Akademie

„Meine erste große Liebe”

Im Interview: U19-Spieler Eryk Grzywacz über krasse Kontraste und seine Anfänge im Trikot des FC Barcelona.

Mit hoher Spielintelligenz, ausgereiften Führungsqualitäten und seinem feinen Fuß gehört Eryk Grzywacz zu den tragenden Säulen in der U19 des VfL Wolfsburg. Im Interview erzählt der polnische Nachwuchs-Nationalspieler von seinem ungewöhnlichen Idol, Sprachproblemen und seinen Anfängen im Trikot des FC Barcelona.

Eryk Grzywacz, du bist erst vor vier Jahren aus deinem Heimatland Polen mit deiner Familie nach Deutschland gekommen. Nimm uns mal mit auf eine Zeitreise: Wie sahen die ersten Jahre deiner Karriere aus?

Eryk Grzywacz: Ich bin in einer kleinen Stadt in Polen namens Stalowa Wola aufgewachsen und habe dort auch meine ersten Schritte im Fußball gemacht. Im Alter von etwa sechs Jahren ist meine Familie dann nach Warschau umgezogen. Dort habe ich einen Platz an der Akademie des FC Barcelona bekommen. Das war eigentlich gar nicht so leicht, aber ich durfte zwei von drei Runden des Auswahlverfahrens überspringen. Es war ein unbeschreibliches Gefühl, tagtäglich das Wappen dieses Weltklubs auf der Brust zu tragen. Wir waren sogar zweimal für Turniere und Sichtungen zu Besuch in Barcelona. Als Kind wusste man die Situation nicht richtig einzuschätzen. Ich dachte, dass ich im nächsten Jahr die Champions League gewinnen würde (lacht).

Die Frage nach deinem Lieblingsklub erübrigt sich also…

Eryk: Stimmt, aber der FC Barcelona war auch davor schon mein absoluter Lieblingsverein. Mein Papa war Fußballer in der polnischen Bezirksliga. Ronaldinho war einer seiner Lieblingsspieler und als Kind habe ich mich auf Anhieb in ihn verliebt. Die Freude, die er immer auf dem Platz ausgestrahlt hat und was er mit dem Ball gemacht hat – einfach unglaublich. Ronaldinho war meine erste große Liebe im Fußball.

Sich als defensiver Mittelfeldspieler Ronaldinho zum Vorbild zu nehmen, ist gewagt…

Eryk: Ronaldinho ist zwar mein Lieblingsfußballer, aber nie mein Vorbild gewesen. Es wäre wahrscheinlich fatal gewesen, wenn ich auf meiner Position wie Ronaldinho hätte spielen wollen. Ich habe mir sehr viel von Iniesta und auch Sergio Busquets abgeschaut. Sie haben schwierige Dinge auf höchstem Niveau so leicht aussehen lassen. Das hat mich fasziniert.

Die Wände deines Kinderzimmers waren dann entsprechend mit Barca-Postern tapeziert?

Eryk: (lacht) Das nicht, aber ich musste immer jedes Hintergrundbild, jeden Panini-Sticker und jedes Paar Fußballschuhe von ihnen haben. Das wurde mit der Zeit eine teure Angelegenheit für meine Eltern…

Wieso habt ihr damals den Schritt nach Deutschland gewagt?

Eryk: Wegen meines Opas. Er ist Anfang der 90er Jahre arbeitsbedingt nach Hildesheim gezogen und stand damals vor einer komplexen Operation. Um ihn danach bestmöglich zu unterstützen, sind wir im November 2020 auch nach Hildesheim gezogen.

Wie war der Neuanfang in dem für euch fremden Land?

Eryk: Alles andere als leicht. Ich konnte kein einziges Wort Deutsch, meine Eltern auch nicht. Erschwerend hinzu kam, dass Polnisch und Deutsch unterschiedlicher kaum sein könnten. Ich hatte echt Glück, dass ich in der Anfangszeit richtig gute Lehrer hatte. Natürlich habe ich auch jede freie Minute zuhause zum Lernen genutzt. Das Wichtigste war, dass ich mich getraut habe zu reden. Nach etwa einem Jahr konnte ich das ausdrücken, was ich sagen wollte. Ob es auch verstanden wurde, ist eine andere Sache… (lacht). Mittlerweile fühlt sich Deutsch nicht mehr wie eine Fremdsprache an.

Wie ging es nach dem Umzug sportlich für dich weiter?

Eryk: Wir haben ungefähr ein Jahr lang in Hildesheim gewohnt. Das war zu Zeiten von Corona, deshalb konnte man nicht so einfach eine neue Mannschaft finden. Beim VfV Hildesheim habe ich ein paar Mal mittrainiert, den größten Teil der Zeit habe ich mich aber beim SC Hemmingen-Westerfeld fitgehalten. Ein Trainer des Klubs wohnte in Hildesheim und war mit mir ein paar Mal auf dem Bolzplatz. Ich habe viel individuell mit ihm trainiert, aber auch ein Testspiel für den SC bestritten. Im Sommer 2021 habe ich dann meinen Vertrag beim VfL unterschrieben. Meinem Opa ging es zu diesem Zeitpunkt schon besser und die Jobsituation war auch entspannt, deshalb ist meine gesamte Familie gleich mit nach Wolfsburg gezogen.

Was arbeiten deine Eltern?

Eryk: Meine Mutter ist eigentlich Englischlehrerin, hat aber eine Wochenendschule für polnische Kinder in Hannover eröffnet. Mein Vater ist Pfleger in einem Altenheim.

Wie hast du dich an der VfL-Akademie zurechtgefunden?

Eryk: Ich kann mich noch ganz genau an das Gefühl nach dem ersten Training hier erinnern. Ich wusste direkt: ‚Hier will ich spielen!‘ In den ersten Wochen wollte ich gar nicht nach Hause gehen, weil ich das Gelände so erstaunlich fand. Ehrlich gesagt ist dieses besondere Gefühl auch bis heute geblieben. Der Kontrast zu meiner Zeit in Polen ist krass. Wir hatten dort sechs Kabinen, vier Duschen und eine funktionierende Toilette – für etwa 500 Spieler.

Inzwischen befindest du dich in deinem letzten Jahr als Nachwuchsspieler. Wie soll es danach weitergehen?

Eryk: Mein oberstes Ziel ist der Durchbruch zu den Profis. Mir ist aber bewusst, wie schwierig es ist, mit dieser Qualität im Kader den Sprung von der U19 zu meistern. Ich versuche, nicht allzu viel Zeit mit solchen Gedanken zu verschwenden. Ich spiele Fußball, weil es mir Spaß macht.

Mit Kamil Grabara und Jakub Kaminski stehen zwei Polen im Kader der Profis. Hattest du zu ihnen schon Kontakt?

Eryk: Mit Kamil hatte ich bisher nicht viel zu tun, aber dafür umso mehr mit Kuba. Als ich unter Niko Kovac zum ersten Mal bei den Profis trainieren durfte, hat er mir wirklich sehr geholfen. Vor dem Training haben wir uns im Kraftraum unterhalten. Mit seinen Worten hat er mir die große Aufregung genommen. Auch mit Denis Vavro habe ich schon kurz gesprochen. Er hat ebenfalls Familie in Polen und spricht sogar Polnisch.