Frauen

„Noch nicht auf Vollgas“

VfL-Cheftrainer Stephan Lerch über den Trainingsbetrieb bei den Wölfinnen in der Coronakrise.

Eine Nahaufnahme von dem Trainer der VfL Wolfsburg Frauenmannschaft Stephan Lerch.

Von Normalität kann zwar noch keine Rede sein, doch auch die VfL-Frauen bereiten sich mittlerweile wieder in Kleingruppen auf die Fortsetzung des Spielbetriebs vor. Während die UEFA Women’s Champions League unbefristet ausgesetzt ist, könnte der Ball in der FLYERALARM Frauen-Bundesliga sowie im DFB-Pokal ab Mai wieder rollen. Die nationalen Wettbewerbe ruhen vorläufig bis zum 30. April. Wie VfL-Cheftrainer Stephan Lerch mit dieser außergewöhnlichen Situation umgeht und wie er seine noch ungeschlagenen Wölfinnen auf einen möglichen Saisonendspurt in drei Wettbewerben vorbereitet, erzählt der 35-Jährige im Interview.

Herr Lerch, wie geht es Ihnen und wie haben Sie die letzten Wochen abseits des grünen Rasens verbracht?

Stephan Lerch: Mir als Trainer ging es nicht anders als den meisten anderen Arbeitnehmern: Ich war zu Hause und habe im Home Office einige Dinge erledigen können, die zuletzt liegengeblieben sind. Dabei standen Planungen für die nächsten Monate auf der Agenda, aber auch über konzeptionelle Entwicklungen und Scouting habe ich mich auf digitalem Wege mit Ralf Kellermann und meinem Trainerteam intensiv ausgetauscht. Und natürlich kam auch das Private nicht zu kurz: Dass ich ungeplant so viel Zeit mit meiner Frau und meiner kleinen Tochter verbringen konnte, habe ich durchaus genossen. 

Als die Spielerinnen nach der Partie in Jena zu ihren Nationalteams aufgebrochen sind, waren die Dimensionen der Coronakrise noch nicht absehbar. Wie haben Sie diese Tage erlebt, in denen sich die Nachrichten förmlich überschlagen haben? 

Lerch: Auch diese Dynamik hat uns nicht exklusiv betroffen. Die Coronakrise ist ja wie eine Lawine über alle in diesem Land hereingebrochen, mit solchen Ausmaßen hatte wohl keiner von uns gerechnet. Man wurde in schneller Abfolge mit neuen Entwicklungen konfrontiert, die man erst einmal einordnen musste. Tatsache ist: Der Virus hat uns komplett aus unserem Ablauf gerissen.

Wie genau lief die Kommunikation mit dem Team in dieser Phase? 

Lerch: Wir haben die uns zur Verfügung stehenden Kanäle genutzt, um die Mannschaft ständig auf dem Laufenden zu halten und mit den neuesten Entwicklungen zu versorgen. Zum einen ging es dabei um den aktuellen Status der drei Wettbewerbe, aber auch Inhalte für das individuelle Training sowie unsere Planungen für eine Wiederaufnahme des Trainingsbetriebs waren Themen. Darüber hinaus stand ich in einem engen Austausch mit unseren drei Kapitäninnen, um zu verschiedenen Themen Feedback und Meinungen einzuholen.

Auch die VfL-Frauen stehen mittlerweile wieder in Kleingruppen auf dem Trainingsplatz. Wie ist der Fitnesszustand der Spielerinnen und wie sehen die Trainingsinhalte aus?

Lerch: Ich bin fest davon überzeugt, dass wir in dieser Zeit nichts von unserem Fitnesslevel eingebüßt haben. Unsere Athletik-Verantwortlichen Omar Rüppel und Erik Helm haben die ungewöhnliche Herausforderung, kurzfristig individuelle Trainingspläne zu erstellen, hervorragend gemeistert. Die Spielerinnen haben die Pläne sehr diszipliniert abgearbeitet und vielleicht konnten wir in diesem Bereich sogar noch ein paar Prozente rausholen. Aber natürlich geht nichts über die Arbeit auf dem Platz. Und da arbeiten wir gerade viel am Ball, der Fokus liegt auf Technik und Torabschluss. An schnelle Richtungswechsel tasten wir uns langsam wieder ran. Und natürlich verzichten wir noch auf Zweikämpfe, um die Abstandsregeln einzuhalten. 

Die nationalen Wettbewerbe sind noch bis zum 30. April ausgesetzt, Stand jetzt geht es also Anfang Mai zumindest in der FLYERALARM Frauen-Bundesliga und im DFB-Pokal weiter. Definitiv ist das aber natürlich noch nicht. Was bedeutet diese Ungewissheit mit Blick auf die Trainingssteuerung?  

Lerch: Wir stellen uns auf alles ein, einen Start Anfang Mai oder auch später. Wir hoffen, bald wieder ein komplettes Teamtraining durchführen zu können, erst dann kann man ja auch wieder im mannschaftstaktischen Bereich arbeiten. Momentan fahren wir alles langsam wieder hoch, trainieren aber noch nicht auf Vollgas. Das werden wir erst dann, wenn die Wiederaufnahme des Spielbetriebs definitiv feststeht.

Es wird darüber diskutiert, die Saison über den 30. Juni hinaus zu verlängern, um die Wettbewerbe – wenn nötig – auch später zu Ende zu bringen. Wie ist Ihre Meinung zu diesem Thema? 

Lerch: Die Saison zu verlängern, ist in dieser Ausnahmesituation eine Option, über die man nachdenken sollte. Das erfordert aber auch einen gut strukturierten Spielplan für die zweite Jahreshälfte mit späterem Saisonstart und vielleicht auch kürzerer Winterpause. Die Spielerinnen benötigen auch in diesem Sommer eine Pause, das steht fest. Grundsätzlich wünsche ich mir sehr, dass wir die Saison zu Ende bringen – notfalls auch mit mehreren Englischen Wochen am Stück.

Die Saison war bislang äußerst erfolgreich, Ihr Team hat in allen drei Wettbewerben realistische Titelchancen. Wie bitter wäre es, wenn die Saison nicht zu Ende gespielt werden würde?

Lerch: Eine Fortsetzung der Saison muss aus gesundheitlicher Sicht vertretbar sein, die Solidarität der Gesellschaft steht über allem. Rein aus sportlicher Sicht wäre es aber unglaublich bitter, denn wir sind in allen drei Wettbewerben auf aussichtsreichem Kurs. Wir betreiben einen großen Aufwand, wir investieren viel. Daher wollen wir die Saison unter vertretbaren Bedingungen zu Ende spielen, auch wenn wir wissen, dass diese Spiele unter anderen Vorzeichen als vor der Unterbrechung stattfinden würden.