Dekade des Durchbruchs

Vom Außenseiter zum Aushängeschild

Zu Beginn der neunziger Jahre bekamen die Wölfe ihre Bewerbungsunterlagen – trotz zweier Oberliga-Meistertitel, welche jeweils zur Teilnahme an der Aufstiegsrunde berechtigten – noch doppelt zurück. Beide Male mussten sie den Traum vom Zweitligaaufstieg begraben. Im dritten Anlauf aber war es dann so weit: Mit einem 2:1-Heimerfolg gegen den FC Berlin feierte der VfL unter der Leitung von Uwe Erkenbrecher nach 15-jähriger Abstinenz im Sommer 1992 seine Rückkehr in den Profifußball. Es war der Auftakt zu einer entscheidenden Dekade, an deren Ende die Wölfe nicht nur in der Bundesliga, sondern bereits in Europa vorspielten.

Doch der Reihe nach. Angekommen im gerade wieder eingleisig gewordenen Unterhaus, wurde die erste Zweitligasaison für die Wölfe zu einem echten Mammutprogramm. In sage und schreibe 46 Meisterschaftsspielen mussten die VfLer zunächst beweisen, dass sie den Anforderungen im Geschäft der Etablierten gewachsen waren. In eindrucksvoller Manier entledigten sich die Grün-Weißen dieser Bedenken und schlossen ihre Premierenspielzeit 1992/93 auf einem guten 14. Platz ab. Der gleichzeitige Abstieg des Dauerrivalen aus Braunschweig, den die Wölfe zuvor in beiden Spielen (4:1 und 1:0) bezwingen konnten, kam dabei einem Machtwechsel gleich und sicherte der jungen Stadt bis auf Weiteres die fußballerische Vormachtstellung im Osten Niedersachsens.

Zu jenen Zeiten also, als die Spieler noch ihre eigenen Trainingssachen mitzubringen hatten und die Hälfte der Mannschaft halbtags beruflichen Verpflichtungen nachging, wurde der Grundstein gelegt für das, was alle Fans heute stolz von „ihrem VfL“ sprechen lässt. Der 1992 neu vom HSV gekommene Abwehrstratege Holger Ballwanz, selbst über 200 Mal für die Wolfsburger am Ball, erinnert sich noch genau an seine erste Spielzeit mit den Wölfen. „Im ersten Heimspiel gegen den VfB Oldenburg hatten wir 9.500 Zuschauer. Natürlich war zunächst alles eine Nummer kleiner, dafür war der Zusammenhalt innerhalb der Truppe umso größer.“ Aufbauend auf diesem familiären Gemeinschaftssinn behaupteten sich die Wölfe in den Folgejahren im Haifischbecken Profifußball, ließen in ihrer zweiten Saison mit Platz fünf zum ersten Mal aufhorchen, ohne dass ihnen freilich gleich die ganz große Aufmerksamkeit zuteil wurde.

 

Pokalendspiel als Startsignal

Und dennoch – es bewegte sich etwas beim Klub aus der Autostadt, der 1995 im Halbfinale des DFB-Pokals mal eben den großen 1. FC Köln bezwang (1:0) und vor mehr als 75.000 Zuschauern im Berliner Olympiastadion somit das Endspiel bestritt. „Da hatte man zum ersten Mal das Gefühl, dass hier richtig was entstehen kann“, beschreibt Ballwanz die beginnende Euphorie rund um den altehrwürdigen Elsterweg. Auf einmal war gar so etwas wie eine Fanentwicklung zu spüren – am sinkenden Altersdurchschnitt auf der alten Haupttribüne konnte man erkennen: Der VfL war plötzlich „in“!

