Peter Pander über Aufbruchsstimmung, Zusatztribünen und die Probleme zu schneller Erfolge

Seit 15 Jahren ist der VfL ohne Unterbrechung in der Bundesliga dabei, und längst haben sich die Wölfe im Oberhaus fest etabliert. Blickt man auf die Anfänge dieser Erfolgsgeschichte zurück, dann landet man bei einem bedeutenden Ereignis, das sich in diesem Sommer zum 20. Mal jährt: Genau zwei Dekaden ist es her, dass der VfL Wolfsburg nach langen Jahren in der Drittklassigkeit wieder an die Oberfläche kam. Beginnend mit dem Zweitligaaufstieg 1992 soll die erstaunliche Entwicklung der Grün-Weißen deshalb an dieser Stelle noch einmal nacherzählt werden. Zum Abschluss der Serie kommt heute der Mann zu Wort, der die Wölfe einst als vergessenen Drittligaclub übernahm und als Bundesligisten mit Spuren in Europa wieder abgegeben hat. 20 Jahre Wolfsburger Profifußball – Heute: Teil VII – Interview mit Ex-VfL-Manager Peter Pander.

Peter Pander, 20 Jahre Profifußball in Wolfsburg – die meisten davon haben Sie mit geprägt. Erkennen Sie noch Ihre Handschrift?

Peter Pander: Die Strukturen haben sich natürlich verändert, alles ist viel größer geworden. Aber das Ziel, sich in der Bundesliga und international zu etablieren, gab es auch zu meiner Zeit schon. Ich würde sagen, die Anfänge wurden damals gemacht. Und diesen Weg ist man dann zum Teil erfolgreich weitergegangen.

Als Sie 1991 beim VfL starteten, hatte der Verein mit dem heutigen wenig gemein. Wie war damals die sportliche Situation?

Pander: Die Mannschaft spielte im oberen Drittel der Amateur-Oberliga. Hin und wieder hatte sie zwar an einer Aufstiegsrunde teilgenommen, aber ohne Erfolg. Es war aber nicht zu erkennen, dass der VfL in den bezahlten Fußball wollte. Ich weiß noch, dass ich bei einem Heimspiel gegen Holstein Kiel vor 350 Zuschauern im Stadion war. Viel mehr war damals einfach nicht drin.

Man sagt, mit Ihnen, Manfred Aschenbrenner und später Uwe Erkenbrecher kam der entscheidende frische Wind in den Verein. Wie kam es zu dieser Konstellation?

Pander: Es gab das Vorhaben, Dinge zu verändern, weshalb sich der damalige Präsident Karl-Heinz Briam mit einigen Leuten zusammengesetzt hatte. Daraufhin ging man auf Manfred Aschenbrenner zu, der wiederum mich mit ins Boot holte. So wurde eine neue Führungsmannschaft etabliert und gleichzeitig ein neues Ziel ausgegeben: den VfL Wolfsburg in den bezahlten Fußball zu bringen. Diese Aufgabe haben wir uns klar so gestellt. Wir wollten unbedingt aus dieser Oberliga raus, um den Club endlich sportlich voranzubringen. Im Jahr 1991 wurde der VfL dann zwar auch gleich Erster, für den Aufstieg war die Mannschaft aber noch nicht schlagkräftig genug. Das änderte sich, als wir Uwe Erkenbrecher sowie einige neue Spieler zur neuen Saison verpflichten konnten.

Was hat daraufhin besser funktioniert?

Pander: Erkenbrecher hat sehr professionell gedacht und wollte Dinge umsetzen, die man so noch nicht kannte. In der Mannschaft kam das anfangs gar nicht gut an. Ein Großteil der Spieler hatte noch einen Nebenberuf, auf sie wartete jetzt eine ganz neue Belastung. Wir haben die Mannschaft komplett neu aufgestellt mit erfahrenen Spielern wie zum Beispiel Frank Plagge, Olaf Ansorge oder Michael Geiger, die schon da waren. Außerdem war wichtig, dass wir als Neuzugänge Siggi Reich sowie später Bruno Akrapovic dazuholen konnten, das waren ganz bedeutende Säulen in dieser Saison. Und über allem stand ein klares Ziel, nämlich der Aufstieg, was wir der Mannschaft auch so klar gemacht haben.

