Sie galten als relativ strenger Trainer. Worauf haben Sie Wert gelegt?
Farkaszinski: Zuallererst auf Disziplin. Mein Credo war immer: Ein Trainer steht wie vor einer Armee. Wenn es zwei Befehlshaber gibt, dann ist die Mannschaft geteilt. Das Team muss eine Einheit sein, und jeder einzelne muss der gemeinsamen Sache folgen. Wenn ich gemerkt habe, dass jemand dazu nicht in der Lage war, dann habe ich mich so schnell wie möglich von ihm getrennt.
Laut werden konnten Sie offenbar auch. Ihr ehemaliger Spieler Wilfried Reckel hat gesagt: „Wenn er gebrüllt hat, dann konnte man das noch auf der Porschestraße hören.“
Farkaszinski: (lacht) Naja, das ging aber auch nicht anders. Schließlich machte man die Arbeit so gut wie allein. Assistenten oder Torwarttrainer, so etwas gab es damals noch nicht. Man war völlig auf sich allein gestellt und musste die 115 mal 70 Meter, die ein Platz groß ist, entsprechend beherrschen. Eine gewisse Lautstärke braucht es da schon. Außerdem ist eine gewisse Autorität unverzichtbar. Mit einer weichen Art findet man keinen Zugang und hat keinen Erfolg.
Gab es Spieler, die damit Probleme hatten?
Farkaszinski: Mit einigen war es sicherlich schwieriger. Wilfried Kemmer zum Beispiel war anfangs wenig kompromissbereit und ein richtiger Dickkopf. Ihn musste ich zuerst auf Linie bringen und von meiner Idee überzeugen. Als ich das geschafft hatte, war er aber für die Mannschaft ein ebenso wichtiger Faktor wie etwa Wölfi Krause, der so etwas wie mein verlängerter Arm gewesen ist.
Generell schwärmen Fußballer aus den 60ern und 70ern oft von der Kameradschaft. Wie war das beim VfL?
Farkaszinski: Darauf wurde sehr geachtet. Zum Beispiel gab es nach jedem Heimspiel ein Essen gemeinsam mit den Frauen, das meist in einen geselligen Abend mit Musik und Tanz mündete. Außerdem sind wir zusammen zu Schützenfesten gegangen und waren auch sonst außerhalb des Spielfelds viel unterwegs. Unser Vorsitzender Dr. Willi Wolf war da ein wichtiger Faktor. Er war die Seele des Vereins und hat den Zusammenhalt gewaltig gefördert. Hinzu kam, dass mit Ausnahme weniger Spieler alle im Werk gearbeitet haben. Alle hatten also den gleichen Lebensrhythmus und bekamen in etwa auch das gleiche Geld. So etwas macht schon viel aus.
Welche Rolle hat Volkswagen darüber hinaus gespielt?
Faskaszinski: Im Grunde genommen keine, denn Unterstützung gab es nur indirekt. Zum Beispiel bekam die Sozialabteilung der Stadt etwas Geld, wovon dann die Fußballplätze oder auch das Nachwuchsleistungszentrum bezahlt worden sind. Und wir konnten die neuen Spieler in verschiedenen Bereichen im Werk unterbringen. Das funktionierte aber nur, solange es Volkswagen gut ging. Anfang der 70er wurden auch schon mal Spieler entlassen. Jürgen Dudda, der aus Braunschweig zu uns kam, ist es so ergangen. Insgesamt war das Verhältnis zwischen VW und dem VfL damals wirklich sehr gut, das muss ich schon sagen. Allerdings hätte ich mir gewünscht, dass Volkswagen uns mehr als seine Mannschaft begreift und entsprechend unterstützt.
Hatte der VfL trotzdem schon den Ruf einer Werkself?
