Frauen

„Das Team kann von mir profitieren“

Die schwedische Torhüterin Hedvig Lindahl über ihre Rolle bei den VfL-Frauen.

Hedvig Lindahl ist mit 36 Jahren die erfahrenste Spielerin im Kader der VfL-Frauen – und insbesondere auf internationalem Parkett eine der erfolgreichsten: 2011 und 2019 wurde die 165-malige schwedische Nationaltorhüterin WM-Dritte, von den Olympischen Spielen 2016 in Rio kehrte sie mit einer Silbermedaille zurück. Auch bei Olympia 2020 in Tokio will die Keeperin noch einmal nach Edelmetall greifen. Zuvor geht die achtmalige schwedische „Torhüterin des Jahres“ mit den VfL-Frauen auf Titeljagd in drei Wettbewerben. Als Alternative für die an der Schulter operierte Almuth Schult stieß Lindahl erst nach der WM zu den Wölfinnen. Im Interview erzählt sie, warum sie von ihrem neuen Team positiv überrascht wurde – und warum sich die deutsche Frauen-Bundesliga an der englischen Profiliga orientieren sollte.

Hedvig Lindahl, der VfL Wolfsburg ist deine erste Station in Deutschland. Wie war die Eingewöhnung, wie bist du von der Mannschaft aufgenommen worden und wie wohl fühlst du dich in der neuen Umgebung?

Hedvig Lindahl: Ich bin positiv überrascht, weil ich es mir härter vorgestellt hätte, sich in einem Team, das national in den letzten Jahren alles gewonnen hat, zu integrieren. Doch ich bin auf tolle, liebenswerte Teamkolleginnen getroffen, die füreinander da sind und Neuzugänge mit offenen Armen empfangen. Wir haben professionelle Bedingungen, vor allem der Trainingsplatz befindet sich in einem hervorragenden Zustand und auch das Team hinter dem Team ist top aufgestellt. Wolfsburg ist eine schöne, kleine Stadt mit netten Plätzen, kurzen Wegen, guten Restaurants. Hier kann man sich nur wohlfühlen – zumal ich auch aus einer eher kleinen Stadt komme und London nicht als Maßstab sehe.

Dein Vertrag in Chelsea ist ausgelaufen und es ist ja kein Geheimnis, dass dich der Weg ohne die Schulter-OP von Almuth womöglich nicht nach Wolfsburg geführt hätte. Wie waren ursprünglich deine Pläne?

Lindahl: Ich hatte ein interessantes Angebot aus einer anderen Liga, das hätte ich wohl angenommen. Aber der VfL Wolfsburg gehört zu den beiden besten Klubs in Europa und die Chance, den Verein mit einer Erfahrung noch ein Stück weiter nach vorne zu bringen, habe ich mit großer Überzeugung ergriffen.

Welche Rolle hat dabei Nilla Fischer gespielt? 

Lindahl: Klar habe ich mit ihr gesprochen und sie hat mir einiges über den VfL und das Leben in Wolfsburg berichtet. Das war auch alles sehr informativ und positiv, aber nicht Grund für meine Entscheidung. 

Vereinstitel hast du bislang nur mit den Chelsea Ladies gewonnen. Mit dem VfL Wolfsburg könntest du weitere Trophäen sammeln…

Lindahl: Natürlich sind Titel immer das Ziel. Aber zunächst geht es mir darum, Almuth auf hohem Niveau zu vertreten, natürlich in einem gesunden Konkurrenzkampf mit den weiteren Torhüterinnen. Ich glaube auch, dass ich mit meiner Erfahrung gewisse Dinge ins Team einbringen kann, von denen wir insgesamt profitieren.

Du hast 2002 in der schwedischen Nationalmannschaft debütiert, bist also schon 17 Jahre auf höchstem Niveau dabei. Wie hat sich der Frauenfußball aus deiner Sicht in dieser Zeit entwickelt?

