Frauen

„Ich bin ja nicht allein auf dieser Welt“

Lara Dickenmann im Interview über soziale Verantwortung.

25 Jahre Fußball und über 130 Länderspiele – Auf dem Platz gehört Lara Dickenmann zu den erfahrensten VfL-Spielerinnen. Blättert man im Lebenslauf der Schweizerin fällt schnell auf, dass die 32-Jährige auch abseits des Grüns einiges vorzuweisen hat. Wir sprachen mit ihr über ihr soziales Engagement, gesellschaftliche Herausforderungen und ein spätes Bekenntnis. Der zweite Teil des Interviews ist nachzulesen in der Oktober-Ausgabe des „Unter Wölfen Magazin“.

Lara Dickenmann, am Elsterweg stehen an mehreren Stellen Boxen mit Plastikflaschendeckeln. Was hat es damit auf sich?

Lara Dickenmann: Wir sammeln diese Deckel für eine Organisation, die die Ausbildung von Begleithunden für Menschen mit Behinderungen fördert. Denn solche Hunde werden, anders als Blindenhunde, nicht vom Staat finanziert. Als Sportlerinnen fällt es uns leicht, große Mengen an Plastikdeckeln zu sammeln, da wir beim Training viel trinken – vor allem im Sommer. Ich bringe die vollen Boxen dann zu einer Sammelstelle.

Wie bist du auf die Idee gekommen, diese Spendenaktion zu unterstützen?

Lara: Ich kenne das System aus Frankreich, da haben wir das mit Olympique Lyon auch gemacht, nachdem uns eine Gruppe von treuen Fans auf die Aktion aufmerksam gemacht hatte. Manche Organisationen finanzieren mit dem Altplastik aus den gesammelten Deckeln Polio-Impfungen. Hier in Wolfsburg sind es Begleithunde, die Menschen mit Behinderungen den Alltag erleichtern. In Wolfsburg bin ich dann durch die Freundin einer Mitspielerin dazugekommen.

Das ist nicht die einzige Sache, bei der du dich engagierst. Zum Beispiel wird erzählt, dass du vor einiger Zeit einen Flüchtling unterstützt hast.

Lara: Ja, als ich neu in Wolfsburg war, habe ich mich umgehört, wo ich mich hier engagieren kann. Auf einer Veranstaltung habe ich Günter Schütte von der Flüchtlingshilfe Wolfsburg kennengelernt und er hat mir von Patenschaften für Flüchtlinge erzählt. Auch wenn es nicht leicht ist, weil ich so viel unterwegs bin, habe ich eine Zeit lang einem jungen Mann aus Eritrea beim Deutschlernen geholfen. Er musste auf das B1-Niveau kommen, um seine Ausbildung als Koch machen zu können. Gutes Deutsch ist für Flüchtlinge sehr wichtig, um sich besser zu integrieren, aber gleichzeitig haben sie wenig Kontakt zu Deutschen. Das Patenschaftsprogramm soll da eine Brücke sein.

Steht ihr noch in Verbindung?

Lara: Nein, er lebt nicht mehr in Wolfsburg. Leider ist der Kontakt dann irgendwann abgebrochen.

Vor gut einem Jahr hast du mit der UEFA ein Flüchtlingslager in Jordanien besucht. Wie hast du den Besuch erlebt?

Lara: Es ist irgendwie verrückt. Jordanien ist nicht sehr weit weg und trotzdem eine ganz andere Welt. Schon beim Drüberfliegen siehst du nur Wüste und fast keine Häuser. Dann kommt man in Amman an, einer Stadt, die eine ganz andere Farbe hat, als ich es je zuvor gesehen habe. Es ist ein ganz spezieller cremefarbener Stein und fast alle Gebäude sind aus diesem Stein gebaut. Schon allein das war sehr beeindruckend. Dann habe ich dort sehr interessante Menschen kennengelernt wie Pascal Torres von der UEFA Foundation. Er ist einer der eindrücklichsten Menschen, die ich je kennenlernen durfte. Christian Karembeu war auch mit auf der Reise und er hat ebenfalls eine spezielle Geschichte. Er kommt aus Neukaledonien, einer Insel, auf der die Einheimischen und die Franzosen getrennt leben. Die einen leben im Norden, die anderen im Süden. Ich höre mir gerne die Geschichten von so interessanten Menschen an. Der Besuch im Flüchtlingscamp war sehr besonders.

