Im vierten Anlauf - Aufstieg in die Oberliga Nord 1954

Keine zehn Jahre haben die Fußballer des VfL gebraucht, um in der damals höchsten Spielklasse – der Oberliga Nord – anzukommen. Gut, vier Anläufe waren notwendig, ehe es geklappt hat. Aber immerhin waren die Wölfe noch jung, aber eben stark genug, um zu ihrer ersten, erfolgreichen Epoche anzusetzen. Bereits 1951 und 1952 wurde man Amateur-Oberliga-Meister, dann endlich gelang der große Wurf.

Es war der 6. Juni 1954, ein Pfingstsonntag, als die Fanseele im VfL-Stadion kochte. Gegen den Heider SV galt es für die Fußballer, den Aufstieg ins Oberhaus des deutschen Fußballs zu schaffen. Es war ein umkämpftes Spiel, der Gast vor allem körperlich klar überlegen. Doch Mannschaftskapitän Alfred Heider machte den 2:1-Sieg – nach dem 1:1-Zwischenstand – mit einem Flachschuss in der 77. Minute perfekt. Die Fans, ja die ganze Stadt waren außer sich. Trainer Ludwig „Pipin“ Lachner, seit September 1951 beim VfL, lag in den Armen seiner Mannschaft – und 6.000 Fans waren außer Rand und Band, trugen nach der Partie ihr Team wahrlich auf Händen vom Platz. Viele begleiteten die Spieler sogar bis zum Hotel Steimker Berg, wo sie vom Stadtrat empfangen wurden und sich ins Goldene Buch der Stadt eintrugen. „Mit Pauken und Trompeten haben sie uns zum Parkhotel gebracht – getragen auf den Schultern der Fans“, erinnert sich VfL-Verteidiger Günther Litzenberg.

Von irgendwelchen Siegesprämien ist nichts bekannt, allerdings soll jeder VfLer einen Strauß roter Nelken, versehen mit grün-weißen Schleifen, überreicht bekommen haben. Bescheidenheit war in der 50er Jahren noch eine Zier… Die meisten Spieler gingen schließlich einem „normalen“ Beruf nach, waren unter anderem Schweißer, Schlosser oder kaufmännischer Angestellter bei Volkswagen. Litzenberg: „Allerdings hatten wir den Status eines Lizenzspielers und wurden ab 14 Uhr freigestellt, um am Nachmittag trainieren zu können.“ Der „Lange“ wie er von seinen Kollegen und Sportkameraden genannte wurde, spielte von 1951 bis 1963 für den VfL und absolvierte über 600 Spiele. Eine stolze Zahl. Warum es erst im vierten Anlauf geklappt hat? „Die Jahre zuvor waren wir noch nicht reif, unsere Mitstreiter einfach besser. 1954 war genau der richtige Zeitpunkt.“ VfL-Torwart Helmut Bräutigam geht sogar noch weiter: „Ohne den `54er Aufstieg wäre der Verein heute nicht das, was er ist.“

 

Überraschungssieg gegen den HSV

Das erste Jahr in der „Königsklasse“ war jedenfalls kein Leichtes. Dennoch landete der Neuling nicht nur knapp über dem Strich, sondern schaffte auch noch eine weitere Sensation: Am 31. Oktober 1954 besiegten die Wölfe den damals unschlagbaren Hamburger SV. Es war das Spiel ihres Lebens gegen gestandene Akteure wie den jungen Nationalspieler Uwe Seeler. Manch einer würde vielleicht sagen, die Wolfsburger hätten in dieser denkwürdigen Partie nur hinten drin gestanden, andere wiederum würden die herausragende Defensivarbeit loben. In jedem Fall zeigte der VfL vor 15.000 Zuschauern eine geschlossene und über 90 Spielminuten konstante Mannschaftsleistung, dabei gab kaum jemand auch nur einen Pfifferling auf dieses eher unerfahrene Team. Nur vier Spieler des St. Pauli wagten in einer Toto-Zeitung ebenso wie Torwart Krämer vom Deutschen Meister Hannover 96 einen Sieg des Neulings vorauszusagen.

Denn zu allem Überfluss musste die erste Elf gleich auf drei Positionen umgestellt werden – doch genau dies schien das richtige Mittel zu sein. So musste der HSV, der vielleicht einen Spaziergang vor sich glaubte, schon in der ersten Viertelstunde erkennen, dass diese Wölfe wirklich ein ernst zu nehmender Gegner waren. Held des Tages wurde schließlich Manfred Müller. Der VfLer markierte in der 72. Minute den 1:0-Siegtreffer. Bei seinem Solo täuschte der laufstarke Müller, den man seither nur noch „HSV-Müller“ rief, zwei Gegenspieler, und anstatt den Ball auf den freien, linken Flügel zu spielen, schoss er plötzlich hart und für den nicht schnell genug die Arme hochreißenden HSV-Keeper Schnoor unhaltbar ins Netz. Was für ein Erfolg im ersten Oberliga-Jahr - und das gegen den späteren Norddeutschen Meister!