Nicht nur die Spieler hatten Berufe, sondern auch Sie. Wie muss man sich einen VfL-Teilzeit-Manager vorstellen?

Pander: Das stimmt, ich habe zu Anfang noch bei Volkswagen im Vertrieb gearbeitet. Erst ab 17 Uhr konnte ich mich dann praktisch den VfL-Dingen widmen, das war schon eine große Belastung. Später ist es dann in eine Halbtagsstelle umgestellt worden, bis es langsam in Richtung Freistellung ging. Ab 93/94 etwa habe ich mich dann ganz dem Job widmen können.

Vor dem Aufstieg hatte der Verein 15 Jahre in der dritten Liga verbracht. Musste Wolfsburg da erst aus dem Fußball-Tiefschlaf geweckt werden?

Pander: Absolut, das kann man nicht anders sagen. Selbst zu Zeiten, als die Mannschaft sehr guten Fußball gezeigt hat, gab es in der Oberliga selten mehr als 1.500 Zuschauer. In der Aufstiegsrunde wurde es etwas mehr, in der zweiten Liga kamen schon um die 10.000 Fans. Als die Erfolge kamen, waren die Leute auch da. Aber wir mussten lange dafür arbeiten und guten Fußball spielen, bis eine gewisse Euphorie entstand. Ebenfalls schwierig war es, gute Spieler zu gewinnen. Erstens waren die finanziellen Mittel gering, zweitens musste man Überzeugungsarbeit leisten, dass hier etwas entsteht. Mit Wolfsburg haben viele erst mal wenig anfangen können.

Die erste Saison nach dem Zweitligaaufstieg hatte es gleich in sich. Wie haben Sie den Spielbetrieb für 46 Partien organisiert bekommen?

Pander: Es war schon eine Herausforderung, allein die ganzen Reisen. Vor allem aber war es eine Glanzleistung, in diesem Jahr bei sieben Absteigern die Klasse zu halten und Teams wie beispielsweise Braunschweig, Düsseldorf und Osnabrück hinter sich zu lassen. Aus meiner Sicht ist das ein Grundstein gewesen, um sich im Profifußball zu etablieren. Denn wenn wir direkt wieder abgestiegen wären, dann wäre es sicher nicht einfach geworden, so bald wieder aufzusteigen.

Fast wäre es nach der Saison aber noch schief gegangen…

Pander: Ja, der Lizenzentzug 1993. Das war schon eine sehr komplizierte Situation. Wir hatten den Klassenerhalt sicher und waren gerade dabei, die Mannschaft neu zu strukturieren, da platzte diese Bombe. Der Gesamtverein, der ja nicht nur aus dem VfL Wolfsburg bestand, war schlichtweg pleite und der Spielbetrieb für die neue Saison deshalb nicht sichergestellt. Das war ein sehr harter Schlag, wir hatten es sportlich unter größten Mühen geschafft und mussten trotzdem weiter kämpfen. Die Rettung war seinerzeit dem Mittelstand zu verdanken, der sich mit Bürgschaften engagierte. Anschließend kam es zur Neustrukturierung innerhalb des Vereins, das Präsidium wurde neu aufgestellt. Insofern war es sogar für etwas gut, trotzdem ist es für den VfL Wolfsburg an dieser Stelle wirklich haarscharf gewesen.

Danach ging es fast nur noch aufwärts. Wie konnte der VfL nach dem Klassenerhalt 1993 so schnell ein Zweitligaspitzenteam werden?

Pander: Ich glaube, wir haben einfach eine gute, vernünftige Personalpolitik betrieben inklusive der richtigen Trainer zur richtigen Zeit. Damals sagte man immer, der VfL Wolfsburg mache Mannschaften aus Spielern, die anderswo gescheitert sind. Das hat immerhin so gut funktioniert, dass wir für Zweitligaverhältnisse bald ein sehr gehobenes Niveau spielen konnten. In der Spielzeit 94/95 waren wir schon ganz nah am Aufstieg, wir verpassten ihn nur aufgrund des schlechteren Torverhältnisses gegenüber Fortuna Düsseldorf. Außerdem schafften wir es bis ins Pokalendspiel.

Berlin muss ein großes Abenteuer gewesen sein.