Lindahl: Da gibt es verschiedene Aspekte, sehr wesentlich für die Entwicklung ist natürlich der finanzielle. Je mehr in den Frauenfußball investiert wird, desto besser können wir die Professionalisierung vorantreiben. Hier hat sich einiges getan in den letzten Jahren, im positiven Sinne. Auch die Rechte von Fußballerinnen wurden gestärkt, so werden wir mittlerweile von der weltweiten Profi-Gewerkschaft FIFpro vertreten. Arbeiten müssen wir noch an so manchen Formulierungen, finde ich. In Chelsea gibt’s im Sprachgebrauch die Ladies und die erste Mannschaft – und mit der ersten Mannschaft sind die Männer gemeint. Und warum heißt es FIFA World Cup und FIFA Women’s World Cup? Respekt vor Frauen sollte sich auch in der Sprache wiederfinden!

In Deutschland wird gerade sehr intensiv über die Entwicklung des Frauenfußballs, insbesondere auf Vereinsebene, diskutiert. England wird in diesem Zusammenhang gerne als Vorreiter genannt. Was hat uns England denn genau voraus?

Lindahl: In England haben zahlreiche große Klubs die Chance gesehen, die ein Investment im Frauenfußball bietet. Sie haben erkannt, dass der Fußball hier noch Potenzial hat und wachsen kann. Dieses Engagement wurde nicht vom Verband vorgegeben, es entstand aus eigenem Antrieb der Klubs. Vereinsverantwortliche haben sich zusammengeschlossen und überlegt, wie sie die Liga nach vorne bringen können. Es hätte ja nichts gebracht, wenn nur ein Klub investiert und die anderen hinterherlaufen. Ich glaube, dass Deutschland noch Nachholbedarf hat. Hier gibt es ja sogar große Männervereine, die noch nicht mal eine Frauenabteilung haben. Auf lange Sicht wird es die deutsche Liga so schwer haben, zumal sich auch in anderen Ländern, etwa in Spanien mit Real Madrid, einiges tut. Auf der anderen Seite: Deutschland hat eine gute Basis im Frauenfußball und auch starke Marken bei den Männern. Wenn ein Umdenken stattfindet, kann der Turnaround schnell kommen.

Kommen wir zurück zu dir: Ihr seid mit der schwedischen Nationalmannschaft – eigentlich wie immer – für Olympia qualifiziert. Tokio 2020 könnte also zu einem krönenden Schlusspunkt deiner internationalen Karriere werden…

Lindahl: Wir waren sehr enttäuscht über die Halbfinal-Niederlage bei der WM in Frankreich, weil wir sehr nah am Finale dran waren. Ein Olympia-Turnier mit nur zwölf Teams sehe ich als „goldene Option“, meine Karriere mit einem Highlight zu beenden.

Was hat euch der Viertelfinal-Erfolg gegen Deutschland bedeutet?

Lindahl: Viel, sehr viel. Es hat schließlich 24 Jahre gedauert, bis wir sie mal wieder bei einem Turnier schlagen konnten. Deutschland hat immer noch eine herausragende Qualität, während uns in der Heimat nicht wirklich viel zugetraut wurde. Und es war ein harter Kampf. Ich hoffe, dass das unser Selbstvertrauen mit Blick auf Olympia stärkt. Ein starkes Selbstvertrauen ist ein wichtiger Faktor, das sieht man ja bei den Amerikanerinnen.

Auf deiner Homepage kann man nachlesen, dass du schon als kleines Kind die weltbeste Torhüterin werden wolltest. Siehst du dich als ein Vorbild für junge Talente?

Lindahl: Ja, ich bin gerne ein Vorbild. Vor allem, weil mein Weg nach oben nicht gerade, sondern eher steinig war. Ich freue mich grundsätzlich, wenn ich andere Menschen mit dem, was ich tue, inspiriere. Junge Talente, aber auch ältere Spielerinnen, die erkennen, was man mit 36 Jahren noch alles erreichen kann.