Veröffentlicht im Jahr 2010.

  • Von Ehmen nach Sülfeld für eine Sau

    54er-Aufstiegsheld Alfred Heider über seine ereignisreiche Karriere beim VfL

    Magische Daten gibt es in der VfL-Historie viele. Da wären der Bundesliga-Aufstieg am 11. Juni 1997 oder natürlich die Meisterschaft am 23. Mai 2009. Auch die Geburtsstunde am 12. September 1945 kennen die meisten VfL-Fans aus dem Stand. Eine große Nummer war der VfL Wolfsburg aber auch noch zu einer anderen Zeit. Es war 1954, kurz vor dem berühmten Wunder von Bern, als die Grün-Weißen sich und ihrer Region einen lang gehegten Traum erfüllten. Im vierten Anlauf stieg das Team von Ludwig Lachner erstmals in die höchste deutsche Spielklasse auf. Nicht nur dabei, sondern entscheidend beteiligt war Alfred Heider, der als Kopf und Kapitän der Grün-Weißen persönlich das Tor in die Oberliga aufstieß.

    Elsterweg, 6. Juni 1954: Die Tribünen sind wieder einmal pickepackevoll. Die ganze Stadt will dabei sein, wenn es diesmal endlich klappt. Drei Mal in Folge schon haben die Wölfe das große Ziel in der Aufstiegsrunde verspielt. Und nun sogar fast zum vierten Mal. „Das erste Spiel gegen Bremen 1860 hatten wir gleich verloren, danach in Heide nur 0:0 gespielt. Es sah wirklich aus, als würde es schon wieder nicht klappen“, erinnert sich Alfred Heider. Unter Druck aber kann der von „Pipin“ Lachner trainierte VfL auch zu dieser Zeit schon am besten. Und so schiebt er sich mit Siegen gegen Concordia Hamburg sowie einem beeindruckenden 4:1 im Rückspiel an der Weser immer weiter nach vorn. Bis es im letzten Duell gegen Heide nun um die Wurst geht.

    Mit einem Tor des Monats in Liga eins

    „Alles war bereit zum großen Sprung, nur die Mannschaft leider nicht. Wir waren längst nicht so stark wie in den Spielen zuvor“, so Heider, der nichtsdestotrotz an diesem Pfingstsonntag zum Matchwinner wird. Die frühe 1:0-Führung gleicht der Heider SV zunächst aus. Der VfL wirkt nun fahrig und nicht souverän. Dann nimmt sich Mannschaftsführer Heider der Sache an. „Etwa 20 Minuten vor Schluss habe ich Siggi Höhn gesagt: ‚Lass dich mal zurückfallen, ich gehe nach vorn‘. Zwei Minuten später kam eine Flanke von rechts. Der Ball fiel mir direkt vor den Fuß, und da hab ich ihn per Dropkick in die lange Ecke gehauen.“ Hätte es den Wettbewerb schon damals gegeben, Heiders Treffer hätte wohl zum „Tor des Monats“ getaugt. Auch so auch aber sind Freude und Erleichterung gigantisch. Sofort nach Abpfiff fluten die VfL-Fans den Rasen, tragen die Mannschaft auf Schultern vom Feld und geleiten sie – buchstäblich mit Pauken und Trompeten – zum Empfang im Hotel Steimker Berg. Erstligafußball in Wolfsburg, das hatte es noch nicht gegeben. Werder Bremen, der HSV und Eintracht Braunschweig heißen nun die Gegner. Auch für Heider, der wenig später 29 Jahre alt wird, erfüllt sich ein Traum. Wie die meisten seiner Mitspieler hatte er es bislang im Leben nicht unbedingt einfach.

    Auf die Welt kommt Heider am 22. Juni 1925 in Patschkau. In der oberschlesischen Kleinstadt entdeckt er mit etwa elf Jahren auch die Liebe zum Ball. Allerdings nicht ohne Widerstand. „Meine Mutter hat das nicht gern gesehen. Meine Eltern waren Geschäftsleute, und Fußball galt damals, man muss es so sagen, als Proletensport.“ Der Krieg zerstört ohnehin alle Pläne. Alfred Heider kommt an die Front, gerät in Gefangenschaft, wird auch verwundet. Sowohl im amerikanischen als auch im englischen Lager bekommt er aber die Gelegenheit, Fußball zu spielen. In Briefen berichtet er davon dem Vater, der ihn, noch ehe die Gefangenschaft endet, bereits in der neuen Heimat Ehmen im Verein anmeldet. „Ich kam also zurück und fing an, dort zu spielen. Und was dann geschah, darüber kann ich heute noch lachen: Ein halbes Jahr später meldete sich Sülfeld und wollte mich haben. Ablösen in Form von Geld waren damals nicht üblich, schon gar nicht auf dieser Ebene. Deshalb bekam Ehmen im Gegenzug eine zweieinhalb Zentner schwere Sau!“