Pander: Das war eine ganz neue Welt. In Wolfsburg hat das damals eigentlich niemand so richtig begriffen. Ich erinnere mich noch, wie der Kartenvorverkauf lief. Da haben viele Wolfsburger ihre Tickets an Gladbacher verkauft, obwohl sie die einmalige Chance hatten, selbst mit dabei zu sein. Abgesehen von den eingefleischten Fans hat man meines Erachtens in der Stadt überhaupt nicht registriert, worum es ging. Trotzdem war es natürlich ein großes Erlebnis. Für jeden, der das miterlebt hat, ob Spieler, Funktionsträger oder Fan, wird es unvergesslich bleiben.

War der Weg in die Bundesliga da schon vorgezeichnet?

Pander: Wenn man vorne mitspielt, dann will man natürlich auch den letzten Schritt machen. Allerdings war das unheimlich schwierig, da wir von der wirtschaftlichen Ausstattung, sei es beim Sponsoring oder auch den Zuschauereinnahmen, klar hinterherhinkten. Eine Spielzeit später haben wir die Mannschaft auch teilweise wieder neu aufbauen müssen. Natürlich glaubten wir, direkt an die starke Vorsaison anknüpfen zu können, obwohl zum Beispiel „Pelè“ Wollitz für nach unseren Maßstäben viel Geld nach Kaiserslautern ging. Aber es hat nicht funktioniert. Wir hatten zu viele neue Spieler, die sich nicht finden konnten oder vielleicht auch nicht wollten.

Insofern fast überraschend, dass es 1997 geklappt hat…

Pander: Wir mussten erst zusehen, dass wir 1996 nicht abstiegen. In der neuen Saison war die Mannschaft dann aber deutlich stabiler. Und Willi Reimann passte mit seiner Art einfach perfekt. Er hat der Mannschaft eine Linie gegeben und sie zu einer Einheit geformt. Spätestens in der Rückrunde hatten wir dann eine solch schlagkräftige Truppe, dass uns der Aufstieg nicht mehr zu nehmen war.

Waren das Umfeld und die Infrastrukturen schon für die Bundesliga bereit?

Pander: Überhaupt nicht, die Rahmenbedingungen waren für Erstligaverhältnisse einfach ungeeignet. Wenn ich da allein an die Kabinen im alten Stadion denke… Wir hatten etliche Auflagen vom DFB, mussten beispielsweise Zusatztribünen erstellen, sonst hätten wir den Andrang gar nicht bewältigen können. Es musste sehr viel verändert werden. Auch beim Dauerkartenverkauf sind wir beinahe zusammengebrochen. Denn jetzt kamen wirklich die Massen, die Bundesliga hat die Leute elektrisiert.

Und die Mannschaft leistete weiter Erstaunliches: Mit einem Mini-Etat schaffte sie den Klassenerhalt und spielte ein Jahr später bereits im Europapokal. Wie war das möglich?

Pander: Es war wieder so, dass mit uns niemand gerechnet hat. Und wir lagen erneut richtig mit unseren Verstärkungen. In der ersten Saison war es eng, aber danach ging es wahnsinnig schnell, bis wir plötzlich im UEFA-Cup standen. Das war natürlich eine fantastische Leistung, allerdings führte es auch zu Begehrlichkeiten. Die Erwartungen im eigenen Umfeld, in der Stadt und bei Volkswagen waren enorm. Wenn wir anschließend im UI-Cup gespielt haben, was eigentlich ein außergewöhnlicher Erfolg gewesen ist, war das fast schon wieder zu wenig. Deswegen würde ich rückblickend sagen, dass uns der Einzug in den Europapokal zwei bis drei Jahre später vielleicht besser getan hätte.

Im Jahr 2001 erfolgte die Umwandlung in eine Fußball-GmbH. Welche Veränderungen hat das mit sich gebracht?

Pander: Die GmbH brachte die Eigenständigkeit gegenüber dem Gesamtverein. Die Strukturen wurden noch professioneller, Geschäftsführer wie Klaus Fuchs und Wolfgang Hotze wurden eingesetzt. Wir haben uns wesentlich breiter aufgestellt, und das Budget wuchs noch einmal erheblich an. Insofern war das ein sehr bedeutender Schritt. Wir waren seit dem Aufstieg ohnehin schon enger mit Volkswagen verzahnt, aber nach der Umwandlung natürlich umso mehr.

