĂ€Ăig zu spielen, fehlt durch den Beruf leider völlig die Zeit. Aber Fan bin ich immer geblieben, und zwar nicht nur der Bayern, sondern auch des VfLâ, stellt sie klar und berichtet wie zum Beweis von einem weiteren Pokalendspiel, dem einzigen neben ihrem âeigenenâ von 1984, das sie jemals besucht hat: âIn Berlin bin ich auch mal gewesen. Und auch da hat meine Lieblingsmannschaft gewonnen: nĂ€mlich der VfL Wolfsburg im Jahr 2015.â
Veröffentlicht im âUnter Wölfen Magazinâ im Dezember 2019.
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Das Pokalfinale der Frauen am 31. Mai 1984
SSG 09 Bergisch Gladbach: Rosemarie Neuser â Erika Neuenfeldt â Gaby Dlugi-Winterberg, Monika Degwitz, Adele Corico (60. Ingrid Gebauer) â Gisela Dahl, Bettina Krug, Brigitte Klinz (42. Silvia Neid), Mila Schauerova â Doris Kresimon, Petra Bartelmann. Trainerin: Anne Trabant-Haarbach
VfR Eintracht Wolfsburg: Helma GlĂŒck â Christel Klinzmann â Karin Mustroph, Maike Knopf, Wiltrud Vornkahl â Angelika Quischinsky, Heidi Penk, Petra Damm, Lange â Eleonore Schrader, Natascha Wiggers (41. Nicole Ulrich). Trainer: Manfred Blume
Tore: 1:0 Bartelmann (28.), 2:0 Dlugi-Winterberg (78.)
Gelbe Karten: Degwitz / â
Zuschauer: 10.000 am Donnerstagnachmittag im Frankfurter Waldstadion
Schiedsrichter: Manfred Neuer (Leimen)
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Werdegang des VfR Eintracht Wolfsburg
Saison Spielklasse Platzierung Punkte Tore 1976/1977 Verbandsliga Ost 2. 29:7 62:20 1977/1978 Verbandsliga Ost 1. 34:2 81:12 1978/1979 Verbandsliga Ost 2. 26:10 37:10 1979/1980 Landesliga Ost 2. 33:3 62:5 1980/1981 Landesliga Ost 1. 34:2 87:3 1981/1982 Landesliga Ost 1. 33:3 81:5 1982/1983 Landesliga Ost 1. 28:4 66:6 1983/1984 Landesliga Ost 1. 32:0 64:2 1984/1985 Landesliga Ost 1. 31:5 49:10 1985/1986 Landesliga Ost 1. 30:6 68:14 1986/1987 Oberliga Nord 2. 26:10 31:15 1987/1988 Oberliga Nord 4. 30:14 47:21 1988/1989 Oberliga Nord 2. 33:7 56:15 1989/1990 Oberliga Nord 1. 38:6 76:18 1990/1991 Bundesliga Nord 6. 18:18 43:34 1991/1992 Bundesliga Nord 5. 22:18 36:28 1992/1993 Bundesliga Nord 7. 15:21 27:42 1993/1994 Bundesliga Nord 6. 18:18 36:40 1994/1995 Bundesliga Nord 7. 15:21 31:37 1995/1996 Bundesliga Nord 8. 19 18:40 -
Titel und Auszeichnungen
Niedersachsenmeister: 1982, 1984
Gewinner Niedersachsenpokal: 1980, 1983, 1985, 1988, 1989, 1990
Wolfsburgs Mannschaft des Jahres: 1982, 1990