Stammplatz für immer

Krzysztof Nowak war einer der ersten Bundesligastars der Grün-Weißen. Dass die „Nummer Zehn der Herzen“ verstarb, liegt nun 15 Jahre zurück. Sehr grob betrachtet teilt die Jahrtausendwende den VfL Wolfsburg in zwei Hälften. Auf der einen Seite steht der „alte“ VfL, der mit einem breiten Sportangebot für alle am ehrwürdigen Elsterweg ein zu Hause fand, welches den Fußballern seit ihrem Bundesliga-Einzug jedoch bald zu klein geworden ist. Mit Gründung der Fußball-GmbH und dem Bau der Volkwagen Arena hat dann jene Ära begonnen, die den Start des „neuen“ VfL Wolfsburg markiert und damit den Aufbruch in Zeiten der gehobenen Ambitionen durch moderne Strukturen als alternativlose Grundlage für einen Stammplatz im Konzert der Großen. Etwa an dieser Nahtstelle trug sich auch die Geschichte Krzysztof Nowaks zu. Zweieinhalb Jahre lang erfreute der Pole die VfL-Fans ab 1998 auf dem Grün. Dann, nicht plötzlich, sondern schleichend, trat eine Krankheit auf den Plan, die den Mittelfeldspieler Anfang 2001 zum Aufgeben zwang und ihn und seine Familie so lange weiterquälte, bis er daran verstarb. Gut anderthalb Jahrzehnte sind seitdem vergangen.

 

Andere Kräfteverhältnisse

Um den 15. Todestag Krzysztof Nowaks zu würdigen, hatte man sich beim VfL Wolfsburg etliche lose, teils auch sehr konkrete Gedanken gemacht. Dass Corona alle diese Pläne durchkreuzt hat, wirkt ebenso bitter wie ein Stück weit auch passend. Denn es hat ein Gefühl zurück nach Wolfsburg geholt, das man damals bereits als Grün-Weißer kannte und das einen Jahre später, als Junior Malanda auf der Autobahn verunglückte, schon einmal wieder eingeholt hat: Es geht um das Wissen darum, dass Wichtigeres im Leben als Fußball existiert. 15 Jahre, das ist im Bundesligatempo gerechnet eine sehr lange Zeit. Etliche aus der heute aktiven VfL-Fanszene haben Nowak als Spieler vermutlich nicht mehr erlebt und tragen dennoch aufrichtig bei zu seinem Gedenken, wenn die „Nummer Zehn der Herzen“ auf der Anzeigetafel erscheint. Als Nowak das deutsche Oberhaus ab der Saison 1998/1999 bereicherte, war der 1. FC Kaiserslautern amtierender Meister. Hansa Rostock spielte seine vierte von zehn Bundesliga-Spielzeiten am Stück, und für den UI-Cup qualifizierten sich am Ende der MSV Duisburg sowie der HSV. Der VfL Wolfsburg hatte im Vorjahr als Aufsteiger überraschend souverän die Klasse gehalten. Dass die Wölfe jetzt, im vermeintlich schwierigeren zweiten Jahr, sensationell als Sechster gar in den UEFA-Cup zogen, hatte viel zu tun mit dem Senkrechtstarter aus Polen.

 

Mann für die entscheidenden Tore

Denn Krzysztof Nowak, diesen Namen kannten vor seinem VfL-Engagement auch unter den Experten nur die wenigsten. Heimlich luden Cheftrainer Wolfgang Wolf und Manager Peter Pander ihn einst aus Brasilien zum Probetraining ein, um ihn dann überraschend im Sommer 1998 als Neuzugang zu präsentieren.

Entdeckt hatten ihn die Kaderplaner bei Athletico Paranaense, dem Tabellen-18. der ersten brasilianischen Liga, die seinerzeit aus 26 Teams bestand. Lothar Matthäus arbeitete Jahre später als Trainer für diesen Klub. Unter Tarif bekam der VfL den Regisseur offenbar nicht, vielmehr sprach Wolf später vom „ersten Millionen-Transfer“ seiner Amtszeit. Doch der Einsatz amortisierte sich schnell: 30 Mal stand Nowak in seiner ersten Saison im Kerngeschäft für Grün-Weiß auf dem Platz, stets von Anfang an, legte etliche Treffer auf und traf vier Mal selbst. Diese vier Buden waren nicht irgendwelche: Beim 2:1-Sieg über Hertha BSC sowie den 1:0-Erfolgen in Bremen und gegen 1860 München steuerte er jeweils den Siegtreffer bei. Dazu kam das Ausgleichstor beim 1:1-Heimremis gegen Rostock. Wenn Nowak knipste, dann war das auch Zählbares wert.