    Zwei Stationen liegen jetzt noch zwischen Alfred Heider und dem VfL. Dabei soll es an ihm wahrlich nicht liegen: „Ich wollte schon viel früher kommen und habe mich sehr bemüht, Arbeit im VW-Werk zu bekommen. Allerdings herrschte gerade Einstellsperre, deshalb hat es nicht funktioniert.“ Heider wechselt erst nach Uelzen, dann zum MTV Braunschweig  – und liefert das beste Argument für eine Anstellung in Wolfsburg auf seine ganz eigene Methode nach: „Eines Tages spielten wir mit dem MTV beim VfL. Wir gewannen 4:3, und ich schoss das vierte Tor. Nach dem Spiel kam Vereinsarzt Dr. Willi Wolf auf meinen Vater zu und ließ ausrichten, die Einstellsperre sei nun vorbei. Am folgenden Montag war mein erster Arbeitstag.“

    Mit 25 Jahren wird Heider also ein Wolf. Die Mannschaft, in die er stößt, ist gerade im Umbruch, spielt in der Amateur-Oberliga aber schon länger oben mit. Erst Recht, als der große Ludwig Lachner neuer Trainer wird. „Als ehemaliger Nationalspieler hatte er eine gewaltige Reputation. Meine Mitspieler und ich hatten großen Respekt, allerdings durfte ich ihn als einziger duzen, weil wir vorher noch kurz beim MTV Braunschweig zusammengespielt hatten.“ So beginnt die Zeit, in welcher der VfL Wolfsburg die zweithöchste Spielklasse Jahr für Jahr beherrscht, um jedoch immer wieder das große Ziel knapp zu verfehlen. „Dreimal hintereinander in der Aufstiegsrunde zu scheitern, das war natürlich hart. Wir hatten teilweise Pech, vielleicht waren die anderen auch besser. Zum Glück hat es dann 1954 aber endlich funktioniert. Für mich selbst war das natürlich ein absoluter Höhepunkt“, so Heider.

    Ein Elfmeter mitten ins Herz

    Vier Spielzeiten verbringt der VfL Wolfsburg in der Oberliga Nord. Drei davon mit Außenläufer Alfred Heider, der 1957 seine Schuhe an den Nagel hängt und eine Berufslaufbahn als Bilanzbuchhalter einschlägt. Die Jahre in der höchsten deutschen Spielklasse genießt der Kapitän in vollen Zügen: „Die Begeisterung in der Stadt war enorm. Es gab ja kein Fernsehen oder andere vergleichbare Reize. Deshalb kamen die Leute ins Stadion und schauten uns zu.“ Am Elsterweg ereignen sich legendäre Spiele, etwa ein 1:0 gegen den großen HSV um Uwe Seeler oder auch ein jener 5:0-Kantersieg über Eintracht Braunschweig auf Schnee, von dem auch Alfred Heider heute noch schwärmt. Noch präsenter aber sind ihm die Duelle mit der direkten Konkurrenz. „Gegen Eintracht Nordhorn zum Beispiel oder in Oldenburg, wenn es um entscheidende Punkte im Abstiegskampf hing, diese Spiele waren viel wichtiger. Ich denke, da haben wir unsere größten Schlachten geschlagen.“

    Es sind etliche Partien, an die sich der heute 86-jährige Heider, der nach wie vor in Wolfsburg lebt, exzellent erinnert. Das wichtigste Spiel seiner Karriere aber war weder jene Begegnung im Trikot des MTV noch das Aufstiegsspiel gegen den Heider SV. „Wir spielten gegen Lehrte 06 und bekamen gleich zu Beginn einen Strafstoß. Ich trat an und drosch ihn weit übers Tor.“ Ein verschossener Elfmeter im Spiel des Lebens? „Ganz einfach“, erklärt Alfred Heider. „Im Publikum stand ein Mädchen, das großer VfL-Fan war und wie ich bei VW arbeitete. Am nächsten Tag klingelte mein Telefon, und diese mir unbekannte junge Frau machte mich wegen des Elfmeters nach allen Regeln der Kunst zur Schnecke. Mittlerweile sind wir seit 55 Jahren verheiratet.“

    Anmerkung der Redaktion: Alfred Heider ist am 14. Dezember 2012 im Alter von 87 Jahren verstorben.