Bis heute hält sich hartnäckig das Gerücht, der VfL Wolfsburg sei nur durch die Hilfe von Volkswagen in die Bundesliga gekommen.

Pander: Das ist eine klare Fehleinschätzung, denn bis zum Aufstieg 1997 gab es da kein klares Bekenntnis. Sicher, man hat das Projekt begleitet, weil man merkte, dass es in diese Richtung geht. Aber nach oben geschafft hat es der VfL ganz allein. Das ging bis hin zum Stadionbau, der vor allem ein Thema der Stadt sowie namentlich von Rolf Schnellecke war. Ich habe damals immer gesagt: Wir müssen in die Bundesliga aufsteigen, damit wir alle zwingen, mitzumachen. Denn nur so konnte man einen so großen Konzern auch für sich gewinnen. Das ist auch überhaupt nicht negativ gemeint, sondern nur logisch. Mit dem Einzug in die Bundesliga ist es dann so gekommen.

Sie haben unter anderem Siggi Reich und Roy Präger zum VfL geholt, später Stefan Effenberg und Andres D’Alessandro. Was war in all den Jahren Ihr bester Griff?

Pander: Von diesen Spielern war jeder auf seine eigene Weise ein besonderer Transfer, aber die Aufzählung kann natürlich niemals vollständig sein. Einen möchte ich trotzdem herausstellen, weil es einfach eine unheimlich tragische Geschichte war, nämlich Krzysztof Nowak. Der war ein überragender Spieler, der aus dem Nichts gekommen war und eine sehr große Karriere vor sich hatte. Bayern München hatte ihn auf der Liste. Dann ereilte ihn diese schreckliche Krankheit, woraufhin er mit dem Fußball aufhören musste und sogar daran verstarb. Von allen Spielern, die wir damals nach Wolfsburg geholt haben, denke ich an ihn deswegen zuerst.

Welche Trainer-Entlassung fiel Ihnen am schwersten?

Pander: Es klingt wie eine Floskel, aber es ist so: Jede ist unheimlich schwierig gewesen. Ob es ein Uwe Erkenbrecher war, ein Willi Reimann oder auch Gerd Roggensack, der nur ein halbes Jahr da war, Eckhard Krautzun nicht zu vergessen. Jeder hatte an der Erfolgsgeschichte des VfL seinen Anteil. Natürlich trennt man sich auch nie ohne Grund. Nehmen wir das Beispiel Erkenbrecher: Als wir sahen, es wird schwierig in der Rückrunde bei sieben Absteigern, mussten wir etwas verändern und haben mit Krautzun einen erfahren Mann geholt. Aus Vereinssicht ging es darum, immer rechtzeitig die richtige Entscheidung zu treffen. Und ich glaube, das haben wir meistens geschafft.

Ihre Zeit beim VfL endete nach einem schon legendären Wechselfehler. Wie denken Sie heute über Ihren damaligen Rücktritt?

Pander: Ich denke, dass er nicht unbedingt notwendig war. Allerdings war und bin ich es gewohnt, für Dinge geradezustehen, auch wenn sich sie nicht direkt zu verantworten habe. Ich habe mich damals bewusst so entschieden. Die Mannschaft war gerade neu zusammengestellt, Erik Gerets noch frisch im Amt, da wollte ich das Thema von ihr wegziehen. Sicherlich hätte ich mir damals aber auch eine etwas andere Unterstützung gewünscht, als ich sie dann erfahren habe. Aber zu der Entscheidung stehe ich nach wie vor.

Kam anschließend jemals Wehmut auf? Etwa bei der Meisterschaft 2009?

Pander: Wehmut würde ich es nicht nennen, eher Stolz auf die gesamte Entwicklung in meiner Amtszeit. Als ich angefangen habe, wären wir mit der zweiten Liga völlig zufrieden gewesen. Niemand hätte auch nur ansatzweise geahnt, wohin die Reise noch geht. 2004/2005 habe ich eine gute Mannschaft einem guten Trainer übergeben, die zeitweise schon auf dem ersten Platz der Bundesliga stand. Ohne das alles wäre eine Deutsche Meisterschaft sicher nicht möglich gewesen. Ich denke, man kann sagen: Die Basis für das, was heute der VfL Wolfsburg ist, wurde damals gelegt.