Als meinungsstark ist Anna Blässe nicht erst bekannt, seit sie am vergangenen Sonntag mit mehr als hunderttausend Gleichgesinnten in Berlin für Frieden und gegen Russlands Krieg gegen die Ukraine demonstrierte. Die 35-Jährige nutzt ihre Reichweite als eine der erfolgreichsten deutschen Fußballerinnen schon seit vielen Jahren, um Haltung zu zeigen, für Werte einzustehen, um Vorbild zu sein. Der Mainstream ist ihr dabei reichlich egal – was andere machen, muss Blässe noch lange nicht machen. So finden sich auf ihrem Instagram-Profil eben nicht nur Jubelszenen, Titelfeiern und karibische Sonnenuntergänge, sondern auch schon mal ein ausgestreckter Mittelfinger wieder. „Be yourself“ heißt die Botschaft dahinter, die man eben verstehen muss, um Blässe zu verstehen. Oder aktuell eben „Make Love, Not War“ – denn genau das stand in blau-gelber Schrift auf ihrem Pappschild vor dem Brandenburger Tor. Im Interview gibt Blässe Einblicke in ihre Gedankenwelt zu den schwer begreiflichen Vorgängen der letzten Tage.
Anna Blässe, es gibt viele Möglichkeiten, einen trainingsfreien Tag zu nutzen. Du bist nach Berin gefahren, um für Frieden in der Ukraine zu demonstrieren. Warum?
Anna Blässe: Mich hat der Ausbruch dieses Krieges wirklich sehr bewegt und auch mitgenommen. Daher war es für mich auch recht schnell klar, dass ich bei dieser Demo in Berlin dabei sein möchte. Ich glaube, dass es wichtig ist, den Leidtragenden dieses Krieges zu zeigen, dass wir solidarisch mit ihnen sind.
Siehst du dich als prominente Sportlerin noch etwas mehr in der Verantwortung?
Anna: Ja, absolut. Ich werde von vielen in erster Linie als Fußballerin wahrgenommen, aber in erster Linie bin ich ein Mensch. Und als Mensch geht mir die aktuelle Situation sehr nahe. Ich habe bewusst Fotos von der Demo in Berlin gepostet, um andere Menschen zum Nachdenken zu bewegen und sie dazu zu bringen, ihren Mikrokosmos zu verlassen. Niemand muss sich an mir ein Vorbild nehmen. Vielleicht habe ich aber einige erreicht, die gemütlich auf der Couch gelegen haben und nun beim nächsten Mal aktiv dabei sind, wenn es darum geht, für Frieden und Freiheit auf die Straße zu gehen.
Nicht selten hört man in diesen Tagen auch die These, dass Politik und Sport getrennt voneinander zu betrachten sind. Wie siehst du das?
Anna: Für Frieden auf die Straße zu gehen und den Sport als Sprachrohr für Frieden zu nutzen, hat für mich nichts mit Politik zu tun. Es geht hier nicht um die Frage „Steuern rauf oder Steuern runter?“, es geht um Menschenrechte. Dafür sollten wir doch eigentlich alle stehen.
Nun könnte man aber entgegenhalten, dass Menschenrechte nicht erst seit letzten Donnerstag verletzt werden, auch woanders finden kriegerische Auseinandersetzungen statt.
Anna: Das stimmt. Vielleicht hat das teilweise mit der Psychologie des Menschen zu tun. Damit, dass wir Bedrohungen vor der eigenen Haustür eher wahrnehmen. Aber nicht nur. Aus meiner Sicht muss man bei diesem Krieg die Ausgangslage betrachten. Putin hat vor, mit einem Krieg das Staatsgebiet Russlands zu vergrößern. Mitten in Europa, wo Frieden für viele selbstverständlich war. Daher sind wir alle auch von diesem Krieg betroffen.
Du hattest in deiner Kindheit ukrainische Freunde. Wie kam es dazu?
Anna: In einem Dorf nahe meiner Heimatstadt Weimar gab es damals eine Organisation, die Kinder aus Tschernobyl zu einem dreimonatigen Kuraufenthalt nach Deutschland vermittelt hat. Und da hat sich meine Mutter angemeldet. Wir hatten dann entweder jedes zweite oder dritte Wochenende ein Kind aus der Ukraine bei uns zu Gast, oder auch mal vier Wochen am Stück. Wir haben uns sprachlich nicht verstanden, haben uns nur mit Wörterbüchern verständigt. Und trotzdem sind Freundschaften entstanden. Aber neben diesem Austausch hatten wir auch einige Kontakte zu Russen, da war vieles noch von der DDR geprägt. Wir hatten auch noch Russisch in der Schule. Ich hatte also immer Berührungspunkte mit diesen beiden Nationalitäten.
Welche Verantwortung hat denn die russische Bevölkerung in diesem Konflikt?
Anna: Das kann ich nicht beantworten. Aber ich habe das Gefühl, dass die Menschen von ihrem Präsidenten, der nicht ehrlich ist, in eine falsche Richtung gesteuert werden. Und man darf auch nie vergessen, dass es enormen Mut braucht, sich in Russland kritisch gegenüber der Staatsmacht zu äußern. Ich bewundere den Mut aller Russinnen und Russen, die in ihrem Heimatland für Frieden demonstrieren. Es ist Putins Krieg, nicht der Krieg der russischen Bevölkerung.
Eine nachvollziehbare Unterscheidung. Aber russische Sportlerinnen und Sportler werden gerade von vielen internationalen Veranstaltungen ausgeschlossen. Sie können doch auch nichts für ihren Präsidenten.
Anna: Das finde ich gerechtfertigt, denn es geht darum, Zeichen zu setzen. Und ich könnte mir sogar vorstellen, dass es auch viele russische Sportlerinnen und Sportler nachvollziehen können, auch wenn sie betroffen sind. Wer viel reist und viel unterwegs ist, hat tendenzielle eine weltoffenere Meinung. Schwierig finde ich die Frage, wie lange der Ausschluss andauern soll. Wenn der Krieg hoffentlich bald vorbei ist – warum sollte dann ein russischer Sportler im Juli nicht an einem internationalen Wettkampf teilnehmen dürfen? Und noch ein anderer Gedanke dazu: Ich kann mir vorstellen, dass vielen russischen Sportlerinnen und Sportlern momentan gar nicht der Sinn nach Wettbewerben steht.