Inwiefern?

Lara: Das Camp ist riesengroß. Es ist zwar „nur“ ein Flüchtlingscamp, aber von der Größe her ist es eine der größten Städte Jordaniens. Es war beeindruckend zu erleben, wie die Menschen dort leben. Und es war schön zu sehen, was die UEFA Foundation dort bewirkt, unter anderem mit dem Fußballfeld, welches wir dort eröffnet haben. Das war der Anlass der Reise und es war unheimlich schön, mit den Kindern vor Ort einfach Fußball zu spielen. Man braucht zwei Tore und einen Ball und egal, wie die Tore und der Ball aussehen, wenn du anfängst zu spielen, ist es überall auf der Welt das Gleiche. Die Freude bei den Kindern zu erleben, war etwas ganz Besonderes. Ich konnte mich leider nicht so gut mit ihnen verständigen, aber es waren zwei jordanische Nationalspielerinnen dort, die beim Übersetzen geholfen haben.

Kann Fußball im Umfeld eines Flüchtlingslagers einen positiven Effekt haben?

Lara: Auf jeden Fall! Auch wenn es „nur“ Kunstrasen ist, ist es eine freie grüne Fläche. Das sticht schon rein optisch raus aus dem restlichen Camp. Und die Kinder, auch die Mädchen, haben einen Ort, zu dem sie gehen können. Bis sie etwa zwölf sind, spielen alle Kinder zusammen Fußball. Die älteren Mädchen spielen danach getrennt, das ist in der Region kulturell einfach so. Und welchen Unterschied Fußball macht? Ich habe im Vergleich zu den Menschen dort kleine oder gar keine Probleme. Aber auch mich beschäftigen Sachen. Und wenn ich Fußball spiele – dann bin ich einfach frei. Und dieses Gefühl habe ich auch bei den Kindern gesehen. Sie können in dem Moment alles um sich herum vergessen. Sie können einfach Kind sein und müssen nicht an Krieg und Armut denken. Einige von ihnen kennen nichts anderes als dieses Flüchtlingslager, unglaublich eigentlich. Auf dem Fußballplatz aber geht es für sie um das Gleiche wie für uns: den Ball, Tore schießen, jubeln. Das ist schön.

Denkst du seit diesem Besuch anders über die Flüchtlingsdebatte in Deutschland und der Schweiz?

Lara: Nein, ich persönlich denke nicht anders. Aber wie man über den Zustrom von Flüchtlingen denkt, wird von so viele Faktoren beeinflusst. Mir geht es sehr gut, ich habe einen super Job. Vielleicht würde ich anders denken, wenn ich nicht so viel Sicherheit hätte. Vielleicht hätte ich Angst, dass mir die Menschen, die ins Land kommen, etwas wegnehmen könnten. Ich versuche möglichst menschlich über Sachen nachzudenken. Länder und Grenzen sind von Menschen gemacht. Aber jeder sollte drüber nachdenken, woher die Menschen kommen und warum. Wenn es dir gutgeht in deinem Land, dann gehst du doch nicht einfach fort. Es muss einen Grund haben, warum die Flüchtlinge diesen weiten Weg auf sich nehmen und dann kommen sie hier an und stoßen auf so viel Ablehnung. Und selbst wenn einige Flüchtlinge negativ auffallen, dann muss man da die Ursachen suchen. Gibt es für sie überhaupt die Möglichkeit, sich gut ins Land zu integrieren? Was ist falsch gelaufen in der Integration? Hass und Ablehnung kann keine Lösung sein.  

