Frauen

Einmal Wolf, immer Wolf

Martina Müller erzielte Tore wie am Fließband.

Zehn Jahre lang hat sie für den VfL Wolfsburg vor allem eins getan: wichtige Tore geschossen. Im Alter von 35 Jahren entschloss sich die ehemalige Nationalstürmerin (101 Länderspiele, 37 Tore), ihre Laufbahn zu beenden. Die Lust am Fußball hat Martina Müller trotzdem noch lang nicht verloren. Nach zehn äußerst erfolgreichen Jahren bei den Wölfinnen mit sechs Titelgewinnen beendete die Stürmerin im Mai 2015 ihre Karriere und geht jetzt für den STV Holzland in der Landesliga auf Torejagd. Wo das Tor steht, weiß die quirlige Angreiferin auch drei Jahre nach dem Aus auf der großen Fußballbühne immer noch. Zwar könnte der ehemalige Bundesliga-Star heute „nicht mehr bei der Fitness und Laufbereitschaft mithalten“, aber ihren Instinkt hat die 38-Jährige, deren Herzensverein der VfL bleibt, nicht verloren.  Als Anerkennung für die Verdienste widmete ihr der VfL das „Martina-Müller-Grundschulturnier“, welches der Klub jährlich veranstaltet.

Martina Müller, wie viele Jahre deines Lebens hast du auf einem Fußballplatz verbracht?

Martina Müller: Meine Eltern haben mich schon als Säugling mit auf den Sportplatz genommen. Mein Vater war aktiver Fußballer und gleich nachdem meine Mutter mit mir aus dem Krankenhaus kam, nahm sie mich dort mit hin.

Also haben sie den Grundstein für deine Karriere gelegt?

Martina: Ja, irgendwie schon. Von ihnen habe ich die Fußball-Gene geerbt und sie haben mich immer unterstützt. Als ich damals in der Hessen-Auswahl meine Lehrgänge absolviert habe, fuhren sie mich mitten in der Woche mal eben jeweils knapp 150 Kilometer hin und wieder zurück.

Wer waren weitere Förderer während deiner Laufbahn?

Martina: Sicher Bernd Huneke, der mich mit dem ehemaligen Geschäftsführer Bernd Sudholt nach Wolfsburg geholt hatte. Beide haben sich sehr bemüht, mich auch nach dem Abstieg zu halten. Damals haben mich viele für meinen Wechsel zum VfL belächelt, aber für meine Karriere war es die beste Entscheidung.
 
Welche Menschen sind dir beim VfL noch in Erinnerung geblieben?

Martina: Mit Betreuer Jörg Schmidt und dem ehemaligen Torwart-Trainer Frank Pichatzek habe ich heute noch Kontakt. Roy Präger sehe ich ab und zu auf dem Trainingsplatz in Hehlingen und wenn ich Sportdirektor Marcel Schäfer treffe, ist es immer ein sehr herzliches Wiedersehen. Darüber hinaus verfolge ich die beruflichen wie sportlichen Wege von Nadine Keßler und Selina Wagner.

Du warst jahrelang das Gesicht des VfL. Wer hat diese Rolle inzwischen eingenommen?

Martina: Da gibt es einige. Spontan denke ich an Alexandra Popp und Almuth Schult, die auch ganz toll mit den Fans umgehen und sich komplett mit dem Klub identifizieren. Pernille Harder überzeugt natürlich mit ihren herausragenden sportlichen Leistungen.

Kannst du dich noch an die ersten Tage nach der Verkündung deines Karriereendes erinnern?

Martina: Daran habe ich eigentlich positive Erinnerungen, denn ich habe einen Zeitpunkt gewählt, bei dem die Menschen eher gesagt haben: „Martina, warum hörst du auf? Du könntest doch noch weiterspielen.“ Das ist schöner, als wäre die Reaktion gewesen „Martina Müller sitzt nur noch auf der Bank“ oder „Schwere Verletzung zwingt Müller zum Rücktritt“. Deswegen war es für mich der richtige Zeitpunkt, weil ich diesen selbst bestimmen wollte und so bin ich damit auch gut klargekommen.

Keine Wehmut?

Martina: Doch, wenn die großen Spiele anstehen. Dann kribbelt es schon in den Beinen und ich würde gern auf dem Platz stehen. Vom Spielverständnis ginge das sicher auch noch, aber konditionell wäre es schwierig, da ich nicht mehr fünf bis sechs Mal die Woche trainiere. Was ich allerdings ein bisschen vermisse. Ich mochte die harten Trainingseinheiten, bei denen ich mich so richtig auspowern konnte. Deswegen habe ich ein halbes Jahr nach dem Ende beim VfL auch wieder bei einem Team angeheuert. Einfach, um zu trainieren, die Gemeinschaft zu erleben. Ich fühle mich auch nicht müde, sondern hab immer noch Lust, Fußball zu spielen.

Welche Ziele hast du dir in deiner Laufbahn erfüllt?

Martina: Ich glaube, ich habe mir alles erfüllen können, wovon ich geträumt habe. 101 Länderspiele, Welt- und Europameisterin. Bronze bei Olympia. Dazu konnte ich beim VfL alles gewinnen, was auf Klubebene möglich ist. Davon habe ich immer geträumt und dass es in Wolfsburg so funktioniert hat, war grandios. Zumal Titel mit der Vereinsmannschaft etwas ganz Besonderes sind. Zu meinen Mitspielerinnen, mit denen ich täglich zusammen war, hatte ich einfach eine viel intensivere Bindung. Deswegen waren diese Erfolge auch emotionaler.

