Frauen

„Einige Trends zu erkennen“

VfL-Cheftrainer Stephan Lerch zieht eine WM-Zwischenbilanz.

Nicht weniger als zwölf Wölfinnen – die Neuzugänge eingerechnet – kämpfen bei der WM in Frankreich um den Titel. Doch nicht nur Spielerinnen des VfL Wolfsburg trifft man in diesen Tagen in den WM-Arenen zwischen Le Havre und Nizza, auch die Verantwortlichen der VfL-Frauen beobachten das Turniergeschehen vor Ort. Neben dem Sportlichen Leiter Ralf Kellermann befinden sich Cheftrainer Stephan Lerch und die Co-Trainerinnen Ariane Hingst, die für den US-amerikanischen TV-Sender FOX als Expertin arbeitet, sowie Theresa Merk im grün-weißen WM-Einsatz. Im Interview zieht Lerch eine erste Zwischenbilanz aus Trainersicht und verrät, wer seine Top-Favoriten auf den Titel sind.

Stephan Lerch, Sie waren bereits mehrfach bei der WM in Frankreich vor Ort. Welche Spiele haben Sie sich angeschaut und was war Ihr bisheriges Highlight?

Stephan Lerch: Ich habe mir Deutschland gegen China, Norwegen gegen Nigeria und Australien gegen Italien vor Ort angeschaut. Das bisherige Highlight war definitiv das letztgenannte Spiel. Die Australierinnen waren sehr spielstark und haben hoch verteidigt, Italien hat die Partie mit einer großartigen Mentalität gedreht.

Auch wenn Sie die Spiele nicht als Fan verfolgen: Wie haben Sie die Stimmung in und außerhalb der Stadien wahrgenommen?

Lerch: Ich bin ein Fan des Frauenfußballs, beobachte die Spiele aber natürlich mit der Trainerbrille. Die Atmosphäre rund um die Stadien ist toll, es fühlt sich wie ein Fest an! Die vielen bunt verkleideten und geschminkten Menschen identifizieren sich total mit dem Frauenfußball. Das alles auch mal ohne den Leistungsdruck zu erleben, den man sonst als Trainer verspürt, ist wirklich klasse.

Gab es in Sachen Taktik oder Spielanlage Besonderheiten, die Sie in der Gruppenphase wahrgenommen haben?

Lerch: Auffällig war, dass die meisten Mannschaften den Spielaufbau aus einer Vierer- statt einer Dreierkette heraus betrieben haben. Das Spiel an sich ist noch athletischer und dynamischer geworden und auch die Rolle der Flügelspielerinnen wird immer wichtiger – es sind also schon einige Trends zu erkennen.

Sind Ihnen Spielerinnen – vielleicht von Nationen, die man nicht jeden Tag verfolgt – positiv aufgefallen, die Sie zuvor noch nicht gekannt haben?

Lerch: Ralf Kellermann und wir als Trainerteam haben einen sehr guten Überblick, besonders was die Spielerinnen aus Europa betrifft. Abseits dieser Nationen sowie bekannter Mannschaften wie den USA haben mir persönlich die Australierinnen sehr gut gefallen. Sie haben einige gute Spielerinnen in ihren Reihen.

Vor dem Turnier wollten Sie sich nicht auf einen engeren Favoritenkreis festlegen. Hat sich dies nach der Gruppenphase geändert?

Lerch: Die oft genannten Favoriten Frankreich und die USA haben einen starken Eindruck hinterlassen und sind auch meine Titelkandidaten. Ich bin sehr gespannt, wie sie mit dem Druck ab dem Achtelfinale umgehen werden. Auch England hat zuletzt Selbstvertrauen getankt und Australien hatte ich bereits vorab als Geheimfavoriten auf dem Schirm.

Blicken wir noch einmal in die Vergangenheit. Der letzte Spieltag in der Allianz Frauen-Bundesliga liegt nun schon länger als ein Monat zurück. Wie würden Sie die abgelaufene Saison mit ein wenig Abstand einordnen?

Lerch: Dass wir es erneut geschafft haben, beide nationalen Titel zu gewinnen, darf niemals als selbstverständlich angesehen werden und ist ein Zeichen für unsere konstant gute Arbeit. Von den Punkten her haben wir die beste Saison der Vereinsgeschichte gespielt. Unter dem Strich war es eine sehr erfolgreiche Saison mit dem kleinen Wermutstropfen Champions League.

Was wäre Ihnen lieber: Dass einige Wölfinnen Ende Juli als Weltmeister aus Frankreich zurückkehren – oder ein kompletter Kader zum Trainingsstart am 8. Juli?

Lerch: Ich würde mich sehr freuen, wenn wir nach der WM eine oder mehrere Weltmeisterinnen in unseren Reihen haben. Grundsätzlich wünsche ich es jeder Spielerin, dass sie diesen Moment einmal erleben darf. Andererseits muss ich aber auch sagen, dass wir uns in einem größeren Umbruch befinden und daher jede Trainingseinheit auf dem Platz wichtig für uns ist. Deshalb freue ich mich darauf, wenn die Spielerinnen verletzungsfrei wieder zurück in Wolfsburg sind.

Wie sieht Ihr persönlicher WM-Fahrplan bis zum Finale aus?

Lerch: Das werde ich von den Paarungen in der K.o.-Runde abhängig machen. Es ist natürlich geplant, so viele Spiele wie möglich zumindest im Livestream oder Fernsehen anzuschauen. Ob ich dann noch einmal vor Ort sein werde, weiß ich aktuell noch nicht. Aber wir sind ja in Frankreich mit Ralf, Ariane und Theresa sehr gut aufgestellt. In der Sommerpause ist natürlich auch die Familie wichtig.

Die WM-Achtelfinalspiele der Wölfinnen