Ein verkommener Toilettenbau wurde zum Entmüdungsbecken umfunktioniert, auf rustikale Art und Weise entstand mit einem Wanddurchbruch aus vormals zwei Kabinen eine größere – kurzum: Alles wurde professioneller. Diese Entwicklung blieb auch dem großen Nachbarn Volkswagen nicht verborgen. Mit dem Wissen um die immense Strahlkraft des Geschäfts mit dem runden Leder begann der Autobauer sich allmählich mit dem VfL zu beschäftigen. Mit der Unterstützung des Großkonzerns im Rücken kletterten die Grün-Weißen von nun an Stufe um Stufe auf der Erfolgsleiter nach oben – raus aus dem ewigen Schattendasein, dem Licht der großen Fußballbühne entgegen.Dass sich dieser Erfolg trotz allem nicht ohne bedingungslosen Fleiß und harter, täglicher Trainingsarbeit erreichen ließ, mussten die Wölfe in der Folgesaison 1995/1996 erfahren. Bei fünf Punkten Rückstand auf das rettende Ufer fand man sich am Ende der ersten Halbserie auf einem Abstiegsplatz wieder. Mit einer neunwöchigen Rekord-Vorbereitung in der Winterpause und einer Serie von 18 Spielen ohne Niederlage gelang unter Willi Reimann schließlich die Rettung. Letztendlich nicht viel mehr als ein Warnschuss zur rechten Zeit, der die Wölfe nicht von ihrem Weg abzubringen vermochte.

 

Statt Abstieg Durchbruch nach oben

Und dieser führte unweigerlich in Richtung Oberhaus, das hatte sich in den Jahren zuvor bereits angedeutet. Am 11. Juni 1997 schließlich war es vollbracht: In einem unvergesslichen und hochdramatischen Fußballkrimi setzte sich der VfL in einem oft zitierten Fabelspiel mit 5:4 gegen den Mitkonkurrenten aus Mainz durch und stieg als Vizemeister in die Bundesliga auf. „Der Zusammenhalt in der Mannschaft war unser größter Vorteil. Das war wirklich eine super Truppe damals – noch heute treffen wir uns regelmäßig“, schwärmt Holger Ballwanz. Ein weiteres Mal war in der Autostadt eine Aufbruchsstimmung geweckt. Aufstiegsheld Roy Präger: „Ich finde es wichtig, dass dieses Ereignis weiterhin präsent ist. Für mich persönlich rückblickend das wichtigste Spiel meiner Karriere - ein Stück Tradition, was wir in den Generationen weitertragen müssen.“

Ein Spiel nur, das doch so vieles beim VfL verändern sollte. Angekommen in der Beletage des deutschen Fußballs heimsten die Wölfe dann auch gleich ihre ersten drei Punkte ein, auswärts im Ostsee-Stadion beim Nordrivalen aus Rostock (1:0). „Ich bin besonders stolz, das erste Bundesligator für den VfL erzielt zu haben – es gehört zur Geschichte des Klubs“, erinnert sich Präger, dem in der Nachspielzeit der Siegtreffer gelang, noch heute gerne zurück. Im Konzert der Großen mischte der Außenseiter von diesem Zeitpunkt an munter mit und beendete die zweite Spielzeit gleich mal auf Rang sechs, was einen weiteren Meilenstein bedeutete: Erstmals spielten die Wölfe nun sogar im Europapokal.

Was folgte, war eine beispiellose Wolfsburger Erfolgsgeschichte. Von der einstigen „grauen Maus“ entwickelte sich der VfL im folgenden Jahrzehnt zu einer echten Topadresse im deutschen Profifußball. Im August 2004 nahm in Peter Pander einer der „Gründungsväter“ des Wolfsburger Bundesligafußballs seinen Hut und verabschiedete sich nach 13-jähriger Amtszeit aus der Vereinsführung. An der Aller brach man derweil zu neuen Ufern auf. Unterstützt durch Volkswagen strebten die Wölfe nun nach höheren Zielen, und mit der Verpflichtung von Felix Magath im Sommer 2007 wurde die Jagd nach weiterem Ruhm und Anerkennung eröffnet...