Welcher Titel hat den höchsten Stellenwert?

Martina: Der erste Champions-League-Titel, ein Moment, den ich nie vergessen werde. Wir waren krasser Außenseiter, niemand hatte uns auf dem Zettel. Kessi, unsere feste Schützin für Elfmeter, (Nadine Keßler, Anm. der Redaktion) kam vor dem Anpfiff zu mir und meinte, sie hat Schmerzen am Fuß. Sollten wir die Möglichkeit vom Punkt bekommen, dann schießt du den. Ja, ja – dachte ich und habe nie daran geglaubt, dass es so kommen würde. Viele Erinnerungen an den Moment habe ich nicht mehr. Ich weiß nur, dass ich im absoluten Tunnel war. Erst im Nachhinein habe ich darüber nachgedacht, was wäre gewesen, wenn ich nicht getroffen hätte – vermutlich wäre vieles anders gelaufen.

Was war das Geheimnis eures Erfolges?

Martina: Wir waren ein eingeschworener Haufen, der sich von Spiel zu Spiel gesteigert hat. Jeder war bereit, für den anderen noch einen Meter mehr zu laufen. Die Mannschaft wurde nach und nach weiter verstärkt, sodass wir plötzlich die Gejagten waren. Früher habe ich mich an Potsdam und Frankfurt orientiert, auf einmal standen wir vor diesen Teams.

Hast du einmal daran gedacht, für einen anderen Bundesliga-Klub aufzulaufen?

Martina: Nein, das kam nie in Frage. Es gab Angebote, aber ich könnte selbst jetzt, wo ich keine Bundesliga-Spielerin mehr bin, nicht das Trikot von Eintracht Braunschweig tragen. Ich war ein Wolf und kann niemals ein Löwe werden. Das geht einfach nicht.

Warum liegt dir der VfL so am Herzen?

Martina: Zu jeder Zeit – egal, welche Liga, egal, mit welcher Platzierung – habe ich immer den Rückhalt des Klubs gespürt. Der Umgang miteinander war immer freundlich. Man hat stets versucht, die Frauen im Rahmen der Möglichkeiten zu unterstützen.

Gab es auch schwierige Phasen mit den Wölfinnen?

Martina: Definitiv. Ich bin im Januar 2005 nach Wolfsburg gekommen, im Sommer sind wir abgestiegen und zur neuen Saison haben wir gleich das erste Spiel bei Turbine Potsdam II verloren. Doch der Klub hat weiter an uns geglaubt, sich für uns eingesetzt, die Mannschaft zusammengehalten – was wir mit direkten Wiederaufstieg zurückgezahlt haben.

Kurze Zeit später, im Jahr 2008, hast du angefangen bei Volkswagen zu arbeiten und bist dort heute noch – inzwischen in Vollzeit – als kaufmännische Sachbearbeiterin im Mobilitäts- und Umweltservice tätig.

Martina: Mir war immer klar, dass ich nach dem Fußball einem Job nachgehen würde. Als das Angebot von VW kam, war das für mich wie ein Sechser im Lotto. Deswegen habe ich auch die Doppelbelastung auf mich genommen. Hatten wir kein Training, saß ich am Schreibtisch – während andere regeneriert haben. Aber ich wollte das so und habe diesen Weg nie bereut.

Aktuell drückst du wieder die Schulbank. Strebst du eine zweite Karriere an?

Martina: Ich möchte mich in meinem Beruf weiterentwickeln. Deswegen mache ich eine Weiterbildung zur Wirtschaftsfachwirtin – eine totale Umstellung. Nach 17 Jahren saß ich auf einmal wieder auf der Schulbank und musste mich erst einmal neu strukturieren.

Hast du dort einen ähnlichen Ehrgeiz wie auf dem Fußballplatz?

Martina: Fast noch schlimmer. Ich mache mir selbst zu viel Druck und habe eine richtige Prüfungsangst entwickelt. Je älter ich werde, desto größer sind meine Erwartungen an mich selbst, was in solchen Situationen nicht gerade hilfreich ist. Ich will mich durchbeißen, aber ganz ehrlich: Lieber würde ich in einem Endspiel den Elfmeter schießen.

Hand aufs Herz: Gibt es etwas, das du im Nachgang deiner Karriere anders machen würdest?

Martina: Nein, ich würde nichts anders machen. So wie es gelaufen ist, ist es tatsächlich perfekt gewesen. Vielleicht wäre ich in jüngeren Jahren noch ins Ausland gegangen, aber damals war das noch nicht so attraktiv. Als ich später das eine oder andere Angebot bekam, war ich in einem Alter, wo es nicht mehr unbedingt sein musste. Ich bin sehr dankbar für meine Karriere.

Dein wichtigster Ratschlag für junge Talente?

Martina: Die persönliche Einstellung ist ganz wichtig. Talent allein reicht nicht, die Spielerinnen müssen hart arbeiten, regelmäßig zum Training gehen. Wer eine Mannschaftssportart wie Fußball betreibt, muss sich auch der Verantwortung für seine Mitspielerinnen bewusst sein.

Wie wird deine nahe Zukunft aussehen?

Martina: Ich kann mir immer noch vorstellen, die Trainer-Lizenz zu machen, aber aktuell ist es kein Thema, da ich selbst noch aktiv bin. Die Schule steht momentan an erster Stelle, dazu reise ich inzwischen gern. Heute kann ich spontan zum Skifahren in die Berge – das war früher nicht möglich. Ich genieße diese Unabhängigkeit und Zeit mit Freunden wie Familie zu verbringen.