Farkaszinski: Ja, von außen waren die Beurteilungen sehr enttäuschend. Die Leute dachten, bei uns läuft das Geld wie Sahne, dabei war das überhaupt nicht der Fall. In der Regionalliga Nord bekamen die Spieler 160 Mark brutto plus Prämien. Wenn man da neben dem Beruf auf 300 Mark netto kam, dann war das schon viel. Und Handgelder zahlen, wie es allmählich um sich griff, das konnten wir sowieso nicht. In Wolfsburg selbst war die Stimmung allerdings anders. Die Menschen liebten uns! Wenn wir durch die Stadt gegangen sind, dann kamen die Leute und wollten uns anfassen. Bei den großen Spielen platzte das Stadion aus allen Nähten, zum ersten Training der neuen Saison kamen schon mal 1.500 Fans. Um auch die Region zu infizieren, hätten wir sicherlich aufsteigen müssen. Aber in der Stadt war die Fußballbegeisterung unheimlich groß.
Welche Spieler hätten Sie damals gern als Verstärkung geholt?
Farkaszinski: Oh, es gab einige, die uns sehr geholfen hätten. Lothar Ulsaß zum Beispiel wollte ich unbedingt haben, Gerhard Elfert genauso. Beides unwahrscheinlich gute Fußballer, die dann in Braunschweig gestandene Bundesligaspieler wurden. Solche Beispiele könnte ich noch viele nennen.
Gab es auch Spieler beim VfL, die es weiter hätten bringen können?
Farkaszinski: Mehrere. Hätte Fredi Rotermund sich zum Beispiel nicht so häufig verletzt, hätte er sicher weiter oben gespielt. Ebenso Dieter Grünsch, unser Torwart. Der war meines Erachtens besser als sein Braunschweiger Kollege, der dann Nationalspieler wurde. Und ich denke an den Rechtsaußen Manni Wichmann, der ist die 100 Meter unter elf Sekunden gelaufen. Wenn man ihn mit einem Steilpass geschickt hat, dann hat sein Gegenspieler nur den Rücken gesehen.
Was ist mit Ihnen? Hätten Sie selbst es in die Bundesliga schaffen können?
Farkaszinski: Zweimal hatte ich die Chance. Das erste Mal zu Beginn meiner zweiten Amtszeit 1966. Günther Brocker war bei Werder Bremen entlassen worden, und ich sollte sein Nachfolger werden. Der zweite Club war Eintracht Braunschweig, der mich nicht nur einmal, sondern ständig haben wollte. Abgesagt habe ich jeweils aus den gleichen zwei Gründen: Erstens war ich Lehrer aus Leidenschaft und wollte auf keinen Fall davon lassen. Hauptberuflich Trainer zu sein, das kam nicht in Frage, beides war mir gleichermaßen wichtig. Zweitens habe ich die Stadt Wolfsburg einfach von Herzen geliebt. Hier habe ich nicht nur gearbeitet, sondern auch gelebt, bin ins Schwimmbad gegangen, in die Sauna, zum Schützenfest und um den Schillerteich. Warum hätte ich das alles aufgeben sollen? Ich war ein Wolfsburger und bin es in meinem Herzen noch immer. Es fehlt mir heute sehr, in der Porschestraße zu spazieren und meine vielen Freunde im Vereinsheim zu treffen. Diese Zeit war für mich so intensiv, dass ich noch regelmäßig davon träume.
Bis 1985 bleibt Imre Farkaszinski noch im Verein, dann hört er endgültig auf. Ein Jahr später – im Alter von 63 Jahren – verlässt er auch das Ratsgymnasium und geht in den Ruhestand. Als bald darauf die Mauer fällt und der Ostblock kollabiert, beginnt der Kreis sich zu schließen: Gute 30 Jahre später als ursprünglich geplant geht Farkaszinski zurück in die Heimat. In zweiter Ehe lebt er heute wechselweise am Plattensee und in seiner Dreizimmer-Eigentumswohnung im äußeren Zentrum von Budapest. Mit dem ungarischen Fußball hatte er nie etwas am Hut. Statt dessen sitzt er jeden Samstag in seinem Sessel und verfolgt mit der gleichen Hingabe wie früher die Spiele des VfL. Allein deshalb muss eine Frage zum Schluss natürlich unbedingt sein.