 

Eroberer und Regisseur

Einen torgefährlichen Strategen wie Nowak konnte man am Mittellandkanal, wo die Wölfe ihren Platz in der Bundesliga noch suchten, bestens gebrauchen. Andersherum schien auch für den Polen der Schritt zurück nach Europa zum optimalen Zeitpunkt zu kommen. Als unbeschriebenes Blatt in einer auch sonst unterschätzten Truppe hatte er wenig zu verlieren. Diese Chance nutzte er eindrucksvoll und ragte aus einer mit ihm wachsenden Mannschaft zügig heraus. Sehr viel im VfL-Spiel lief bald über Nowak, der das Leder aus der Tiefe holte und verteilte, wertvolle zweite Bälle gewann oder auch den selbst eingeleiteten Angriff gern mal mit einem eigenen Abschluss beendete.

Daneben gefiel Nowak mit Kopfballstärke, enormem Antritt und einer hohen taktischen Schule. „Ich habe nie wieder einen so kompletten Spieler trainiert“, adelte ihn einst Wolf und bezog weitere Qualitäten abseits des Rasens ausdrücklich mit ein. Denn Nowak gab sich auch außerordentlich ehrgeizig, verlässlich und ehrlich. Ein Musterprofi, wie ihn sich jeder Trainer nur wünscht.

 

Hilfe beim Schnüren der Schuhe

Genau deshalb passte es auch nicht ins Bild, als der Zehner irgendwann nicht mehr pünktlich aus der Kabine kam, weil er Hilfe beim Zubinden seiner Schuhe benötigte. Es muss etwa im Herbst 2000 gewesen sein, als die ersten Symptome auftraten. Nowak hatte am Elsterweg eine zweite bärenstarke Saison hinter sich, war zum Kopf jener VfL-Mannschaft geworden, die erstmals in der Klubgeschichte auf drei Hochzeiten tanzte. Die Frage, wie lange der Nationalspieler, dem ein Platz im polnischen WM-Kader sicher schien, noch in Wolfsburg zu halten wäre, stand unweigerlich im Raum. Unter anderem die Bayern zeigten konkretes Interesse. Nowak war auf dem bisherigen Höhepunkt seiner Karriere, als ihn ein scheinbar unverdächtiges Kribbeln in den Fingern aus dem Leben zu reißen begann. Besonders hart wurde es ab dem ersten Quartal 2001: Am 3. Februar, bei einer 1:3-Heimniederlage gegen die Bayern, lief Nowak ein letztes Mal von Beginn an aufs Feld, eine Woche später bestritt er als Einwechselspieler in Berlin schon seine letzte Begegnung als Profi. Wenig später folgte der bittere Befund: Der Spielmacher litt an Amytropher Lateralsklerose (ALS), einer unstoppbar fortschreitenden und nicht heilbaren Nervenkrankheit.

 

Letzter Auftritt in der Arena

Seit dieser Diagnose war nichts mehr wie vorher. In der Familie des Spielers ohnehin nicht und auch nicht beim VfL Wolfsburg. Nowak versteckte sich nicht. Er zeigte sich öffentlich, blieb Teil des Teams, auch als ihm der schwere Krankheitsverlauf immer deutlicher anzusehen war. Am Ende der Spielzeit 2001/2002, im Rahmen des letzten Heimspiels, wurde er offiziell als Spieler verabschiedet. Ein halbes Jahr darauf, Borussia Dortmund trat als letzter Bundesligist im alten Wohnzimmer an, kam es zur unvergessenen Szene im Rollstuhl, als Cheftrainer Wolf ihn über den Rasen des VfL-Stadions schob und betreten ins Publikum winkte, als nähme er in Nowaks Namen vom Elsterweg Abschied. Auch die Volkswagen Arena lernte der Pole noch kennen. Denn im Januar 2003 bewies Bayern München Größe und kam wie versprochen zum Benefizspiel, das der frisch gegründeten Krzysztof Nowak-Stiftung zu überregionaler Bekanntheit verhalf. Etwas mehr als zwei Jahre später, am 26. Mai 2005, starb Krzysztof Nowak im Alter von 29 Jahren. 15 Jahre danach steht sein Name für mehr als nur eine Narbe auf den grün-weißen Herzen. Seine Geschichte, weil sie noch immer beklemmend ist und Fans wie Verein sie würdevoll am Leben erhalten, ist längst ein Teil der Klub-DNA. Und damit auch eine Art Brückenschlag zwischen altem und neuem VfL.

Veröffentlicht im „Unter Wölfen Magazin“ im Juli 2020.