Kann – oder muss – der Fußball bei der Integration eine Rolle spielen? Du hast gesagt, dass Fußball überall auf der Welt gleich ist.

Lara: Über Fußball oder Sport im Allgemeinen Menschen zu integrieren, ist für mich fast die einfachste Möglichkeit. Wenn man etwas Fremdes sieht, dann kann es einem Angst machen und man hat Vorurteile. Jeder Mensch urteilt immer, ob man es will oder nicht. Es passiert einfach. Aber durch Sport wird es einem einfach gemacht, aufeinander zuzugehen und sich kennenzulernen. Das ist das Wichtigste: Menschen kennenlernen und verstehen, dass sie nicht gefährlich sind, nur weil sie anders aussehen oder einen anderen Glauben haben. Wenn man sich die Fußballnationalmannschaften Deutschlands und der Schweiz ansieht, sind das eigentlich gute Beispiele für Integration. Obwohl in beiden Ländern schnell schlechte Leistungen auf dem Platz oder Verfehlungen neben dem Platz von Spielern mit Migrationshintergrund anders bewertet werden. Dann wird gesagt, dass es daran liegt, dass sie Ausländer sind. Und das regt mich wirklich auf. Also muss auch im Fußball noch etwas passieren.

Du bist sehr reflektiert und engagiert. Das scheint in der Familie zu liegen. Dein Bruder hat die Wasser-Hilfsorganisation „Wasser für Wasser“ mit aufgebaut. Du unterstützt ihn in Kampagnen. Kannst du kurz erklären, worum es bei „Wasser für Wasser“ geht?

Lara: In der Schweiz kann man, wie in Deutschland auch, problemlos das Leitungswasser trinken. Die Wasserqualität ist sehr gut. Die Ursprungsidee von „Wasser für Wasser“ ist, dass in ausgewählten schweizerischen Restaurants Leitungswasser aus WFW-Karaffen für zwei Franken pro Liter verkauft werden. Der Erlös geht an die Organisation und mit dem Geld werden dann Wasserkioske in Sambia gebaut. Mittlerweile finanzieren sie neben den Wasserkiosken auch Ausbildungen zum Sanitärfachmann oder -fachfrau in Sambia, damit die Menschen die Wartungen und Reparaturen der Anlagen selbst durchführen können und generell die Sanitäranlagen in der Region verbessert werden.

Das klingt nach einem ganzheitlichen Konzept.

Lara: Ja, das ist bei „Wasser für Wasser“ sehr wichtig. Die Menschen, die sich dafür engagieren, wollen nicht nur Geld geben, sie wollen etwas Nachhaltiges schaffen.

Haben euch eure Eltern dieses erhöhte soziale Engagement vorgelebt?

Lara: Ich denke schon. Uns wurden in unserer Erziehung gewiss bestimmte Werte besonders vermittelt. Meine Mutter ist zudem selbst sehr sozial engagiert und sehr interessiert. Sie besucht seit einiger Zeit wieder die Universität als Gasthörerin. Wir wurden nicht direkt in die Richtung erzogen. Aber wir reden zuhause viel über politische und kulturelle Themen. Mein Bruder weiß am meisten, weil er etwas in die Richtung studiert hat. Für mich ist es sehr interessant, ihm zuzuhören. Ich gebe zu, dass ich mich bei einigen Diskussionen nicht so aktiv beteiligen kann, sondern die bin, die die Fragen stellt und versucht, sich alles zu merken.

Könntest du dir vorstellen, später im karitativen Bereich zu arbeiten?

Lara: Darüber habe ich schon nachgedacht, ja. Vor allem nach meiner Reise nach Jordanien kam mir das in den Sinn. Was es genau sein soll, weiß ich allerdings noch nicht.